Die Farbe des Blutes

Todesparolen In der Türkei macht sich eine nationalistische Stimmung breit

Es ist gerade zwei Monate her, dass die 10. Istanbuler Kunst-Biennale mit ihrem Motto "Nicht nur möglich, sondern auch nötig - Optimismus im Zeitalter globaler Kriege", kuratiert von dem chinesischen Ausstellungsmacher Hou Hanrou, zu Ende gegangen ist (Freitag 37/2007). Und jetzt hören wir die lauten Rufe des Nationalismus im Zeitalter der globalen Kriege auf den Straßen von Istanbul. Während große Menschenmassen mit gegen die kurdische PKK gerichteten Slogans demonstrieren, um die "Mehmetcik", die einfachen türkischen Soldaten, trauern und Tränen um die Märtyrer der türkischen Armee vergießen, hört man immer wieder dieselben Rufe: "Nieder mit der PKK, nieder mit Amerika". Das Merkwürdige dabei: Mit genau denselben Parolen ging einst die linke Bewegung der sechziger Jahre auf die Straßen.

Studenten von der Istanbul Universität bis zur Yildiz-Universität demonstrieren in der Stadt. Ähnlich wie bei den großen "Laizismus"-Demonstrationen vor den letzten Parlamentswahlen gehen Männer, Frauen, Kinder und Ältere in Istanbul, Izmir und Ankara mit und zwischen wehenden roten türkischen Fahnen auf die Straßen. Man hört Frauen schreien, dass sie mit ihren Kindern in den Krieg ziehen wollen. "Die Nationalistische Bewegung" benötigt keine Partei oder irgendein Organ, um die Massen zu mobilisieren, sie findet ihre Stimme im Volk selbst wieder, das sich bei solchen Ereignissen zu einem einzigen Körper zusammen schweißen lässt. Die linke Zeitung BirGün benutzt in diesem Zusammenhang Schlagzeilen wie "Die Regierung instrumentalisiert die Vorkommnisse und Demonstrationen um von ihrer Wirtschaftspolitik abzulenken". Das die Preissteigerungen weit über den Inflationsraten liegen, lesen wir ebenfalls in der Presse.

Den türkischen Fahnen, die seit ein paar Jahren über den Hügeln des Bosporus wehen, begegnen wir jetzt überall auf den Straßen, Seite an Seite ausgestellt mit den Fahnen der Stadtverwaltung von Istanbul. Es scheint, als ob der andauernde Irak-Krieg unseres großen Verbündeten, der USA, mit den Interessen der Türkei nicht mehr übereinstimmt. Auch wenn Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu US-Präsident Bush reist und man ihn öfters sagen hört, dass "wir in Afghanistan und im Korea-Krieg Seite an Seite mit den Amerikanern gekämpft haben". Es sieht eher danach aus, als ob sich die USA notfalls auch gegen die Türkei stellen würde. Gleichzeitig verlieren die internationalen Beziehungen, zu denen auch die Türkei gehört, mit rasanter Geschwindigkeit ihre Balance.

Die Bemühungen der jüdischen Lobby, um die Abstimmung über die Resolution zum Genozid an den Armeniern im US-Repräsentantenhaus zu verhindern, die engen Beziehungen zwischen Putin in Russland und Ahmadineschad im Iran sowie die Unterstützung der türkischen Militärs durch Assads Syrien, gegen die PKK, deuten auf eine antiamerikanische Entwicklung im Mittleren Osten hin. Darüber hinaus sind die neuen Beziehungen an der Grenze von China und Russland von Bedeutung. Die jüngsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenschlüsse der chinesischen Einwanderer in Chabarowsk sowie die Erhöhung der chinesischen Investitionen in die Öl- und Gasarbeiten auf der russischen Halbinsel Sachalin sind nur einige Beispiele.

Was die Türkei im Inneren anbetrifft, ist es bemerkenswert, dass sich eine Front innerhalb der Universitäten gegen Biennale-Kurator Hanrou herausgebildet hat. Der Grund hierfür sind seine Anmerkungen im Katalog der Biennale. Darin beschreibt er Atatürks kemalistisches Projekt als Modernisierung von "oben nach unten". Die öffentliche Rüge Hanrous durch eine Dekanin der Marmara-Universität für die Künste in Istanbul fand unter den Lehrenden und besonders beim Rektor der Universität großen Nachhall. Ausgerechnet der Bereich für "moderne Malerei" nimmt in diesem Jahr eine besonders kritische und politische Haltung gegenüber den Organisatoren der Istanbul-Biennale und ihrer Ausstellung zeitgenössischer Kunst ein.

Hanrou beginnt seine Einführung im Katalog mit dem Hinweis dass wir uns im Zeitalter der "globalen Kriege" befinden und fügt hinzu, dass die dritte Welt ein globales Projekt ist. Es ist interessant, dass der in Frankreich und San Fransisco lebende chinesische Kurator, seine Feststellungen zu einem Zeitpunkt macht, wo sich das "Zentrum der Welt" in Richtung Asien bewegt. Hanrou bezieht sich auf die Parallelen zwischen den postkolonialistischen Modernisierungsprozessen in der Dritten Welt und der Türkei. Das Scheitern der Modernisierungen in den Ländern dort sieht Hanrou in dem gewalttätigen und diktatorischen Führungsstil der autoritären Eliten begründet. Auch die kemalistische Modernisierung der Türkei, so Hanrou weiter, sei zwar durch eine revolutionäre, aber autoritäre Elite forciert wurden. Diese Feststellung ist natürlich eine Provokation für jeden rechtschaffenen Kemalisten.

Seit der Ernennung des deutschen Kurators René Block zum Leiter der Istanbul-Biennale im Jahr 1995 gab es immer wieder kritische Stimmen von einigen Galeristen und Akademikern gegen diese Veranstaltung. Nun hat sich auch die renommierte Marmara-Universität der Künste dieser Kritik angeschlossen. Ihre politische Rüge in Richtung der Biennale zeigt, in welche Richtung die Fronten verlaufen. Kunst und Politik sind sich noch nie in der populären Kultur der Türkei so einig, gleichzeitig aber auch so kontrovers gegenüber getreten. Noch nie wurde über eine Biennale in den Medien so viel berichtet, noch nie zuvor fand die zeitgenössische Kunst so viel Gehör. Glücklicherweise sieht es (noch) nicht so aus, als ob die Angriffe den freien Geist der zeitgenössischen Kunst und den "Optimismus"-Gedanken Hanrous kippen könnten. Trotzdem dürfte es interessant sein, in welche Richtung sich diese Diskussion und die Istanbuler Kunstszene entwickeln werden, wenn Ende November die Istanbuler Kunstmesse stattfindet.

Auffällig ist, dass in diesen Tagen die Befürworter der EU-Mitgliedschaft der Türkei still und zurückhaltend reagieren - anders als die Gruppen, die sich von der EU enttäuscht fühlen, die die Amerikaner nicht mehr als ihre Verbündeten sehen und sich ins extrem nationalistische Lager zurückziehen. Diese Haltung findet man auch bei den Gruppen, die nach der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink (Freitag 5/2007) auf die Straße gegangen sind. Man findet sie auch bei den Gruppen, die "Wir sind alle Armenier" gerufen haben, die den Mord als nationalistisch motiviertes Komplott verurteilten, und bei den pazifistischen Gruppen. In merkwürdigem Kontrast dazu stand, dass man in den meisten ausgestellten Werken der Istanbul-Biennale die "Internationale" hören konnte. Die Arbeiten verströmten eine utopische Sicht der Dinge. Die Unsinnigkeit von Grenzen und Kriegen hatte beispielsweise der kanadisch-chinesische Künstler Ken Lum zu reflektieren versucht. In seiner architektonischen Installation House of Realization war eindunkler Raum von drei Korridoren umgeben. Ein darin angebrachter Spiegel reflektierte ein Gedicht des türkischen Sufi-Dichters Yunus Emre aus dem 13. Jahrhundert. Von dem dunklen Raum aus sehen die Besucher durch die Spiegelrückseite hindurch den Text an der Wand und die anderen Besucher, die den vom Spiegel reflektierten Text lesen. Doch in der aufgeheizten innenpolitischen Atmosphäre dieser Tage scheint Lums Wiederaufnahme des ganzheitlichen auf Harmonie und Frieden basierenden Gedankens von Yunus Emre vergessen zu sein.

Die Biennale in diesem Jahr hatte sich auch zum Ziel gesetzt, das Verschwinden modernistischer Projekte im Stadtbild Istanbuls, wie der Atatürk-Kulturhalle auf dem zentralen Taksim-Platz, zu thematisieren. Sie war gleichsam ein Plädoyer für die Erhaltung jener Bauwerke der sechziger und siebziger Jahre. Dieser Ansatz hat aber, gerade am Vorabend des Nationalfeiertages zum 29.Oktober, paradoxerweise zur Wiederbelebung der Stimmung der zwanziger Jahre, unmittelbar nach dem Vertrag von Sèvres, geführt, als die europäischen Kolonialmächte das osmanische Erbe als Mandatsgebiete unter sich aufteilen wollten und den Kurden einen eigenen Staat versprachen. Die Nachrichten von der irakischen Grenze, sowie die Forderung nach der Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan, an der unter anderem auch Leyla Zana und einige kurdische Abgeordnete der Partei DTP beteiligt waren, haben die Regierung, Opposition und das türkische Militär zu einem einzigen Körper zusammengeschweißt. Es scheint so, als ob der Grundsatz des Islam, das Einswerden mit der Masse, den Geist der Politik in der Türkei okkupiert hat.

Die Istanbul-Biennale plädierte für Optimismus, aber wir erleben heute eine Türkei in der sich auf alle Ebenen der Gesellschaft Todesparolen und Pessimismus ausbreiten. Während sich die Biennale mit ihrem vitalen Optimismus aus den Medien verabschiedet, hinterlässt sie ihren Raum nun kampfwütigen Studenten, die sich über die Nachrichten von computergesteuerten Angriffen und Bombardierungen von PKK-Camps freuen. Die interaktive Installation RGB´s War des thailändischen Künstlers Porntaweesak Rimsakul auf der Biennale, wo man durch Knopfdruck militärische Helme in Bewegung setzen konnte, um nach der perfekten Kombination der Grundfarben Rot Grün Blau (RGB) zu suchen, scheint in unserem Land ironischer (oder trauriger?) Weise auf die Farbe des Blutes hinauszulaufen.

Das Biennale-Motto "Optimismus im Zeitalter globaler Kriege" beschwor die Auswirkungen eines lokalen Krieges auf die globale Welt. Noch nie hatte sich die Kunst so fern, aber auch so nah an der gesellschaftlichen Realität positioniert wie in diesem Jahr in Istanbul. Nun scheint es so, als ob das, was man in der Ferne glaubte, ganz nah an uns herangetreten ist. Wir spüren seinen Atem.

Aus dem Türkischen übersetzt von Sevgi Gürez

Ali Akay lehrt Soziologie an der Mimar-Sinan-Universität der Schönen Künste in Istanbul und arbeitet dort als unabhängiger Kunst-Kurator.

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