Mal so gefragt: Wenn Jesus Burka tragen würde, dürfte er dann noch am Kreuz in Klassen- und Amtszimmern hängen? Vor einigen Wochen hatte die laxe, aber durchaus verfassungskonforme Äußerung der frisch gebackenen niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan, Kreuze gehörten nicht in staatliche Schulen, eine kurze Erregung ausgelöst. Schnell musste Özkan zurückrudern, denn so offen darf man sich in Deutschland nicht gegen das Wahrzeichen des Christentums aussprechen, schon gar nicht, wenn man muslimische Wurzeln hat.
Ein paar Tage später machte die Nachricht Schlagzeilen, dass Belgien Burka und Nikab im öffentlichen Raum verbieten wolle; jetzt zieht Frankreich nach. Begeisterungsstürme lösen diese Gesetzesinitiativen nicht aus, wohl aber Verständnis. Immerhin ist das viel beschworene „mobile Gefängnis“, das in dieser Radikalität vom Koran nicht gefordert wird, weniger Ausdruck einer religiösen Pflicht als vielmehr horribles Instrument patriarchaler Gewalt. Frauen seien darin zu Insekten degradiert, so beschrieb es einmal die Journalistin Carolin Emcke, als sie unfreiwillig in eine Burka schlüpfen musste und sofort begann, sich vor sich selbst zu ekeln. Die Burka wirkt auf westliches Empfinden wie eine kafkaeske Verwandlung.
Ein raffiniertes Symbol
Ganz so harmlos ist der morbide Charme des Christenkreuzes allerdings auch nicht. Was heißt es eigentlich, dass eine Kultur ein Folterinstrument zu ihrem Wahrzeichen erhebt? Aus distanzierter Perspektive muss der exhibitionistische Leidensfetischismus der westlich-christlichen Bildtradition ebenso befremdlich wirken wie die absurden Verhüllungsgebote mancher islamischer Staaten. Wenn man sich nicht so sehr daran gewöhnt hätte, könnte man die in manchen Landstrichen überzählig herumhängenden Kruzifix-Leichname, vor Schmerz entstellt und mit bluttriefend gemalten Wunden, durchaus als Erregung öffentlichen Ärgernisses einstufen. Die orthodoxe Ostkirche jedenfalls ist wesentlich zurückhaltender in ihrer Bildgebung und setzt auf das Motiv des Christus Pantokrator als Weltenherrscher.
Das Kreuz, mit oder ohne Jesus, ist ein raffiniertes Symbol, es zeigt den Tod und bedeutet gleichzeitig seine Überwindung. Das Folterwerkzeug soll Zeichen der Hoffnung sein, weil ja der Gekreuzigte auferstanden ist. Aber das ist schwierig, denn fraglich ist, ob Bilder wirklich das Gegenteil von dem ausdrücken können, was sie zeigen. Jedenfalls kippt die feine Dialektik von Tod und Leben bedenklich in Richtung einer Überpräsenz dunkler Leidensmale, und in einer Gesellschaft, die an das Leben nach dem Tod nicht mehr glaubt, wird von all den Kreuzen als Zeichen der Erlösung wohl nur noch ein Friedhof übrig bleiben.
Es ist verständlich, dass die christliche Kultur für ihre Zeichen mehr Toleranz aufbringt als für die der Nachbarn. Dennoch sollte klar sein, dass ihre Symbole nicht harmloser sind. Auch mit seiner Empörung über die islamische Misogynie sollte der Westen nicht zu dick auftragen, immerhin toleriert er das Berufsverbot für Frauen in einer seiner Hauptkirchen, und so manches Nonnenhabit ist nicht so weit von der Burka entfernt. Frauenfreundlichkeit kann man zumindest der katholischen Variante der christlichen Kultur nicht nachsagen.
Welche Zeichen sind zulässig?
Religiöse Zeichen haben eine spirituelle, eine kulturelle und eine politische Dimension. In den immer wieder herunterdeklinierten Kruzifix- und Kopftuchdebatten vermischen sich diese Ebenen und werden als Argumente gegeneinander ausgespielt. Oft tauchen alte religiöse Ressentiments als angeblich säkulare Argumente wieder auf. Im Streit um die zulässigen Zeichen trifft die explizite Bildtradition des Christentums auf eine islamische des Bilderverbots. Dass dem Westen das Verhüllen so unheimlich erscheint, liegt eben auch an seiner Kultur der Exhibition, die Freiheit mit Enthüllung gleichsetzt, sei es die der Sünden, der Körper, der Gottesbilder. Der Islam aber, wie auch das Judentum, drückt sich nicht im Bild aus, sondern im Befolgen der Gesetze. In dem Affekt, das Kreuz nicht radikal aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, wohl aber die Burka, wiederholt sich ein alter Kulturkampf um Glaube, Gesetz und das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen”, das die christliche Kultur nie befolgt hat. Der Bann über die Burka ähneln einem Verbot des Bilderverbots, der Akt totaler Verhüllung soll nicht als öffentliche Praxis sichtbar werden. Warum eigentlich, was macht daran so viel Angst?
Religiöse Zeichen und Bräuche sind oft grausam. Sind sie aber deswegen nicht zumutbar? Eine streng laizistische Säuberung der Öffentlichkeit wäre eine Verarmung und säkularistische Bevormundung. Die deutsche Verfassung verbindet den Grundsatz der Neutralität des Staates mit dem Schutz der freien Religionsausübung. Das ist eine weise Haltung, auch wenn sie immer wieder zu sybillinisch klingenden und wenig effektiven Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes führt – und zu einer nicht ganz sauberen Trennung von Kirche und Staat. Sie spiegelt die Komplexität der Religionsfrage und toleriert eben nicht nur das Kreuz, sondern auch Kopftuch/Burka und gegebenenfalls das Schächten. Das Prinzip der „Neutralität durch Pluralität” setzt auf aufgeklärte Bürger und auf ihre kreative Widerstandsfähigkeit.
Mehr muss man nicht erwarten.
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