Die Ernte ist sicher

A-Z Spargel Um kein Gemüse wird solches Gewese gemacht wie um Spargel. Selbst Andy Warhol verewigte ihn, und mancher Brite denkt, Spargel erkläre die Deutschen. Das Lexikon der Woche


Die Böotier, ein kleines Volk Mittelgriechenlands, hatten in der Antike nicht den allerbesten Ruf. Bei den Griechen und Römern galten sie als unkultiviert, als grobschlächtige Bauern. Doch die Böotier schätzten den Spargel. Weniger wegen seines Geschmacks als wegen seiner angeblich aphrodisierenden Wirkung: Jede Braut bekam daher vor ihrer Hochzeit einen Kranz aus Spargeln umgehängt. Der Spargel ist schon allein aufgrund seiner phallusartigen Gestalt als Aphrodisiakum prädestiniert, auch wenn kein Mann sein Geschlechtsteil gerne mit dünnen Stängeln verglichen haben möchte. Wie die Venusmuschel oder die Artischocke soll der Spargel die Fantasie anregen. Darüber hinaus soll er den Flüssigkeitshaushalt stimulieren und den Stoffwechsel. Wissenschaftlich bewiesen ist das freilich nicht, aber manchmal versetzt ja bekanntlich schon allein der Glaube Berge. Mark Stöhr

Deutsches Wesen

Es gibt viele Wege, der Welt zu zeigen, woher man kommt. Man kann seinen Müll in Fahrradkörbe werfen statt einfach gleich auf die Straße – das ist ziemlich eindeutig deutsch. Man kann an roten Fußgängerampeln warten, obwohl kein Auto kommt, oder David Hasselhoff für einen Weltstar halten – deutsch.

Ein britischer Journalist, der in Berlin lebt, Paul Sullivan, hat eine Liste mit Dingen zusammengestellt, die man tun kann, um deutsche Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen. Er behauptet, dafür müsse man nicht mal unvermittelt den Zweiten Weltkrieg erwähnen. Es reiche zu sagen: „Dinner for One? Kenne ich nicht.“ Oder noch besser, weil der Deutsche von April bis Juni Spargel zu Frühstück, Mittag- und Abendessen esse: „Ich mag Spargel nicht, vor allem nicht diesen geschmacksfreien weißen.“

Richtig ist zwar, dass diese Liste ungefähr das Niveau eines Buchs wie Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken erreicht, aber man wird jenseits aller Klischees mal sagen dürfen, dass sich über nicht-promovierten Humor eigentlich nur der Deutsche aufregt. Klaus Raab

Energieverschwendung

Mit Folien oder Gewächshauskonstruktionen haben die Gemüsebauern schon länger den Beginn der Spargelsaison vorverlegt. Dass nun aber Spargel schon Mitte März den Markt erreicht, ist eine extreme Form der Energieverschwendung. Möglich macht die Stangenfrühchen eine künstliche Wärmequelle. So sorgt eine Fußbodenheizung im Acker für den nötigen Temperaturschub, der das weiße Gemüse zum vorzeitigen Sprießen bringt. Ab Dezember fließt 35 Grad warmes Wasser durch Heizröhren im Boden und deutet den beginnenden Frühling an. Manchmal wird die überschüssige Abwärme einer Biogasanlage hierfür verwendet. Oft aber treibt eine Hackschnitzelanlage die Untergrundheizung an, einige Bauern verfeuern sogar wertvolles Öl.

Da sich der Kilopreis bei solchem Aufwand jedoch locker zwischen 15 und 20 Euro einpendelt, kann man nur hoffen, dass das eine dekadente Nischenproduktion bleibt. Tobias Prüwer

Farbentheorie

Spargel gibt es hauptsächlich in zwei Farben: weiß oder grün. Auf der Landkarte liest sich die jeweilige Dominanz willkürlich. In den USA, in Spanien, auch in Großbritannien werden die grünen Stängel bevorzugt. Deutschland oder Frankreich hingegen mögen es eher weiß. Ein Grünspargel ist ursprünglich nichts anderes als ein „Bleichspargel“, nur dass er nicht in einem Erdwall wächst, sondern im Freien und dadurch Chlorophyll für die Photosynthese entwickelt. Bis man im 18. Jahrhundert die Technik des „Anhäufelns“ entdeckte, waren in Deutschland alle Spargel grün. Inzwischen wird die Sorte speziell gezüchtet. Die Wahl der Farbe ist eine Frage der Ökonomie und der Distinktion. Grünspargel steht für eine robuste Konstitution und einen herzhaften Geschmack, er kann maschinell geerntet werden. Sein weißer Bruder ist empfindlicher, schmeckt feiner, bedarf der individuellen Betreuung und gilt als Delikatesse. Grün ist ein Gemüse unter anderen und – wie es die Farbe erahnen lässt – ein bisschen gesünder. MS

Ich, der Spargel

Ich bin ein Kind der Achtziger. Gefragt waren damals große Muskeln und breite Schultern. Ich war schmächtig. Ich war ein Spargel. Monatelang machte ich morgens Liegestütze und trank nachmittags Schlagsahne. Es half nichts. Als ich mit 14 zum ersten Mal in eine Disko ging, trug ich zwei Sweatshirts übereinander in der Hoffnung, kräftiger auszusehen. Nachts imaginierte ich eine Welt, in der zartgliedrige Jungs das Schönheitsideal waren. Meine Mutter sagte, Frauen machten sich nichts aus Muskeln. Ich lernte: Wenn Mütter müssen, dann lügen sie. Ich bin noch immer ein Spargel. Aber die Welt hat sich gedreht. Als Anfang des Jahrtausends das Siebziger-Revival den Röhrenschnitt auf den Markt spuckte, wollte ich Gott danken. Die Skinny-Jeans ist die Rache des Spargels. Mikael Krogerus

Kaiser

Franz Joseph I., der 68 Jahre lang auf Österreichs Kaiserstuhl thronte, war dem Spargel verfallen. Alle Kaiser der k.u.k.-Monarchie waren anspruchsvoll, wenn es um Kulinarik ging. Friedrich III. wurden süße Früchte zum Verhängnis, ihm musste schließlich das linke Bein wegen Diabetes amputiert werden. Sein Urenkel Ferdinand I. aß gern Pfau mit überzogenem Federkleid. Und bei Franz Joseph durften Rindfleisch und Spargel nicht fehlen: Spargel als kalte Vorspeise, Spargelsuppe, Spargel mit Butterbröseln sowie Blunzenpofesen (Blutwurst im Teigmantel) mit grünem Spargel. Der Spargel musste aber so weich sein, dass man ihn ohne Messer zerlegen konnte. Der Kaiser aß schnell. Das Essen galt als beendet, wenn sein Besteck niedergelegt wurde. Kein Gast stand aber mit leerem Bauch auf. Nachdem Majestät fertig war, nutzte er sein blitzsauberes Messer, um den Backenbart zu richten. Agnes Szabo

Kampfmetapher

Manchmal dauert es nicht lange, bis es ein Wort in den Duden schafft. Dass mit „Verspargelung“ ausgerechnet eine konservative Kampfmetapher binnen weniger Jahre Aufnahme ins Wörterbuch gefunden hat, kann kaum verwundern. Die Sprachhüter entscheiden nach Verwendungshäufigkeit und die angeprangerte „Veränderung des Landschaftsbildes durch Windräder“ boomt. Der Schriftsteller Botho Strauß führte 1999 in einem Spiegel-Essay die „Verspargelung“ am Beispiel seiner Wahlheimat Uckermark in die ideologisch aufgeladene Windkraft-Debatte ein. So richtig will das Bild des unterirdisch wachsenden Gemüses nicht passen, aber die Kampfmetapher fand große Verbreitung. Strauß geißelt die Zerstörung der Aussicht, sieht „nicht nur Lebens-, sondern auch tief reichende Erinnerungsräume“ in Gefahr. Einmal mehr ist es also der Kulturbegriff, der in Deutschland herhalten muss, um sich von Veränderungen abzuschotten. Ob sich ein Atomkraftwerk ästhetischer in die Landschaft fügt, darüber schwieg Strauß. TP


Beim Spargel, meint man, ist das Geschlecht klar, zumindest sprachlich: Er ist ein Mann. Botanisch gesehen hat der Spargel aber wie andere Pflanzen auch weibliche und männliche Vertreter. Die weiblichen Spargelstauden erkennt man daran, dass sie Ende August rote Beerenfrüchte tragen, die beim Menschen übrigens schon in kleinen Mengen zum Erbrechen führen. Im 19. Jahrhundert entdeckten Bauern und Botaniker, dass männliche Spargelpflanzen früher austreiben und mehr Stangen bringen als das andere Geschlecht.

Logische Konsequenz der agrikulturellen Genderdebatte: Der größte Teil des Anbaus ist heute männlich, bei der neuen, überwiegend aus den Niederlanden stammenden Generation von Hybridsorten sogar zu hundert Prozent. Dieser hochpotente Power-Spargel trägt das Mackertum schon im Namen: Er heißt Backlim, Boonlim, Gijnlim, Horlim oder Huchels Alpha, typische Worterfindungen von Technokraten. MS

Saisonarbeiter

Sie sind auf Hartz IV, aber sie bücken sich nicht gern. Nicht für diesen Hungerlohn. Sie verschwinden schon beim ersten Regen und lassen die Ernte verrotten. Oder sie erscheinen gar nicht erst. So klagen zumindest viele Bauern. Der deutsche Spargelstecher – ein Auslaufmodell. Auf der Website des Verbandes Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer steht daher: „Saisonarbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern sind im Spargel- und Erdbeeranbau während der Erntezeit unersetzlich.“

Polen, Ukrainer oder Kroaten packen zu. Sie sind anspruchslos und effizient, arbeiten bei Wind und Wetter, auch für 4 bis 6 Euro die Stunde. Wie aber kriegt der deutsche Bauer sie schnell aufs Feld, wenn die heimischen Schluffis mal wieder aussetzen? Ab diesem Jahr brauchen die meisten osteuropäischen Saisonarbeiter keine EU-Genehmigung mehr. Die Ernte 2012 ist sicher. Maxi Leinkauf

Sauce Hollandaise

2 Eigelb, 1 Esslöffel Vollmilch-Joghurt (kein Magerjoghurt!), Saft einer halben Zitrone und 1 Prise Salz mischen. Nach und nach 250 Gramm geschmolzene Butter zugießen. Mit Pürierstab mixen. Fertig. Sophia Hoffmann

Schälen

Alle Jahre wieder der Streit: Wie befreit man die weißen Stängel am besten vom Holzkleid? Zeig’ mir deinen Spargelschäler, und ich weiß, wer du bist. Es gibt die Unbekümmerten, die der Hülle mit stumpfen Messern oder Kartoffelschälern zu Leibe rücken – und klatsch, das Gemüse in Sekundenschnelle entkleiden. Da bleibt oft wenig übrig. Die Sensibleren schwören auf den besonderen Schäler, den sie liebevoll über den Stängel gleiten lassen. Ein besonderer Apparat verspricht den Faulen Entlastung: Einmal durchziehen, fertig. Vorausgesetzt, der Spargel ist akkurat gewachsen, sonst hat man Spargelsalat. Ulrike Baureithel

Warhol, Andy

Was hat der große Andy Warhol mit Spargel zu tun? 1959 veröffentlichte der Mann, der gern Tomatensuppe in Dosen oder Bananen porträtierte, zusammen mit der Künstlerin Suzie Frankfurt das Kochbuch Wild Raspberries. Das satirische Werk beinhaltete neben anderen Kuriositäten auch das Rezept „Salade de Alf Landon“, der aus Hummer, Kapern, Eiern und Spargel besteht. Dazu gibt es eine Illustration des Künstlers: Auf den Spitzen der in einer Art Gugelhupf steckenden Spargelstangen balancieren hartgekochte Eier. Poetischer und verspielter wurde Spargel nirgends sonst in der bildenden Kunst dargestellt. Namensgeber Alf Landon war 1936 Präsidentschaftskandidat der Republikaner und erlangte vor allem durch seine Medienscheue Ruhm. Er reiste ungern und hasste öffentliche Auftritte, weshalb er dann auch gegen Roosevelt unterlag. Ein komischer Kauz, genau wie Warhol. SH

Zubereitung

Gemüse wie Nudeln kochen? Bis gegebenenfalls noch der Zahnlose des Genusses teilhaftig werden kann? Das ist beim Spargel auch in Zeiten des Schon-Gar-Fetischismus verbreitet. Wie schade! Spargel hat zwar wenig an Nährstoffen zu verlieren, aber in Folie gebacken oder auch gebraten kriegt man nicht was Schlechteres geboten. Dafür aber mal was Neues. Kathrin Zinkant

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