Südafrika ist derzeit das Land auf dem Schwarzen Kontinent, das mit am stärksten von einer rapiden Ausbreitung der Immunschwäche Aids betroffen ist. Jeder Neunte im Land ist mit dem HI-Virus infiziert - insgesamt 4,7 Millionen Menschen. Vor allem unter Jugendlichen grassiert die Krankheit. So wird den heute 15- bis 25-Jährigen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35- bis 40 Jahren prophezeit. Immer wieder sind es bei Mädchen und Frauen besonders Opfer von Vergewaltigungen, die mit dem Krankheitserreger infiziert werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einer Gefahrenzone, die von Brazzaville bis Nairobi und von Khartum bis Kapstadt reiche. Aufgrund des vorliegenden statistischen Materials hatte sich die Organisation bereits 1995 veranlasst ge
veranlasst gesehen, ihre ohnehin düstere Prognose für die Ausbreitung der HI-Viren noch einmal nach oben zu korrigieren: Sie rechnete bis 2000 mit etwa zehn Millionen akuten Aids-Erkrankungen in Afrika, inzwischen liegt dieser Wert nach regierungsoffiziellen Meldungen an die WHO bei über 25,3 Millionen.Vor kurzem sorgte in der südafrikanischen Presse wieder der Fall eines 14-jährigen Mädchens für Schlagzeilen, das 1999 brutal vergewaltigt und ermordet worden war. Erst jetzt - zwei Jahre später - wurden die Täter verurteilt. Kein Land der Welt kennt bezogen auf die Einwohnerzahl eine derart hohe Quote von Sexualdelikten wie Südafrika. NGO schätzen, dass nur jedes 30. Opfer Anzeige erstattet. Eine Vergewaltigung bedeutet nicht nur ein furchtbares Trauma, mit dem die Überlebenden zurecht kommen müssen. Oft werden sie auch mit dem HI-Virus infiziert. In Südafrika, aber auch in den Nachbarstaaten sind Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 25 Jahren besonders stark von Aids betroffen. Dabei geht es in erster Linie nicht um ein Gesundheitsproblem, sondern um Macht- und Geschlechterverhältnisse innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft. Aufrufe zu sexueller Enthaltsamkeit und zur Nutzung von Kondomen können der Dimension des Problems nicht gerecht werden. Oft sind es vor allem die Menschendeponien der Bidonvilles, in denen sich Aids wie ein Flächenbrand ausbreiten kann. In den Vorstädten rund um Kapstadt haben sich Gangs als Teil hervorragend vernetzter internationaler Drogenkartelle etabliert. Sie besitzen soziale Macht und unterstützen die Armensiedlungen zum Teil finanziell. Die meisten Gangs rekrutieren besonders junge Männer. Mädchen und Frauen sind entweder Freundinnen oder arbeiten als Prostituierte oder Drogenschmugglerinnen. Immer wieder kommt es dabei vor, dass ganze Banden junge Frauen als Initiationsritus vergewaltigen. Neue Mitglieder sollen auf diese Weise ihre Männlichkeit beweisen. In mehreren Townships in und um Kapstadt herum besitzen die Gangs außerdem Bordelle, in denen sie Mädchen Drogen verabreichen, missbrauchen und dabei filmen, um die perversen Videos später zu verkaufen. All dies wirkt inzwischen wie ein Motor der Ausbreitung von Aids und ist dem Risikofaktor Promiskuität gleichzustellen. Ähnlich gefährlich sind die Gepflogenheiten, die sich in den Townships nicht selten bei der Fahrt mit Minibussen und Sammeltaxis ergeben. Manchmal nehmen die Fahrer junge Mädchen gern umsonst mit und bringen sie zur Schule oder an den Strand. Als Gegenleistung verlangen sie Sex. Die so genannten "Taxi Queens" riskieren viel. Benita Moolman ist Mitarbeiterin bei Rape Crisis, einer Kapstadter Organisation, die vergewaltigte Mädchen und Frauen berät: "Wenn man aus ärmlichen Verhältnissen hier an der Peripherie der Gesellschaft kommt, gibt es nur wenige Möglichkeiten auszubrechen. Manche freunden sich deshalb mit einem Busfahrer an, der Geld und ein Auto besitzt oder einen Bus fährt. Einige Schuldirektoren sind genau aus diesem Grund dazu übergegangen, eigene Busse zu unterhalten."Viele Frauen können nach einer Vergewaltigung die Täter zwar identifizieren, erstatten aber trotzdem keine Anzeige. Sie haben Angst vor den mächtigen kriminellen Strukturen und trauen der Polizei nicht. Offen über Vergewaltigung zu sprechen, kann in den von Gangs dominierten Domänen gefährlich werden. Diejenigen, die Zeugen eines Gewaltverbrechens werden und eine Anklage unterstützen, riskieren ihr Leben. Die Praktiken der Polizei halten viele Frauen ebenfalls davon ab, Täter anzuzeigen. Manchmal warten die Opfer stundenlang auf unterbesetzten Polizeistationen. Kommen sie dann endlich an die Reihe, müssen sie meist ihre Geschichte zu Protokoll geben, während neben ihnen jemand ein gestohlenes Auto meldet oder nach verlorenen Papieren fragt. Es gibt in Südafrika zwar mittlerweile Polizeiwachen, die einen gesonderten Raum für die Aufnahme von Protokollen haben. Doch das sind Ausnahmen. Viele Vergewaltigungsopfer klagen außerdem über unverschämte Fragen und zynische Kommentare der Ermittler. "Sobald eine Beziehung mit dem Täter besteht, glauben die Polizeibeamten den Frauen oft nicht und schicken sie mit den Worten nach Hause: Das ist doch dein Freund, also verschwende nicht unsere Zeit", berichtet Helene Combrinck vom Community Law Center, einer universitätsnahen Rechtsberatungscrew in Kapstadt.Der Weg durch das Rechtssystem kann dem durch ein Labyrinth gleichen. Wird eine Vergewaltigung angezeigt, dauert es danach mindestens sechs Monate - oft aber bis zu drei Jahren -, ehe der Fall vor Gericht verhandelt wird. Viele Frauen wollen sich so lange nach einer Misshandlung nicht erneut ihre traumatischen Erlebnisse ins Gedächtnis rufen. Außerdem sind die Aussichten auf Strafverfolgung eher gering. Nach den Berechnungen des Community Law Centers enden daher nur zehn Prozent aller gemeldeten Sexualstraftaten mit rechtskräftiger Verurteilung.Immerhin wurde bereits 1993 im Stadtteil Wynberg von Kapstadt das erste Amtgericht für Sexualverbrechen eröffnet - im Unterschied zu den sonstigen Strafkammern mit zwei Anklägern ausgestattet. So kann sich der eine um die Aussage von Zeugen kümmern, während der andere mit den Fällen vor Gericht beschäftigt ist. Mittlerweile wurden in drei weiteren Provinzen Südafrikas ebenfalls derartige Gerichte gebildet. Lilian Aartz vom Institut für Kriminologie in Kapstadt hat maßgeblich an der Entstehung dieser speziellen Einrichtungen mitgewirkt. Sie kritisiert die begrenzten Mittel, die der Justiz dabei nach wie vor zur Verfügung stehen: "Die Gerichte sind unterbesetzt, so dass in der Regel viel länger auf einen Prozess gewartet werden muss als bei anderen Verfahren."In Südafrika müssen Sexualstraftäter damit rechnen, beim ersten Delikt zu mindestens zehn Jahren Gefängnis verurteilt zu werden. Allerdings kommen Angeklagte oft gegen Kaution frei, weil soziale Gründe strafmindernd wirken können. Lilian Aartz: "Es ist doch völlig egal, ob jemand zum ersten Mal vergewaltigt, ob er die Frau kannte oder ob sich die Überlebende an einem gefährlichen Ort aufgehalten hat. Das sind wirklich keine guten Gründe." Eine Rechtskommission der Regierung beschäftigt sich zur Zeit mit neuen Bestrafungsrichtlinien.Im Township Manenberg bei Kapstadt gibt es seit einem halben Jahr ein neues Zentrum für vergewaltigte Frauen und Mädchen, das Thuthuzela Care Center, finanziert aus Staatsgeldern und internationalen Spenden. Das Zentrum ist an ein Hospital angegliedert und kooperiert mit der Polizei. Wenn eine Frau bei einer Polizeistation Anzeige erstattet, nehmen die Beamten sofort Kontakt mit dem Zentrum auf. Dort wird sie von speziell geschultem Personal medizinisch untersucht und erhält außerdem prophylaktisch Medikamente. Sämtliche Arzneimittel stehen kostenlos zur Verfügung, auch das Anti-Aids-Präparat ATZ. Alle Fälle, die vom Thuthuzela Care Center registriert werden, landen später vor einem Gericht - ein ermutigender Anfang.IV-Infektionsrate in einzelnen Ländern Afrikas (Anteil an der erwachsenen Bevölkerung/Stand Dezember 2000)Simbabwe: 26%; Botswana: 25%; Namibia: 20%; Ruanda: 19%; Sambia: 19%; Elfenbeinküste: 8%; Südafrika: 13%; Uganda: 9%