A
Ausgestorbene Disziplinen
Softballspieler haben keinen Zutritt zum Olympischen Dorf mehr. Ihre Sportart, eine Baseball-Variante, wurde vom IOC gestrichen. Und Baseball gleich mit. Das ist lange keiner Disziplin mehr passiert. Zum letzten Mal, 1936, erwischte es Polo.
Ein solcher Ausschluss hat vor allem mit der Popularität einer Sportart zu tun, auch mit ihrer Attraktivität für die Zuschauer. 1904 bei den Spielen in St. Louis etwa gab es den Kopfweitsprung. Dabei hüpfte der Sportler ins Wasser und durfte dort keine Schwimmbewegungen machen, bis er an die Oberfläche kam. Dann wurde die Weite gemessen. Ähnlich spektakulär für das Publikum: das Unterwasserschwimmen 1900 in Paris. Der damalige Goldmedaillengewinner tauchte erst nach mehr als einer Minute und 60 Metern wieder auf. So kamen viele Disziplinen nur zu einmaligen olympischen Ehren: Pferdeweitsprung, Motorbootrennen oder auch Taubenschießen – mit echten Tauben, versteht sich. Mark Stöhr
D
Doping
Es ist von den Spielen nicht wegzudenken, und auch 2012 wird die Kritik am Testsystem nicht abreißen. Die verbotene Leistungssteigerung ist so alt wie die Spiele selbst. Stierblut und Alkohol bescherten den Athleten in der Antike Wettbewerbsvorteile. Der Marathon-Gewinner von 1904 nahm mit Strychnin angereicherten Brandy ein; Kokain war damals ebenfalls verbreitet. 1960 kippte der dänische, mit Amphetaminen vollgestopfte Rennfahrer Knud Jensen vom Rad. Er ist das erste und einzige bestätigte olympische Dopingtodesopfer.
Alle des Dopings überführten Sportler aufzuzählen, darunter zahlreiche Medaillengewinner, , wäre freilich müßig. Zu ihrer hohen Zahl trug auch die Gründung der World Anti-Doping Agency bei, die dafür sorgt, dass man sie entdeckt. Sportler bemängeln allerdings, sie würden ob der strengen Kontrollen unter Generalverdacht gestellt. Und der für seine hohen ethischen Standards bekannte Fußballfunktionär Joseph Blatter sieht gar eine Hexenjagd am Werk. Tobias Prüwer
E
Exoten
Was wäre das „Treffen der Jugend der Welt“ ohne seine „Exoten“? Oder sollte man besser sagen: ohne seine Lachnummern? Es ist viel Heuchelei im Spiel, wenn Sportler wie der Kenianer Phil Boit oder Éric Moussambani aus Äquatorialguinea für ihre Olympiateilnahme beklatscht werden. Boit ging 1998 in Nagano beim Skilanglauf an den Start und wurde 92. von 92 Startenden. Éric Moussambani paddelte 2000 in Sydney auf den 100 Metern Freistil mühsam ins Ziel und gilt bis heute als schlechtester Olympionike in dieser Disziplin. Man reichte geschäftig die Geschichte herum, dass er erst acht Monate zuvor Schwimmen gelernt habe.
Die „Exoten“ erinnern das Medien- und Markenevent Olympia an sein altes Amateurversprechen. Und die Schlauen unter ihnen vermarkten ihr Exotentum. Wie der Brite „Eddie the Eagle“, der vielleicht schlechteste Skispringer aller Zeiten. Er verdiente nach seiner sehr kurzen Landung 1988 in Calgary geschätzt mehr als eine halbe Million Euro. MS
I
Ideal
Während die einen ihre gestählten Körper im Schweiße des Angesichts zur Schau stellen, machen es sich die anderen mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher bequem. Ein unwillkommener Nebeneffekt: Repräsentative Sportveranstaltungen können Gefühle der körperlichen Mangelhaftigkeit auslösen. Dazu besteht eigentlich kein Grund. Denn das Begehren nach vollkommener Kontrolle des muskulösen und athletischen Körpers à la Antike ist historisch geformt: Zahlreiche Analysen haben seit Leni Riefenstahls Film Olympia von 1936 die Idee eines idealen Olympia-Körpers als eines der zentralen Instrumente der NS-Ideologie enttarnt. Will man nicht wirklich. Deshalb kann man sich getrost über den Schnitzelfriedhof streicheln und Gedanken an potenzielle Trainingseinheiten beiseite schieben. Juliane Löffler
Idol
1972 war ich gerade 13 Jahre alt, frisch im Schwimmverein und hatte von Politik wenig Ahnung. Mark Spitz (➝ Schicksalsjahr ’72) wurde mein Idol. Einen Schwimmer wie ihn hatte es noch nicht gegeben, er gewann sieben Goldmedaillen, jede mit neuem Weltrekord. Das Poster, das ihn in einer Stars-and-Stripes-Badehose mit dem gesammelten Gold auf der Brust zeigt, ein Verkaufshit in den USA, zierte bald auch meine Zimmerwand. Direkt nach Olympia zog er sich aus dem Profisport zurück, was sollte er auch noch mehr erreichen? Hollywood klopfte an, aber mehr als ein paar Fernsehauftritte gab es nicht. Sein Comebackversuch vor Olympia 1992 scheiterte, vorhersehbar. Trotzdem sollte es 36 Jahre dauern, bis sein Medaillenrekord durch Michael Phelps gebrochen wurde. Jutta Zeise
J
Jesse Owens
Seine Teilnahme war schon im eigenen Land umstritten. Natürlich zeigten sich auch Hitler und Adjutanten (➝ Propaganda) not amused, zusehen zu müssen, wie der Mann durchstartet, ein schwarzer Student aus Columbus, Ohio, 22 Jahre alt. Er holte im August 1936 in Berlin erst Gold im 100-Meter-Sprint, dann im Weitsprung, schließlich in zwei weiteren Disziplinen.
Jesse Owens war der überragende Athlet der Spiele, die Zuschauer im Stadion feierten ihn. War er wirklich ein Sieger? Sein Leben danach war kaum ruhmreich. Die (weiße) Spitze der US-Gesellschaft ließ den Star abblitzen. Manche Sportfunktionäre weigerten sich, seine Leistungen anzuerkennen: die falsche Rasse. Hotels wiesen ihn und seine Frau ab. Er wurde zum tragischen Helden: Bei Spektakeln rannte er mit Pferden um die Wette. Mit Pferden! In den 1960ern erinnerte man sich wieder an Owens, gab ihm Werbeverträge. Er nahm sie alle an. So sehr er auch in die Kameras lächelte, sein Blick zeigte die Wunde. Maxi Leinkauf
K
Kleidervorschrift
Im antiken Griechenland waren die männlichen Athleten teilweise nackt, aus praktischen oder homoerotischen Gründen. Denn Frauen mussten leider draußen bleiben. Was Vorgaben der heutigen Zeit angeht: Laut einer 1996 erlassenen Kleidervorschrift sollen die Höschen der Frauen beim olympischen Beachvolleyball hübsch knapp sein; nur sieben Zentimeter breit, so die Vorgabe, durften sie an der Hüfte sein.
Nun hat der Volleyballweltverband den Bikinizwang gelockert: Shorts und Tops sind fortan auch erlaubt. Als Grund für die Regeländerung wurde nicht die Einsicht angegeben, dass die alte Regel sexistisch war, sondern Respekt vor religiösen Gebräuchen. Da nimmt es nicht Wunder, dass Saudi-Arabien erstmals zwei Frauen an Olympischen Sommerspielen teilnehmen lässt – allerdings im Judo und im 800-Meter-Lauf. TP
M
Medaillenspiegel
Olympische Disziplinen wie Kugelstoßen oder Gewichtheben nimmt man sonst kaum zur Kenntnis. Das mag an ihrer Robustheit liegen. Bei Olympia ist das jedoch anders. Schon weil die deutschen Teilnehmer in der Regel nicht so schnell laufen und so hoch springen können wie die anderen, dafür aber weit werfen und schwer stemmen, vielleicht noch gut schwimmen und reiten, fiebern wir mit No-Name-Nischensportlern mit, wegen des Medaillenspiegels. Denn der kommt im Leistungsvergleich der Länder gleich nach der Bruttoinlandsprodukt-Bilanz. Und siehe da, Deutschland liegt im ewigen Ranking auf Platz drei – dank der unzähligen Siege übrigens von DDR-Sportlern. MS
P
Propaganda
Sport und Politik, so hört man bisweilen, passen angeblich nicht zusammen. Das ist aber falsch, wie die olympische Geschichte zeigt. Sie ist gespickt mit propagandistischen Heimsuchungen. Schon die Idee des nach Nationalzugehörigkeit geordneten Wettkampfs zeugt davon. Boykotte – schon 1896 riefen deutsch-nationalistische Kreise zum Olympia-Boykott auf – sind da noch ein mildes Mittel. Berüchtigt ist Berlin 1936 (➝ Jesse Owens), als die Nazis „arische“ Überlegenheit demonstrieren wollten.
Als 1968 zwei US-200-Meter-Läufer während der Siegerehrung Fäuste in die Luft streckten und so die Black-Power-Bewegung international bekannt machten, wurden sie nach Hause geschickt.
Auf dem Gipfel des olympischen Terrors – auch hier wurde der Sport für politische Zwecke benutzt – wurden in München elf israelische Sportler ermordet (➝ Schicksalsjahr‘ 72). In Atlanta zündete ein Rassist 1996 eine Bombe, zwei Menschen starben, 111 wurden verletzt. TP
S
Schicksalsjahr ’72
Ach, wie verehrte ich als Jugendliche diesen Mark Spitz mit seinen sieben goldenen Schwimm-Medaillen (➝ Idol)! „Zehn Tage lang“, hält mein Tagebuch am 11. September 1972 fest, „ging alles gut, Deutschland heiter und bemüht, die Spiele von 1936 vergessen zu machen. Selbst Rhodesien ist kein Thema mehr.“ Dann der Anschlag und Schluss mit lustig. „Alle Welt empört sich über diese ‚verabscheuungswürdige Tat‘, Staatsmänner aus aller Welt erwarten etwas. Was eigentlich?“ Das Tagebuch rapportiert die sich überschlagenden Ereignisse und fragt: „Ist der olympische Friede im Eimer?“
Zwischenfälle bei den Siegerehrungen: Zwei amerikanische Sprinter protestieren gegen Flagge und Hymne; Pakistan fällt durch skandalöses Verhalten auf, die USA erscheinen nach dem umstrittenen Sieg der UdSSR im Basketball erst gar nicht. Am Ende die Frage vieler damaligen Jugendlichen: „Warum wurden die Spiele nicht abgebrochen?!“ Ulrike Baureithel
Schokolade
Woran ich denke, wenn ich an Olympia denke? An Sport. Selbstverständlich zuerst an Ritter Sport Olympia. Diese Füllung aus Haselnüssen und einer Creme aus Joghurt, Traubenzucker und Honig – diese Sorte vermittelt einem das Gefühl, man tue sich was Gutes. Ich weiß, ich klinge wie ein bezahlter Werbeträger. Bin ich aber nicht. Die Sorte war Segen meiner Kindheit, Trost in der Jugend, Beruhigung im Studium, Stress-Stopper im Job. Vor wenigen Jahren hieß es, Olympia würde aus dem Sortiment genommen. Ich war im achten Monat schwanger und verzweifelt. Ich schrieb denen eine flehende E-Mail. Wenige Wochen später sah ich die goldene Glitzerschoki wieder in den Regalen stehen, das Leben hatte wieder Sinn. Und als Schwangere sagt man sich: „Ha, gut gemacht!“ Die Tochter hat dann aber doch einen anderen Namen bekommen. Stefanie Leimsner
Z
Zivilisierung
„Dabei sein ist alles“ mag heute das Grundverständnis der Spiele sein, mit dem olympischen Geist der Antike hat es aber wenig zu tun. Bei den alten Griechen zählte nicht das Dabeisein, sondern einzig und allein der Sieg. Zweit- und Drittplatzierte wurden nicht prämiert, eigentlich nicht einmal wahrgenommen. Dem glücklichen Sieger winkte dagegen ein erfülltes Leben. Statt der Goldmedaille gab es den Olivenkranz als Zeichen der Göttlichkeit, in seiner Heimatstadt wurden ihm lebenslang Unterkunft und Verpflegung gestellt.
Für die nicht so Erfolgreichen konnten die Spiele dagegen tödlich enden. Faustkampf und Ringen wurden bis zum bitteren Ende ausgefochten, mehrfach starben Athleten im Ring. So gesehen haben die Spiele der Neuzeit vielleicht an Nervenkitzel eingebüßt, dafür aber an Humanität gewonnen. Sebastian Triesch
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.