Yummie!

Junk Food II Heiße Hexe, Bifi Guarana, Cheddar aus der Dose oder Asia-Nudelbox. Das alles essen wir. Freiwillig. Weil es ab und an glücklich macht. Eine etwas andere Frühlingsdiät

Heiße Hexe

Wer in den achtziger Jahren als Teenager in einer deutschen Kleinstadt lebte, der schmeckte beim Biss in einen Burger die weite Welt. Auch wenn es nur das Mikrowellen-Modell von „Heiße Hexe“ war. Jedes Fastfood war Fett gewordene Coolness. Gesegnet waren jene, über deren Stadt schon ein neongelbes „M“ leuchtete. Denn sie hatten einen beheizten Jugendtreff, in dem es echte Big Macs und zu Gold frittierte Hühnerreste gab. Woanders blieb nur der nächtliche Gang zur Tanke. Denn dort lauert bis heute die „Heiße Hexe“.

Seit Mitte der achtziger Jahre versorgt der britisch-niederländische Mischkonzern Unilever Tankstellen, Kioske und Frei­bäder mit den Burgern aus der Mikrowelle. Von „Heiße Hexe“ gibt es auch Fritten, Currywürste und Mini-Pizzen. Einfache Snacks, die teuer verkauft werden – dort, wo es nach Benzin oder Chlor riecht. Und wo es eigentlich gar keine Küche gibt.

Der Trick ist simpel: Nach anderthalb Minuten Strahlendusche wölbt sich die Packung in der Mikrowelle wie ein Fesselballon. In der dampfenden Hülle wartet meist die Karikatur eines Cheeseburgers. Wie viele „Heiße Hexe“-Snacks jährlich verkauft werden, will Unilever nicht verraten. Nur soviel: Neues im Sortiment, Bio etwa, wird es nicht geben. Der Kunde verlange nur die Klassiker, in der von ihm gewohnten Qualität, sagt ein Sprecher. Und für viele Jugendliche ist es wahrscheinlich nach wie vor weiter zu McDoof als zur nächsten Tanke. Deshalb geraten sie, als moderne Version von Hänsel und Gretel, immer wieder in die Fänge der „Heißen Hexe“. Adrian Pickshaus

Bifi Guarana

Lange bevor Markenidentitäten geplant wurden, verschaffte sich das Wurst-Zitat einen entscheidenden Vorsprung: Die handliche Salami in ihrer doppelten Plastikhülle war und ist auch beim Metzger des Vertrauens in Pappaufstellern zu finden – zum Leidwesen all der Fleischereifachverkäuferinnen, die Kindern ein Rädchen Geldwurst auf die Hand anbieten. Keine Chance. Alle wollen: BiFi (hergestellt von Multitasker Unilever). Weil sie eben nicht nach erwachsener Wurst aussieht, aber so schmeckt. Die BiFi bleibt bis ins hohe Alter Nummer eins jener Fleischesser, die gerne auf dekontextualisierte, verniedlichte Formen zurückgreifen, um nicht an totes Tier erinnert zu werden. Konfliktvermeidung, Komplexitätsreduktion etc. (Der Preis: Ab und an enthält die Wurst Glassplitter). Nur konsequent, dass die BiFi nun einen alten Kindertraum wahr macht: nicht schlafen gehen zu müssen. Susanne Lang

Cheddar aus der Dose

Diese Sünde findet man selbst in ausgewählten Fachgeschäften nur selten – zuverlässiger für den Sprühkäse „american style“ ist da schon eher ein online Importgeschäft. Der „Cheese Zip“ ist eine Schmelzkäsezubereitung in der Sprühdose, unschlagbar praktisch für Cracker, Sandwiches oder Hamburger. Zzzzzipp, zzzzzipp, zzzzzipp – alleine das Geräusch ist schuld am Suchtfaktor.

Die Sehnsucht danach ist nostalgischer, beinahe philosophischer Art: Weder die Erinnerung an das amerikanische Auslandsemester noch die Einladung zu einer üblen Motto-Party taugen als Erklärung. Vielmehr konserviert die Sprühdose den Geschmack der Freiheit während des fernweh-gesteuerten Roadtrips quer durch den anderen Kontinent und steht für die tatsächliche Umsetzung unbegrenzter Möglichkeiten. Da ist mehr drin, als drauf steht. Die 227 Gramm Cheddar Cheese, in diversen Geschmacksrichtungen, machen bequem und die Finger nicht schmutzig. Das ist denn auch die eigentliche Freude daran: Die Lust, den Käse direkt in den Mund zu sprühen. Erst das spätere, komische Gefühl im Bauch, lässt die Frage zu, warum da auf der Verpackung steht: „made with real cheese“, auch wenn es davon immerhin satte 35 Prozent seien.

Sinnigerweise heißt einer der Hersteller des sahnig-milden Käses „Old Fashioned Foods“. Und, es gibt auch eine deutsche Variante davon – wenn auch ohne Sprüh-Effekt: Eine Käsecreme in der Tube, in verschiedenen Geschmacksrichtungen.

Der Bikini-Faktor des Sprühkäses? Egal, this is America. Unförmige Nebeneffekte liftet man sich, spätestens beim nächsten USA-Aufenthalt, weg. Schließlich erlebt man die Ankunft im Schlaraffenland nicht täglich, und wer verzichtet schon gerne auf die Erinnerung an die Kindheit, als man noch glaubte, die Spaghetti wuchsen an Bäumen? Gina Bucher

Texanischer Feuertopf

Nichts verstanden hat, wer den Texanischen Feuertopf als schnödes Dosenfraß für jene abtut, die des Kochens nicht kundig sind. Sicher, gesund ist die Mischung aus Bohnen, Fleischresten und Glutamat nicht. Aber dafür hat der Texanische Feuertopf (bei Discountern wie Aldi für knapp 80 Cent, die Luxusversion von Erasco kostet mehr als das Dreifache) einen großen Vorzug: Er ist das ideale Campingessen.

Nahezu unbegrenzt lagerbar trotzt er im Metallmantel Nässe und Hitze. Und wenn es einem beim Zelten im April gelingt, in einer Regenpause eine Portion auf dem Gaskocher zu erhitzen, schmeckt die braun-rote Pampe großartig. Auch weil der Stolz hinzutritt, der Natur – so weit man in unseren Breitengeraden auf sie trifft – eine warme Mahlzeit abgetrotzt zu haben. Und sei es auch nur eine aus der Dose. Jan Pfaff

Beef Jerky

Der Wilde Westen hat zuletzt herbe Imageverluste erlitten: Oscarpreisträger Ang Lee ließ in Brokeback Mountain Cowboys am Lagerfeuer kuscheln. Winnetou wurde von Bully Herbig durch den Kakao gezogen. Und der Marlboro-Mann musste am eigenen Leib erfahren, dass Rauchen tödlich sein kann. Doch der Mythos der Prärie lebt weiter, kulinarisch. Etwa in den Western-Wochen der Fastfoodketten. Auch Fernsehkoch Jamie Oliver beschwört in seinem Amerika-Kochbuch deftige Rancherküche. Wem die zu aufwendig ist, der kauft sich einfach eine Packung „Beef Jerky“: getrocknete Rindfleischfetzen in Tüten. Perfekte Trucker-Nahrung.

Die Erfinder dieses Fleischsnacks sind die amerikanischen Ureinwohner. Mangels Kühlschrank schnitten sie Bison-Fleisch in dünne Streifen, salzten und trockneten es in der Sonne. Die weißen Siedler tauschten das Dörrfleisch-Rezept gegen Glasperlen, Krankheiten und Feuerwasser. Heute wird „Beef Jerky“ im Großbetrieb mariniert und über Buchenholz geräuchert. Das Streifenfleisch sieht aus wie luftgetrockneter Schinken. Aber der Geschmack ist viel süßlicher, er erinnert an rheinischen Sauerbraten mit Rosinen. Im Abgang kommt Dosenhering in Tomatensoße dazu. Aber einen großen Vorteil hat „Beef Jerky“: Es ist nahezu fettfrei und reich an Proteinen. In Sachen Strandfigur ein Powersnack. Die größten Produzenten kommen aus den USA, in Deutschland gab es Import-Jerky lange nur an Tankstellen und in Online-Shops. Eine Luxusvariante wird jedoch bereits in Mecklenburg-Vorpommern gefertigt: Ein Landgut macht dort Jerky, das nach Bärlauch oder Meerrettich schmeckt. Aus Fleisch vom Freilandrind, mit ökologischem Hufabdruck. Futter für grüne Großstadtcowboys. Falls es die gibt. Adrian Pickshaus

Ein Glas Nutella

Danach ist einem überall dort, wo man Gast ist. Daheim frühstückt man ja auch selten den ganzen Tag, abgesehen davon würde man ein Glas höchstens für den Besuch kaufen, der dann meist das ganze leert. Die süße Nuss-Nugat-Creme macht glücklich, weil man sich mit ihr herrlich erwachsen und vernünftig fühlen kann. Schließlich weiß man genau, dass Nutella eigentlich nur für die Großen erfunden wurde, die über die Zucker-Falle genauestens Bescheid wissen und deshalb die richtige Dosis kennen. Der Umgang mit dem Spielverderber ist nichts für die Kleinen, höchstens als Bestechungssmittel für hyperaktive Kinder. Einst legte der piemontesische Konditor Pietro Ferrero mit seiner Erfindung in den vierziger Jahren den Grundstein für das Vermögen seiner Nachfahren. Der in den fünfziger Jahren in Italien als Supercrema verkaufte Brotaufstrich, hieß ab 1965 Nutella und gehörte als Selbstverständlichkeit des Wirtschaftswunders auch auf deutsche Frühstücks­tische. Damit vergoldeten sich später auch etliche Werbeträger ihren Nebenerwerb, von Boris Becker über Martina Ertl bis zu den Fußballspielern der Nationalelf.

Zwar verhilft der Bikini-Figur-Faktor von Nutella zuverlässig zu den in diesem Sommer angesagten Rundungen, wie sie derzeit auch die Damen in Hollywood propagieren. Aber die gesunde Variante, Nutella auf Vollkornbrot, nein, das schmeckt immer noch nicht. Nicht so wie damals, als man als Zwölfjährige auf italienischen Campingplätzen damit Italienisch lernte, oder später, als man Cannabis-bedingten Heißhunger einzig mit Nutella zu stillen vermochte. Dafür weiß man unterdessen, dass der Mythos, die Köstlichkeit im unverkennbaren Glas sei mit Schweineblut hergestellt, von genervten Eltern erfunden wurde. Nutella ist, versichert Ferrero, absolut „halal“. Gina Bucher

Asia Nudelbox

Es begann Mitte der neunziger Jahre. Die Wirtschaft globalisierte sich, Asien wurde immer wichtiger, deutsche Rucksacktouristen reisten durch Thailand – und auf einmal wollten alle fernöstlich essen. Man schwärmte von den Vorzügen des Woks. Da sollte nichts mehr anbrennen, schnell sollte es gehen und weniger fettig sein. So begann der Siegeszug der Asia Nudelbox.

Das Versprechen: Leichtes, gesundes und politisch korrektes – da nicht des US-Kulturimperialismus verdächtiges – Fast Food, angeboten von freundlichen Menschen hinter riesigen Nudelbergen. Zur Asia Box greift, wer sich polyglott fühlen will. Wobei die markanten Pappschachteln mit der inwendigen Beschichtung erst vor drei, vier Jahren den Weg nach Deutschland fanden. Vorher bekam man das Essen meist in eine Plastikschale gekippt. Bei der vermeintlichen Leichtigkeit der Mahlzeit beginnt aber der Trugschluss. Auch wenn die Zutaten – Nudeln, Gemüse- und Hühnchenstücke – unverdächtig sind, bei der Zubereitung werden sie meist so in Öl ertränkt, dass sie eine infernalische Wirkung entfalten. Das Völlegefühl im Anschluss lässt sich nur mit Reisschnaps bekämpfen.

Warum man trotzdem immer wieder die Nudelbox wählt? Sie bietet in vielen Städten die einzige nächtliche Alternative zu Döner und Currywurst. Vom deutschen Hunger auf die Asia-Box profitierten dabei viele Vietnamesen, die als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen waren und nach dem Mauerfall einen neuen Job suchten. Mittlerweile ist die kulinarische Globalisierung sogar noch ein Stück weiter vorangeschritten. Weil es in den neuen Bundesländern nur sehr wenige Türken gibt, verkaufen die Asia-Snacks dort neben der Nudelbox auch gleich noch Döner. Jan Pfaff

Rye and Ginger

Es gibt verschiedene Arten, sich an einer Bar lächerlich zu machen. Eine der sichersten ist es, den falschen Drink zu bestellen. Irgendwas mit Sonnenschirmchen („Sex on the Beach“) drin etwa oder mit verdächtig vielen Spirituosen („Long Island Ice Tea“). Noch schlimmer aber ergeht es jenen, die glauben, alles richtig zu machen und mit ihrer Bestellung doch grandios daneben liegen: zum Beispiel, indem sie lässig das Post-Prohibitions-Getränk „Rye and Ginger“ fordern. Das ist Canadian Whiskey („Rye“ genannt) oder Bourbon, stillos verwässert mit Ginger Ale. Der Bartender – sofern er eine Ausbildung genossen hat – runzelt bei der Bestellung missmutig die Stirn, der Whiskey bekommt Kopfschmerzen, man selber später auch. Hinzu kommt das schlechte Gewissen: Beim Kauf eines „Rye and Ginger“ versaut man eine edle Spirituose und unterstützt einen der Getränkemultis, den inzwischen zum Dr. Pepper Snapple Group gehörenden Cadbury Schweppes-Hersteller von Ginger Ale.

Warum also, um alles in der Welt, sollte man sich so einen Drink bestellen?

„Rye and Ginger“ macht aus dem rauchigsten Malt einen vergnüglichen Longdrink. Und aus dem langfädigsten Connaisseur einen angenehmen Trinkbruder. Babe Ruth soll es jeden Morgen getrunken haben. Aber wer weiß noch, wer Babe Ruth war? In einer Zeit, in der gesellschaftlich erledigt ist, wer Old Fashioned für einen Second-Hand-Laden und Mint Julep für eine kanadische Sängerin hält, ist die Bestellung eines Whiskey mit Ginger Ale an der Bar ein politischer Akt gegen die fortschreitende Ästhetisierung der Nachtkultur. Mikael Krogerus

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