8. Oktober 2016: Eine sechsköpfige Familie in Deir Al-Hajārī im Nordwesten des Jemen wird bei einem Luftangriff getötet. Am Tag darauf findet eine Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Mwatana auf Teilen der eingesetzten Lenkbombe MK80 eine Seriennummer, welche die Firma RWM Italia S.p.A. als Herstellerin ausweist – ein 100-prozentiges Tochterunternehmen der Rheinmetall AG (der Freitag 26/2018).
20. Januar 2018: Die türkische Regierung startet die „Operation Olivenzweig“ und greift die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen in Nordsyrien an, Hunderte sterben, an die 200.000 flüchten. Die Bilder der in Afrin einfahrenden türkischen Panzer des Typs Leopard 2 gehen um die Welt. Hersteller: die Rheinmetall AG.
Das 1889 gegründete deutsche Rüstungsunternehmen steht in der Kritik. Nichtsdestotrotz brummt das Geschäft. Die Rüstungssparte von Rheinmetall verzeichnete 2018 ein Rekordjahr: 3,2 Milliarden Euro Umsatz, 6,1 Prozent mehr als 2017. Auch die Aussichten für 2019 sind rosig: Weltweit steigen die Rüstungsausgaben und damit die „Nachfrage“. Dementsprechend gut wird wohl die Stimmung auf der Hauptversammlung am 28. Mai in Berlin sein. Dass vor den Türen des Maritim-Hotels eine Handvoll Friedensaktivisten demonstriert, gehört dabei schon fast zum Inventar. Aktivistinnen von „Urgewalt“ oder „Pax Christi“ mogelten sich 2017 auch mal in die Versammlung und sprachen am Rednerpult; die Aktionäre ließen sie reden. Eine ernst zu nehmende Friedensbewegung hat Rheinmetall nicht gegen sich.
Warum eigentlich? „Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt Waffenexporte ab, vor allem, wenn sie ihn Konfliktgebiete gehen“, sagt Jan van Aken. Der ehemalige Linkspartei-Bundestagsabgeordnete und UN-Biowaffeninspekteur verweist darauf, dass es in Deutschland bereits einige Initiativen gegen Rüstungsexporte gebe. Zu einer Bewegung für das Verbot von Waffenexporten brauche es jedoch eine bessere Organisierung. Van Aken gibt sich dennoch optimistisch: „Was den Kampf gegen deutsche Rüstungsexporte so spannend macht, ist, dass wir ihn gewinnen können.“
Im vergangenen Jahr hat sich mit „Rheinmetall entwaffnen“ nun ein Bündnis zusammengefunden, das sich dieser Aufgabe annehmen will. Unterstützt wird es sowohl von langjährigen Friedensaktivisten als auch von den kurdischen Friedenskomitees, die sich angesichts der Angriffe auf Afrin 2018 gegründet haben. Auch die linksradikale Gruppe „Interventionistische Linke“ (IL) macht mit. Das ist deshalb interessant, weil es der IL in den letzten Jahren häufig gelungen ist, Themen durch breit angelegte Kampagnen auf die Tagesordnung zu setzen: So ist die IL Mitinitiatorin des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in Berlin und der Anti-Kohle-Proteste von „Ende Gelände“ in der Lausitz und im Rheinland, die bei der erstarkenden Klimabewegung in Deutschland eine große Rolle spielen.
Warum nun Rheinmetall? „Als 2014 der Krieg in der Ukraine begann, mussten wir feststellen, dass wir als Linke komplett handlungsunfähig waren“, sagt Daniel Seiffert, ein langjähriger Aktivist der IL (Name geändert). Eine Folge dieser Schwäche sei gewesen, dass die Friedensmahnwachen von rechts vereinnahmt wurden.
Die „Mahnwachen für den Frieden“ hatten sich 2014 in vielen Städten gegründet. Beobachter warfen den Organisatoren jedoch verschwörungstheoretische Tendenzen vor, an verschiedenen Mahnwachen beteiligten sich Neonazis. Die Frage, ob linke Gruppen sich an den Protesten beteiligen sollten, war deshalb stark umstritten. Einige der Kundgebungen entwickelten sich im weiteren Verlauf stark nach rechts, etwa in Erfurt, wo aus der Mahnwache 2015 die Gruppe PEGADA gegründet wurde - „Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“.
Mit den Protesten gegen die Aktionärsversammlung verbindet der IL-Aktivist Daniel Seiffert nun die Hoffnung einer linken Erneuerung der Friedensbewegung. Diese sei umso notwendiger, als die weltweiten Militärausgaben laut Friedensforschungsinstitut Sipri auf dem höchsten Stand seit 1988 angekommen seien. Auch „in der angeblichen Friedensmacht Europa“ werde aufgerüstet, so Seiffert: Frankreich steht laut Sipri 2018 mit Ausgaben von 63,8 Milliarden Dollar weltweit auf Platz 5 hinter den USA, China, Saudi-Arabien, und Indien. Deutschland steht mit rund 49,5 Milliarden Dollar auf Platz 8. Diesen Trend will das Verteidigungsministerium ausbauen: Mitte Mai meldete die Bundesregierung der Nato für das laufende Jahr mit einer Investition von weiteren fünf Milliarden Euro den größten Anstieg der Verteidigungsausgaben seit Ende des Kalten Krieges.
„Rheinmetall bringt sich derzeit in Stellung, um für möglichst viele dieser neuen Aufträge den Zuschlag zu bekommen“, sagt Seiffert. Der Konzern gehört mit Airbus und Thyssenkrupp zu den größten deutschen Rüstungsunternehmen, und das schon lange: „Wohl kein Unternehmen steht so sehr für die Kontinuität des deutschen Militarismus. Seit seiner Gründung im Kaiserreich war Rheinmetall stets ein zentrales Standbein der deutschen Rüstungspolitik und hat unter anderem an zwei Weltkriegen kräftig verdient.“
Die Demonstration gegen den Rüstungskonzern am 28. Mai soll auch an der saudi-arabischen Botschaft vorbeiziehen. Wegen der in Jemen aufgefundenen saudischen Rheinmetall-Bombe aus italienischer Produktion haben Menschenrechtsorganisationen bereits 2018 Anzeige erstattet, darunter das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) mit Sitz in Berlin. Die Anzeige geht gegen die Geschäftsführer von RWM Italia S.p.A. sowie ranghohe Beamtinnen der italienischen Behörde für Waffenexporte. Ist es legal, dass Rheinmetall über seine italienische Tochter den deutschen Exportstopp von Rüstungsgütern umgeht, der nach der Ermordung des des Journalisten Jamal Khashoggi beschlossen wurde?
Aufgabe der ECCHR-Anwältin Linde Bryk ist es, die Netzwerke der Rüstungsunternehmen über Töchterunternehmen weltweit aufzudecken, mit denen solche Exportverbote umgangen werden. Bei dieser Arbeit stößt sie immer wieder auf Hindernisse, klagt Bryk: „Viele Unterlagen werden von den beteiligten Staaten als geheim unter Verschluss gehalten. Die exportierenden Firmen bauen undurchsichtige Netzwerke auf, um ihren Geschäften ungestört nachgehen zu können.“ Für Rüstungsunternehmen sei es zu leicht, „die ohnehin schon laschen Rüstungsbeschränkungen in Deutschland zu umgehen“. Es brauche eine kritische Öffentlichkeit, um dies zu ändern.
Nach den Protesten will sich das neue Friedensbündnis „Rheinmetall entwaffnen“ weiter aufbauen. Anfang September organisiert es das zweite Antikriegscamp im niedersächsischen Unterlüß, in der Nähe eines wichtigen Produktionsstandorts des Rüstungskonzerns. „Letztes Jahr waren wir nur auf dem Camp nur 150 Menschen“, räumt Daniel Seiffert ein. „Positiv gedacht heißt das: Es gibt viel Luft nach oben.“
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