Geile Tiere

Rückblende Nach den Vorstadtdiskotheken entdecken nun die großen Museen die 80er Jahre
Ausgabe 30/2015

Der Bruch sollte radikal sein, ohne Wenn und Aber. Eine Abkehr vom Kunstbetrieb, vom Intellektualismus der Konzeptkunst genauso wie vom Pathos der angehenden Malerfürsten Markus Lüpertz, Georg Baselitz oder A. R. Penck. Die Gepflogenheiten an den Akademien, die westdeutsche Spießigkeit, das politische Engagement, so wie es der messianische Joseph Beuys vorlebte: All das kotzte sie an. Langweilte sie zu Tode. Und so schufen Walter Dahn und der aus der Tschechoslowakei stammende Jiří Georg Dokoupil, zwei Mitglieder der Kölner Künstlergruppe Mülheimer Freiheit, ihre „Kotzer“-Bilder. Wüster Strich, zwei comichafte Köpfe, rotleuchtend der Strahl aus Erbrochenem. Dahns und Dokoupils Gemeinschaftsarbeiten waren im besten Sinne hingerotzt. Kunst, die anders sein wollte, die schnell sein wollte, die aus dem Moment entstand.

Es dauerte nicht lange, da fanden sich Labels für die rebellischen Künstler: Neue Wilde, Junge Wilde, Neo-Expressionisten. Die meisten von ihnen waren damals kaum mehr als 20 Jahre alt. Zentren der Bewegung gab es im Rheinland, in Berlin, in Hamburg. Im Schlüsseljahr 1977, in dem die Sex Pistols ihr einziges Album Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols herausbrachten und die erste Generation der RAF in Stammheim in den Tod ging, nahm der Aufstieg der Künstler seinen Anfang. 1980 zeigte die Ausstellung Heftige Malerei im renommierten Berliner Haus am Waldsee die Werke der neuen figurativen Malerei.

Der Hype nahm an Fahrt auf, der Sturm der Sammler auf die Galerien begann. Bereits zur Mitte der 1980er Jahre war der Zenit aber schon wieder überschritten, galt die gerade noch als ausdrucksstark gefeierte Kunst der wüsten Maler als Auslaufmodell. Die Neuen Wilden gerieten – mit Ausnahmen wie Martin Kippenberger, Albert Oehlen, aber auch Elvira Bach – rasch aus dem Blickwinkel. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass ihre Werke in den Sammlungen der bundesrepublikanischen Museen kaum vorkamen. Gekauft hatten die Bilder während des kurzen Booms beinahe ausschließlich Privatsammler. Den Ausstellungshäusern waren die Arbeiten von Künstlern wie Salomé, Rainer Fetting, Helmut Middendorf oder Georg Herold noch zu provokativ, zu derb.

Die schlicht Die 80er betitelte Ausstellung, in der das Frankfurter Städelmuseum die figurativen Maler der damaligen Zeit nun noch einmal in großem Rahmen präsentiert, zeigt deshalb vor allem Stücke aus Privatbesitz. Und selbst bei den Arbeiten, die doch aus Museen stammen, handelt es sich in vielen Fällen um Werke, die normalerweise eher in den Depots als in den Ausstellungssälen zu finden sind. Man stößt auf viel Unbekanntes in der Schau, entdeckt die Vielfältigkeit dieser Malerei.

Auf einen Nerv trifft die Ausstellung aber auch, weil sie ein aktuelles Interesse an der dunklen Seite der 1980er Jahre stillt. Die Neuentdeckung der Dekade, die bislang eher im Mainstreamradio und in Vorstadtdiskos gefeiert wurde, kommt in den großen Museen an. Seit Ende Juni läuft im Münchner Haus der Kunst, nach einer ersten Station in Minsk, die Schau Geniale Dilletanten. Das Goethe-Institut hat sie als Wanderausstellung konzipiert, weitere Stationen sollen folgen. Geniale Dilletanten befasst sich mit der musikalischen Subkultur des Jahrzehnts, mit Bands wie Einstürzende Neubauten, Die Tödliche Doris oder Der Plan. Ihren Titel verdankt sie einem Konzert, das 1981 im Berliner Tempodrom stattfand und die schrägsten, kreativsten und kaputtesten Köpfe der deutschen Post-Punk- und New-Wave-Szene versammelte. Die falsche Schreibweise des Konzerttitels war dabei, so behauptet es jedenfalls die Legende, absichtlich gewählt.

Die Grenzen zwischen Bildender Kunst und Popkultur waren in den 1980er Jahren tatsächlich sehr fließend. Querverweise zwischen den Ausstellungen gibt es einige, obwohl man sich in Frankfurt streng auf die Malerei beschränkt. So sind etwa in beiden Städten Arbeiten von Martin Kippenberger zu sehen. Der Maler war in seiner Berliner Zeit ein Bindeglied zwischen den Szenen. Als Geschäftsführer war er für den Kreuzberger Club SO36, das Epizentrum des deutschen Punk, zuständig. Markus Oehlen, der im Städelmuseum mit zwei großformatigen Bildern und einer Serie Frauenporträts vertreten ist, begann seine Karriere als Schlagzeuger der Band Mittagspause, dem Vorläufer der Fehlfarben. „Wir fühlten uns wie Rock ’n’ Roller innerhalb der Malerei“, so beschrieb der Berliner Maler Bernd Zimmer die Arbeitsweise der Jungen Wilden. „Ein Punk-Song musste in ein, zwei Minuten fertig sein – Geschwindigkeit war die Form! Kurz, schnell, hart. So spontan sollte auch ein Bild, Malerei entstehen.“

Als explizites Bildsujet taucht die Musikkultur jedoch nur bei dem in Berlin tätigen Helmut Middendorf auf. Von ihm ist im Städel ein Werk zu sehen, das das Cover des The-Clash-Albums London Calling (1979) zitiert. Middendorf malte auch häufig frühmorgendliche Stadtansichten, die den Moment festhielten, in dem man nach durchfeierter Nacht wieder auf die Straße trat. Den meisten Künstlern ging es dagegen eher um die Geisteshaltung, den provozierenden Tonfall des Punk – vor allem den Hamburgern. In bester Sid-Vicious-Manier schmuggelte Albert Oehlen ein Hakenkreuz auf eines seiner Bilder, einem anderen Werk gab er den Titel Goldener Mann schlägt Schlampe. Werner Büttner malte sich als im Kino masturbierenden Mann, sein erigierter Penis springt einen förmlich an. Georg Herold schuf die Figur des Ziegelnegers. Austesten, was der Kulturbetrieb schluckt, was gerade noch als Ironie akzeptiert wird, das war ein beliebtes Spiel der Zeit.

Als wichtige Figur zwischen den Disziplinen fungierte auch die Berliner Designerin Claudia Skoda. Für ihre aufsehenerregenden Modenschauen arbeitete sie mehrfach mit Martin Kippenberger zusammen. Sie brachte aber auch den Künstler Salomé mit dem Schweizer Luciano Castelli in Kontakt. In Skodas Aktion Big Birds traten die beiden 1979 in der Berliner Kongresshalle erstmals gemeinsam auf. Zwischen als Paradiesvögel ausstaffierten Frauen, zur monotonen elektronischen Musik von Manuel Göttsching, agierten sie kahlrasiert und so gut wie nackt als Tänzer auf dem Trapez. Das Schlussbild dieser Performance setzte Castelli später als Malerei um, es ist ein eindrucksvolles Bild einer schwulen Selbstbehauptung. Gemeinsam erweckten sie eine Band zum Leben, die sie Geile Tiere nannten. Mit ihren rauen Elektropunk-Stücken traten sie vor allem im Dschungel auf, noch so einem legendenumrankten Berliner Club der 1980er Jahre. David Bowie und Iggy Pop waren begeisterte Anhänger der Band, heißt es.

Aus der Enge Karlsruhes war der gelernte Bauzeichner Wolfgang Ludwig Cihlarz nach Berlin entflohen, als Künstler nannte er sich Salomé, nach der tanzwütigen und rachsüchtigen Tochter der Herodias. In der „Inselstadt“ schloss er sich der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) an, in den späten 1970ern begann er seine Künstlerkarriere. Salomé schuf damals Werke von einer Drastik, die er später nicht wieder erreichte. Sie gehören zu den bemerkenswertesten und schockierendsten Stücken in der Städel-Schau. Flächig-abstrahierend, dunkles Schwarz und Rot kontrastierend, stellt Blutsturz von 1979 den gewalttätigen Sexualakt zweier Männer dar. Babylon von 1978 zeigt zu einer Orgie zusammenkommende Körper. Der schnelle, ruppige Strich lässt einen an den Expressionismus der Brücke-Künstler denken.

Vielleicht sind es genau diese Bilder, die bis heute verstörend wirken, dabei aber gleichzeitig eine enorme Faszination ausüben, die erklären können, warum eine neue Sehnsucht nach den Subkulturen der 1980er Jahre entflammt ist. In ihrer Radikalität versperren sie sich der Gemütlichkeit der Gegenwart, in ihrem eruptiven, sich auflehnenden Gestus verweigern sie sich dem Markt. In der Tat gehörten Salomés frühe Malereien zu den wenigen Werken der Neo-Expressionisten, die sich eher schlecht verkauften, die in den Ausstellungen ausgespart wurden. Kommerziell erfolgreich wurde er erst später mit Prominentenporträts und Seerosenbildern. Sein drastisches Frühwerk aber fordert ein, was heute so häufig fehlt: Haltung, Auseinandersetzung, Dissidenz.

Info

Die 80er. Figurative Malerei in der BRD Städelmuseum Frankfurt am Main, bis 18. Oktober

Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland Haus der Kunst München, bis 11. Oktober

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