Harte Strafen als Abschreckung

FRANKREICH Die Mädchen beginnen, sich zu wehren

Etwa 30.000 Mädchen und junge Frauen sind jedes Jahr von fgm bedroht, meist Töchter von Einwanderern aus West-Afrika. Selbst wenn die Eltern arm sind, bezahlen sie der Beschneiderin pro Eingriff 50 bis 150 Mark.

Beim jüngsten Prozeß im Februar erstattete erstmals ein Opfer selbst Anzeige - gegen ihre Mutter und die Beschneiderin. Die 23jährige, in der Nähe von Paris lebende Jurastudentin Mariatou Koita ist die älteste Tochter einer aus Mali stammenden Familie. Die Mutter wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Beschneiderin, die zwischen 1983 und 1994 48 minderjährige Mädchen verstümmelt hatte, zu acht Jahren Haft ohne Bewährung. Die Urteile waren deutlich härter als in früheren Prozessen.

Frankreich ist das einzige Land, das nicht nur Beschneiderinnen, sondern auch Eltern bestraft. Als 1982 ein kleines Mädchen an den Folgen der Verletzung starb, empörte sich die französische Gesellschaft. Die ersten fgm-Prozesse fanden statt, sie endeten mit Freisprüchen, später mit Bewährungsstrafen. Seit 1984 wird Verstümmelung vom obersten Gerichtshof nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen eingestuft. Dank der engagierten Beharrlichkeit der Rechtsanwältin Linda Weil-Curiel wird das Gesetz auch angewandt: Richter berufen sich nicht mehr auf den »kulturellen Hintergrund« und erkennen den Tatbestand der Körperverletzung. 1991 wurde zum ersten Mal eine Beschneiderin zu fünf Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.

Die Höchststrafe bei Verstümmelung von Mädchen unter 15 Jahren sind 15 Jahre Freiheitsentzug. Sind die Opfer älter, droht entweder eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder eine Geldstrafe von rund 300.000 Mark. Doch meist fehlt ein Kläger. Alle bisherigen Verfahren wurden durch alarmierte Kinderärzte, Rechtsanwälte oder Sozialarbeiter angestrebt.

Die Regierung klärt seit den achtziger Jahren über fgm auf, medizinisches Personal wird daran erinnert, daß solche Praktiken verboten und meldepflichtig sind. In Kinderkliniken liegen Aufklärungsbroschüren für Eltern aus. Der Staat unterstützt einige Organisationen, die gegen sexuelle Verstümmelung kämpfen, finanziell. Mitte der neunziger Jahre startete die Regierung eine Aufklärungskampagne mit Postern und Informationsblättern, die sie unter afrikanischen Einwanderern in der Umgebung von Paris, wo die meisten aus Afrika stammenden Familien leben, verteilte.

Unabhängige Frauengruppen setzen sich seit langem vehement für die Ausrottung von fgm ein, vor allem die »Kommission zur Abschaffung von sexuellen Verstümmelungen« (C.A.M.S.). Oft treten Mitglieder dieser Organisation in Prozessen als Nebenklägerinnen auf. Die C.A.M.S. glaubt nicht an Veränderung durch Einsicht und fordert immer wieder Haftstrafen ohne Bewährung. Vor einigen Jahren erstellte sie einen 15minütigen Film, der in Paris spielt: Die fiktive Geschichte einer afrikanischen Familie, die sich gegen die Verstümmelung ihrer Tochter entscheidet. Dieser Film wurde in Französisch und in vier afrikanischen Sprachen produziert und Familien, Ärzten, Richtern und Anwälten vorgeführt.

Der jahrelange Kampf zeigt Erfolge: Die jüngere Generation beginnt sich zu wehren. Sie fühlt sich mißbraucht und verraten von denen, die sie eigentlich schützen sollten. Über die Gerichtsprozesse erfahren die Mädchen, daß sie das Recht auf ihrer Seite haben. Wenn kürzlich die Abschiebung einer Frau, der in Guinea sexuelle Verstümmelung drohte, aus diesem Grund ausgesetzt wurde, unterstützt das eine solche Entwicklung.




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