Der Filmagent von heute ist ein Technokrat. Sein Feld sind der Cyberspace und die Geopolitik. Von der Verheißung eines schönen Lebens keine Spur. Er muss den Status quo schützen. Das war in den Sechzigern anders, der Hochzeit des Genres. Zwischen 1962 und 1967 wurden allein in Westeuropa zwischen 600 und 700 Agentenfilme gedreht.
Viele von ihnen – allen voran selbstverständlich die James-Bond-Serie – warfen immer auch einen Blick über den Eisernen Vorhang. Der Westagent: ein Transporteur der kapitalistischen Werte mit den schnellsten Autos, schönsten Frauen und exotischsten Reisezielen. Er führte ein Leben, von dem der Durchschnittskapitalist träumte. Von den Ostbewohnern gar nicht zu sprechen.
Die Agenten in vielen ostdeutschen Produktionen, in denen der Spion zum Spionieren in den Westen geschickt wurde, führten dieses Leben selbstverständlich nur zum Schein. Sie rührten in ihrem Martini – und schütteten ihn heimlich in den Blumentopf. Mark Stöhr
Am 25. Juli 1978 explodiert an der JVA Celle eine Bombe und reißt ein rund 40 cm großes Loch in die Gefängnisaußenmauer. Für Behörden und Medien riecht alles nach RAF-Terrorismus, schließlich befindet man sich im Nachklang des Deutschen Herbstes. Man geht von einem Befreiungsversuch des 35-jährigen Sigurd Debus aus, der als mutmaßlicher Terrorist eine Haftstrafe wegen Banküberfällen und Anschlagsvorbereitungen verbüßt. Im April 1986 veröffentlicht die Hannoversche Allgemeine Zeitung eine mediale Bombe: Der Anschlag war eine Inszenierung von Polizei und Verfassungsschutz. Regierungskreise waren eingeweiht. Diese „Aktion Feuerzauber“ genannte vorgegaukelte Befreiungstat sollte V-Leuten Glaubwürdigkeit verleihen. Konsequenzen hatte der Sprengstoffeinsatz von Staats wegen für die Beteiligten nicht. Tobias Prüwer
Die meisten Staaten treffen bei ihren Geheimdiensten eine grundlegende Unterscheidung zwischen In- und Ausland. Das hat einen großen Vorteil. Während nach innen für Spione meist strengere gesetzliche Grenzen gelten, geht nach außen so einiges. Berühmt-berüchtigt sind die Verstrickungen des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA in Drogengeschäfte, gezielte Tötungsaktionen und Umstürze missliebiger Regierungen. Die USA haben ihre Geheimdienste aber nicht nur zweigeteilt, sondern sie in ein Behördenwirrwarr von 15 unterschiedlichen Organisationen aufgesplittert. Mit fatalen Folgen. Die CIA gab vor dem 11. September wichtige Infos nicht weiter, weshalb einige der späteren Attentäter, nach denen das FBI fahndete, nicht bei ihrer Einreise in die USA verhaftet werden konnten. Jan Pfaff
In der aktuellen Diskussion um Verzagen oder Versagen der Geheimdienste bei der (Nicht-)Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) fällt eine Unterscheidung häufig unter den Tisch: Jene zwischen verdeckten Ermittlern, V-Personen und Informanten. Während Informanten einmalige Tippgeber sind, stecken V-Leute den Ermittlungsbehörden regelmäßig Informationen zu – im Idealfall. Denn im Rahmen der „NSU“-Ermittlung ist aufgedeckt worden, dass die V-Personen nicht immer vertrauenswürdige Quellen abgeben. So sollen bezahlte Zuträger auch Fehlinformationen weitergeleitet haben und mit dem Staatsgeld Projekte der extremen Rechten finanziert haben. Das ist nicht verwunderlich, gehören sie doch selbst der Szene an. Da diese aber – so argumentieren die Behörden – schwierig durch verdeckte, tatsächlich beim Verfassungsschutz arbeitende Ermittler zu unterwandern sind, sei man weiter auf V-Leute angewiesen. Mit allen Konsequenzen. TP
2006 wurde in einem Moskauer Park ein Stein gefunden, den unsereiner wohl für den Vorboten einer Invasion aus dem All gehalten hätte. Russlands Inlandsgeheimdienst FSB enttarnte das Pseudo-Fossil jedoch als Spionage-Utensil der Briten und Info-Transmitter für oppositionelle NGOs. Im Staatsfernsehen wurden Röntgenbilder des Steins und grisselige Aufnahmen von Personen gezeigt, die gegen den Stein kickten, weil der nicht immer richtig funzte. Die Briten dementierten jegliche Beziehung zu ihm. Sechs Jahre später geben sie nun zu: „Der Spionage-Stein war echt peinlich.“ Wer nun denkt, er hätte das besser hinbekommen: Unter dem Slogan „Do you have something to hide? Rock it!“ bietet eine US-Firma online 50 Sorten falscher Steine an. Christine Käppeler
Sicher, um ein echter Spion zu sein, braucht es Talent, Lust an der Täuschung und Geschick beim Spurenverwischen – aber man sollte die Bedeutung des Handwerklichen nicht unterschätzen. Spion ist auch ein Ausbildungsberuf. Um dem Nachwuchs erprobte Techniken zur Verfügung zu stellen, existieren einschlägige Handbücher. In der populär-öffentlichen Variante im Internet bestellbar. Dort finden sich auch Bücher für Kinder ab zehn Jahren, die in diesem Alter von allem Geheimen angezogen werden.
Wie legt man auf einem Friedhof (!) einen toten Briefkasten an? Auf was – jenseits eines angeklebten Barts – hat man bei der Verkleidung für eine Beschattung zu achten? Und wie hört man mit ein paar Blechbüchsen einen Raum ab? All das erklärte mir in den achtziger Jahren ein Jugendbuch mit vielen Zeichnungen. Aus der Geheimdienstkarriere wurde trotzdem nichts. Vielleicht auch, weil die Spionage-Methoden in diesem Buch schon damals so hilflos veraltet waren. jap
Als Gewerbe im Graubereich lädt die Spionage zur Mythenbildung ein. Berühmt ist die Venusfalle Mata Hari (1876–1917), die als deutsch-französische Doppelagentin im Ersten Weltkrieg ihre zahlreichen Liebhaber um Informationen erleichterte. Die Schöne endete mit Schrecken: Frankreich ließ sie hinrichten. Brandt-Melder Günter Guillaume (1927–95) ist der bekannteste deutsche Spion. Als Agent der Staatssicherheit infiltrierte er das Kanzleramt und war von 1972–74 Referent von Kanzler Willy Brandt. Nach seiner Enttarnung – Brandt trat zurück – saß Guillaume einen Teil seiner Gefängnisstrafe ab und kehrte in die DDR zurück. Dort leitete der Meister seines Fachs Markus Wolf (1923–2006) bereits im Alter von 29 Jahren den Auslandsnachrichtendienst. Er vertrat eine langfristige Strategie, nach der seine Spione hohe Positionen in der BRD erlangen sollten, bevor sie tätig würden. Zwar distanzierte er sich später vom Staatsapparat, wurde aber nach der Wende wegen Landesverrat verurteilt – was unvollstreckt bleibt. TP
Wer überwacht wird, darf sich wichtig fühlen. Diese DDR-Erfahrung teilte durchaus auch die linke Szene im Westen, wenn der Staat wieder einmal einen Spitzel eingeschleust hatte. In der politischen Vorstellungswelt der siebziger Jahre war „Big Brother“ allgegenwärtig, was nicht nur Telefonate in klandestine Bahnen lenkte, sondern auch innerhalb der eigenen Reihen Misstrauen schürte. Manches Grüppchen operierte ohnehin nur mit Tarnnamen. Tatsächlich erinnere ich mich allerdings nur an einen einzigen Fall, der unsere Überwachungs-Paranoia bestätigte. Der staatliche Spion, der uns jahrelang ausgeforscht hatte (ein armes Würstchen, nebenbei bemerkt), wurde nach seiner Enttarnung allerdings seines Lebens nicht mehr froh: Dieser Spion kam nicht aus der Kälte, sondern landete in bitterem Frost. Ulrike Baureithel
Wer in Solln gemeldet ist, darf sich „Münchner“ nennen, während eine Kleinigkeit weiter, in Pullach, die Provinz schon offiziell begonnen hat. Man kann insofern sagen, dass der für Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst, der nach wie vor, wenn auch nur noch bis 2014, in Pullach seine Arbeit macht, eine Provinzbehörde ist. Zum Bedeutendsten, was Pullach populärkulturell zustande gebracht hat, zählt die Aufzeichnung einer kleinen, schön-schrägen Talkshow mit Barbara Schöneberger in einem Gebäude, in dem sich auch die Gaststätte „Zum Rabenwirt“ befindet. Es muss nicht, kann aber daran liegen, dass die deutschen Geheimdienste von der Popkultur – anders als etwa CIA oder Mossad – nicht besonders stark mit Aufladung bedacht wurden. Pullach ist vielleicht einfach zu süß. Klaus Raab
Die Spezies der Spioninnen gilt als besonders heimtückisch, weil die Frauen die Waffen ihrer Weiblichkeit wenn nicht einsetzen so zumindest gezielt damit spielen, um dem Feind Informationen zu entlocken. Während ihren Kollegen gerne Cleverness und Kaltblütigkeit attestiert wird, beurteilt die Presse die Spioninnen lieber als besonders raffiniert oder einfach nur „hübsch“. Siehe Anna Chapman, die russische Spionin, die 2010 in London enttarnt wurde – oder Mata Hari knapp 100 Jahre davor.
Den Mythos der spionierenden Femme fatales bedienten schon vorher Frauen wie „La Belle Rebelle“ aka Isabelle Boyd während des amerikanischen Bürgerkrieges, Louise de Bettignies im besetzten Frankreich während des Ersten Weltkrieges oder Amy Elizabeth Thorpe, die in Washington mit gezielten Schäferstündchen die Vichy-Politiker ausspionierte. „Kriege werden nicht durch achtbare Methoden gewonnen“, kommentierte sie rückblickend ihren Einsatz. Gina Bucher
Eine Konstante in der innenpolitischen Debatte ist der Streit zwischen Befürwortern von Freiheit und Befürwortern von Sicherheit. Spione brauche man, um Gefahren vom Staat abzuwenden, sagen die einen. Die anderen sagen, ein bisschen vom Staat unbeobachtet gelebt werden dürfe ja wohl noch. Nur der Türspion ist von den Diskussionen ausgenommen. Es ist kein Gegner der Sicherheitspolitik bekannt, der einen Türspion aus Prinzip zugeklebt hätte. Wäre auch seltsam, es ist schließlich der einzige Spion, der noch nie gegen die Freiheit eines anderen verstoßen hat. Wer vor der Tür steht, sieht, dass er beobachtet werden kann, könnte also frei entscheiden, abzuhauen. Wer drin ist, kann die Tür zulassen, wenn die Zeugen Jehovas davorstehen. Welch ein Freiheitsgewinn. raa
Für Spione muss das der Worst Case sein: Verschlusssachen landen im Internet und können dort von der Öffentlichkeit eingesehen werden. Abertausende Depeschen von US-Botschaftern, Strategiepapiere der US-Militärs, Bankgeheimnisse. Online-Plattformen wie WikiLeaks sind der natürliche Feind von Geheimdiensten. Die totale Transparenz steht hier gegen die totale Geheimhaltung. Der klassische Spion, wie man ihn sich vorstellt, legt sich eine neue Identität zu und schleicht sich an die Informationen heran. Dann gibt er sie streng vertraulich weiter, um nicht aufzufliegen. WikiLeaks setzt auf „Lecks“ im System, auf „Whistleblower“, die das Diskrete von den Dächern pfeifen. WikiLeaks ist nur der Verstärker, damit es auch alle hören. Welches Instrument in diesem Konzert spielt noch der Spion? Höchstwahrscheinlich gar keines mehr. MS
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