Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Nest an der Schweizer Grenze, es liegt wunderschön. Wir waren eine große Familie, sieben Kinder, und ich war der fünfte in der Reihe. Als drittjüngstes Kind bist du unter "ferner liefen". Die älteren Geschwister sind Vorreiter oder Prügelknaben, der Jüngste wird verwöhnt. Aber die dazwischen sind ein bisschen außerhalb der Kontrolle, und das wird später eine Rolle spielen in meiner Geschichte mit dem Pfarrer, denn meine Eltern haben überhaupt nicht gerafft, um was es da geht.
Meine Mutter ist eine sehr katholische Hausfrau, mein Vater war Finanzbeamter. Mutter hat uns erzählt, dass mein Vater eigentlich nie Kinder wollte. Er war wahnsinnig streng. Beim Essen hat er immer den Rohrstock mit am Ti
mit am Tisch liegen gehabt. Wenn er abends um halb sechs von der Arbeit nach Hause kam, dann war Totenruhe, und das muss was heißen bei sieben Kindern. Meine Mutter hat das alles mit angesehen. Sie hat darunter gelitten, aber sie konnte nichts machen.Ich hatte Angst vor meinem Vater. Einmal war ich, ich glaube, weil ich ein schlechtes Zeugnis heimgebracht hatte, für die gesamte Schulferienzeit unter Hausarrest, sechs Wochen lang. Zur gleichen Zeit hatte ich aber zusammen mit einem Klassenkameraden auf einem Bauernhof Hasen gezüchtet. Unsere Wohnung lag im Parterre und ich bin dann heimlich während der Dienstzeit meines Vaters aus dem Fenster geklettert, um die Hasen zu versorgen. Eines Tages hat er mich abgepasst. Ich seh´ den von weitem und denke: oh Scheiße, jetzt passiert´s und hab mir sofort in die Hosen gepinkelt vor Schiss. Er war ganz freundlich, weil Passanten vorbeigingen und sagte: "Komm du nur mal, Bürschchen." Kaum war ich zur Tür rein, prügelte er mich mit einem Lederriemen durch die ganze Wohnung. Er hat drauf gehauen, was das Zeug hielt. Das war die schrecklichste Szene, an die ich mich erinnere. Ich war so hilflos, hätte mich gern an einem der Passanten festgeklammert und wär´ mit dem weggegangen.Meine Kindheit und Jugend war also weniger schön, sie war nervig und stressig. Mit 13 habe ich dann den Peter kennen gelernt, den katholischen Priester. Der ist Baujahr 40, war also 16 Jahre älter als ich. Er kam 1969 neu als Kaplan in die Gemeinde und es hieß von ihm, er sei ein ganz toller, lockerer Geistlicher. Er war mein Religionslehrer, und außerdem war ich auch Ministrant in der Kirche. Später hat er mir erzählt, dass er sich damals schon in mich verknallt hätte und deshalb näheren Kontakt zu meiner Familie suchte. Er kam ein bis zwei Mal pro Woche vorbei und hat mit uns Kindern gespielt, "Mensch ärgere dich nicht", Karten, und eben so ein bisschen Familienanschluss gesucht, ich meine, es ist für die Priester ja auch nicht einfach. Ich habe gemerkt, dass da auch von meiner Seite eine Zuneigung zu ihm war, weil der mich einfach nett behandelt hat und auch mal den Arm um mich gelegt hat, das war sehr wohltuend.Zum ersten sexuellen Kontakt mit dem Peter kam es erst zwei Jahre später, es hat sich fast zufällig ergeben. Ich weiß noch genau, am 29. Mai 1971 ist es passiert, ich war gerade 15 geworden. Er war noch spät abends bei uns, hatte den Schlüssel vom Pfarrhaus nicht dabei und hat irgendwie mit meinen Eltern gedealt, dass er bei uns übernachten kann. Mein ältester Bruder war zu der Zeit bei der Bundeswehr und Peter hat offiziell in dessen Bett geschlafen. Die anderen beiden Jungs lagen mit im Zimmer, wir haben noch lange geredet, und als sie eingeschlafen waren, hat der Peter zu mir gesagt, es wär´ ihm so kalt und ob ich nicht rüberkommen würde zu ihm und ihn ein bisschen anwärmen. Zunächst fand ich das noch angenehm, diesen Körperkontakt. Als er mir dann zwischen die Beine gegriffen hat, fand ich das komisch, ich hab´s aber zugelassen, weil ich dachte, bevor du jetzt nein sagst und zurückgewiesen wirst, guckst du mal, was er will. Ich hab gar nicht richtig realisiert, was da abgeht. Ich wollte ihn eigentlich nicht anfassen, aber er hat dann meine Hand genommen und hat sie da so hingeführt, hat gesagt "guck mal" und "fühl mal". So hat das angefangen. Ich war völlig verwirrt und verstört, ich weiß zum Beispiel, dass mir den ganzen nächsten Tag über schlecht war. Ich kann´s nicht mal jetzt richtig beschreiben, es gibt kein entsprechendes Gefühl dazu.Am nächsten Tag hat er mich dann nach dem Mittagessen abgeholt. Ich solle niemandem erzählen, was da gelaufen ist, sagte er, dass er es aber toll findet und gern weiter so hätte. Und ich konnte gar nichts dazu sagen, ich war richtig kaltschweißig, auch am ganzen Körper, überall, so fühllos ein bisschen. Und andererseits wollte ich die Nähe mit ihm nicht verlieren. Es war ganz widersprüchlich.Vorher hatte ich noch keine Beziehungen gehabt, auch keine richtigen Verliebtheiten. Ich war da eher ein Spätzünder mit 15, beim Orgasmus zum Beispiel kam noch gar nix, ich hatte noch keinen Stimmbruch gehabt, hatte keinen Bart, nix, ich hab nicht mal richtig Schambehaarung gehabt, das ging grad erst los. Ich weiß noch, als ein Jahr später etwa der erste Samenerguss kam, fand er das toll und als die ersten Haare da unten wuchsen, fand er das großartig, er hat das Wachstum mit begleitet.Die ganzen acht Jahre, die das gedauert hat, haben wir jeden Tag Sex gehabt. Sofern wir am selben Ort waren, jeden Tag. Er hat mich abgeholt und ist mit mir in den Wald gefahren. Auf eine gewisse Art war ich froh, von zu Hause wegzukommen. Wir hatten ein Geheimzeichen. Peter ist bei uns ums Haus rum und hat gepfiffen, die Melodie "leicht, leicht, leicht bekömmlich", das war eine Werbemelodie für Margarine, glaub´ ich. Die Absprache war, dass ich mich, wenn ich das höre, so schnell wie möglich loseise und zu einem Treffpunkt komme, wo er mit dem Auto wartet. Unter dem offiziellen Vorwand, den Hund auszuführen, sind wir in den Wald gefahren, haben den Hund rausgelassen und es im Auto getrieben.Ich glaube nicht, dass ich deswegen schwul geworden bin. Wenn ich früher in der Schule hörte, wie Jungs von Mädchen redeten, fand ich das nie spannend. Und nachdem die Geschichte mit dem Pfarrer losging, war ich völlig ausgeblendet, was andere Kontakte anging. Durch dieses Versteckspiel war ich völlig isoliert. Es war ganz komisch, er war ja auch mein Lehrer und ich war ganz lange per Sie mit ihm, auch im Bett.Mit 16 habe ich die Schule beendet, aber die Sache zwischen uns lief weiter. Peter hat mich überall mit dem Wagen abgeholt, von meinen Praktika, oder er hat mich nach der Arbeit abgepasst. Irgendwann aber ist ihm die Sache zu heiß geworden. Seine Eltern, die ihm den Haushalt führten, haben auch im Pfarrhaus gewohnt, und wir haben manchmal auch dort ne Nummer geschoben, spät nachts, wenn die Eltern im Bett waren. Irgendwie muss die Mutter gehört haben, dass da noch jemand ist. Sie hat es dem Ortspfarrer gemeldet und auch gesagt, es komme ihr komisch vor, dass der Lars ständig da sei. Als Peter das mitkriegte, hat er sich auf eine andere Pfarrei beworben, in der Nähe vom Bodensee. Ende 1974 ist er dorthin gezogen, ich bin 1975 dann nachgekommen.In dem halben Jahr dazwischen bin ich jedes Wochenende hingefahren. Aber weil seine Eltern auch noch vorübergehend bei ihm wohnten, habe ich in der Garage im Auto übernachtet, das war meine Unterkunft fürs Wochenende. Es hat mir schon gestunken. Das einzige, was er in der Zeit wollte, war Sex, weiter hat er sich nicht um mich gekümmert. Er war ja der Pfarrer und das Wochenende war anstrengend mit Gottesdienst und Beichte hören.Einige Zeit vorher gab es ein endgültiges Zerwürfnis mit meinem Vater. Bei einer dieser Prügelstrafen hatte ich mich, zitternd am ganzen Körper, im Klo eingeschlossen und aus Leibeskräften geschrieen: "Arschloch, hoffentlich stirbst du bald." Das muss ihn sehr getroffen haben, er hat mich von da ab ignoriert, nicht mehr mit mir geredet. Dieses absolute Schweigen hat er mehrere Jahre lang durchgehalten. Der Streit mit meinem Vater war auch der Grund dafür, später zu Peter zu ziehen, ich hab´s zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten. Meinem Vater war alles egal, und meiner Mutter habe ich erzählt, dass Peter mir angeboten habe, bei ihm zu wohnen und in der Nähe eine Ausbildung zu machen. Das fand sie in Ordnung.Die Zeit, die folgte, war, menschlich gesehen, die wertvollste zwischen uns. Zum ersten Mal fühlte ich mich auch innerlich frei, ich hatte ein eigenes Zimmer, ich konnte mich frei bewegen im Pfarrhaus und ums Haus herum. Im Ort selber habe ich mich zurückgehalten, also keinen Kontakt gehabt, aber man gewöhnt sich so daran, dass es fast zum Bedürfnis wird. Wenn du im Pfarrhaus lebst, bist du wie auf einem Präsentierteller, daher muss alles Private völlig geheim stattfinden. In der Gemeinde hieß es, ach der Pfarrer, der ist so toll, der redet nicht nur vom Sozialen, der ist sozial, der hat so viel Räume und nimmt einen jungen Mann auf.Ich glaube, vieles bei ihm war Show. Er hatte seine Strategien, auch um mit sich im Reinen zu bleiben. Einmal kam eine Frau zu ihm, die darunter litt, dass sie als Geschiedene und wieder Verheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen war. Die katholischen Kirche hat ja ein Problem mit Geschiedenen. Man kann aber die Sakramente noch empfangen, wenn man unterschreibt, dass man mit dem neuen Gatten wie Bruder und Schwester zusammen lebt. Dafür gibt es ein richtiges Formblatt. Und diese Unterschrift hat Peter der Frau abgenommen. Ich hab ihn gefragt: sag mal, wie kannst du die Frau das unterschreiben lassen und selber mit mir in die Kiste steigen? Da hat er sich rausgeredet: Wenn die Frau Gewissensbisse habe, müsse er den Amtsweg einhalten. Er selbst habe aber kein Problem, denn er habe nur unterschrieben, dass er nicht heiratet und nicht, dass er keinen Sex hat. "Und außerdem" sagte er, "beruhige dich: Gott schützt die Liebenden." Gewissensnot hatte der sicher nicht, er hatte nur Angst, dass was rauskommt.Ich bin von ihm nie wirklich gefördert worden, und das stinkt mir. Er hat so eine wichtige Zeit bei mir erwischt, diese Bildungszeit, und heute denke ich, es wäre ganz anderes möglich gewesen. Aber ich erinnere mich komischerweise an nichts außer ihm. Er hatte mich ganz und gar in dieses Doppelleben hineingezogen. Er war der beliebte Pfarrer im Ort, hat auch viel bewirkt, die Kirche renoviert, viele Projekte gestartet. Wenn es Feste im Dorf gab, war er der Mittelpunkt und ich war oben in der Kammer.Die Sexualität mit ihm war, würde ich im Nachhinein sagen, eher langweilig. Er hat mich auch befriedigt, allerdings seltener. Er hat sich immer eher bedienen lassen. Viel später, zwei Jahre bevor Schluss war, da ging es mit Penetration los. Ich kann mich an eine Situation erinnern, da wollte er das unbedingt, und es hat tierisch weh getan. Ich hab gesagt, ich will nicht, er hat aber trotzdem weiter gemacht und mich fest gehalten, ich musste ihn mit aller Kraft von mir stoßen, und er hat mich angeschrieen: "Jetzt wärs mir beinah gekommen und du schiebst mich weg." Das war das einzige Mal, dass es so ein bisschen Gewalt war. Und ich war so enttäuscht, dass er keine Rücksicht auf mich genommen hat. Als ich ganz jung war, hat er das nie gemacht, er hat immer gesagt, er wartet damit, bis ich älter bin. Doch wie er sich aufgegeilt hat, das hat mich manchmal schon angeekelt. Das war ein kurzer Moment, da musste man durch. Er hatte dann so einen bestimmten Blick, eine Geilheit im Gesicht, mich fixiert mit einem Grinsen, das fast etwas Dämonisches hatte. Ich hab dann gedacht, ach, jetzt geht´s schon wieder los. Er konnte auch plötzlich aus dem Nichts heraus Sex verlangen.Ich merke, dass ich manchmal versucht bin zu sagen: das war gar kein Missbrauch. Am Anfang war es das auf alle Fälle, für die ersten zwei Jahre. Aber ich kann die Grenze nicht genau ziehen, weil es bei mir zur Gewohnheit wurde, weil irgendwann auch der Punkt kam, an dem es mir Spaß machte und ich mich darauf eingelassen hatte. Ich denke dann, nach zwei Jahren hättest du ja, wenn´s nur Missbrauch gewesen wäre, ein bisschen mehr Abwehr zeigen können, du hast dich ja gar nicht wirklich gewehrt, hast ja nicht wirklich was unternommen. Da bin ich mir dann ganz unsicher.Und es gab auch mal eine Zeit, in der ich stolz war, mit dem Pfarrer was zu haben. Ich fing an, eifersüchtig zu werden. Männlein wie Weiblein sind ja auf ihn abgefahren in der Gemeinde, denn er war ein ganz offener, ansteckender Mensch. Es gab allerdings auch Leute, die ihn näher kannten und fanden, er sei ein Schleimer.Von mir und Peter gewusst hat kein Mensch. Ob die Leute was geahnt haben, sei dahingestellt, aber gesagt hat niemand etwas. Jesses, irgendwann wollte der Peter, während wir Sex machen, mit einer Selbstbildkamera fotografieren. Na gut, da haben wir also Bilder gemacht, er musste mich von vorne, von hinten, von allen Seiten knipsen. Diese Bilder hat mein jüngster Bruder gefunden, als er mal zu Besuch war. Das hat der aber nicht gesagt. Und ich selbst habe erst 1977/78 das erste Mal etwas über mich und Peter rausgelassen. Da fing dieses ganze Gebäude, das Versteckspiel, schon an zu wanken, und ich hatte solchen Stress mit ihm, richtig Liebeskummer, dass ich es einer einer meiner Schwestern erzählen musste. Die war völlig überfordert, sie hat komisch reagiert. Aber ab da ging das Gerücht zumindest innerhalb meines Geschwisterkreises rum, und in dem Rahmen erzählte mein Bruder dann auch von den Fotos, die er schon lange kannte. Meine Mutter hat die Sache mit Peter erst jetzt erfahren. Vor zwei Jahren hab ich mich ihr gegenüber als schwul geoutet und dann auch vom Pfarrer erzählt. Sie ist aus allen Wolken gefallen.Und die von der Amtskirche? Die müssen etwas gewusst haben, zumindest später. Der heutige Erzbischof hat sich im Rahmen von Problemgesprächen mit meinem Bruder einmal nach mir erkundigt. Sie wüssten Bescheid, und wenn ich Hilfe bräuchte in Richtung Psychotherapie, könnte ich mich vertrauensvoll an die Kirche wenden.Das Verheimlichen fand ich das Schlimmste. Du musst dich verbiegen, vermeidest jeden näheren Kontakt, denn sobald du dich auf jemanden einlässt, fragt der ja nach dir. Ja, zeitweise habe ich schon Schaden genommen durch den Peter. Dadurch, dass er mich so an sich gefesselt hat, dadurch, dass meine ganze Kraft für ihn draufging und nicht für mein persönliches Fortkommen, das verzeih ich ihm einfach nicht. Er hat so viel Energie abgezogen, alles ging für ihn drauf und nichts für mich.Als ich 20, 21 war, fing es dann auch an, schwierig zu werden, weil ich nach dem Dienst mit Leuten wegging und erst nachts spät heimkam. Er hat immer auf mich gewartet und dann gab´s Ärger. Von meiner Seite aus war das wie ein Abnabelungsprozess: nachts weg bleiben, mal einen über den Durst trinken. Und da wurde Peter eigentlich genauso fies und streng wie mein Vater, zwar nicht mit Prügel, aber verbal. Wir waren jetzt miteinander auf Augenhöhe, und das hat die Beziehung nicht vertragen.Auseinandergegangen ist es, als er seine Haushälterin geschwängert hat. Es gab ja eine Phase, in der ich sehr eifersüchtig war, und in der Zeit hat er wohl auch angefangen, sich für Frauen zu interessieren und in der Gemeinde ein paar Sachen laufen gehabt. Ich hab auch mal einen Liebesbrief gefunden. Er wechselte wieder die Stelle, zog in den Schwarzwald, und ich hatte wieder ein Zimmer bei ihm, kam aber auch zur Bundeswehr. Dort, im Schwarzwald, hat er seine spätere Frau, Gabriele, kennen gelernt, mit der er noch heute zusammen ist. Sie ist 18 Jahre jünger als er und hat offiziell als Haushälterin bei ihm gearbeitet. Peter hat wohl fast ein Jahr mit uns beiden parallel verkehrt, ich war ja nur am Wochenende da. Sie wusste nichts von der Sache zwischen ihm und mir, ich war ja offiziell nur ein Freund, gehörte sozusagen zum Hausinventar. Und dann wurde sie schwanger. Er hat es mir nicht mal selber gesagt. Als ich freitags von der Bundeswehr kam, war das Haus leer, nur der Sekretär saß da, ein alter Mann. Der sagte: "Lars, der Pfarrer hört auf, nächste Woche zieht er aus, die Gabriele ist schwanger von ihm." Da war ich wie ein Eisklotz, es ging von unten los, ich konnt´s gar nicht richtig realisieren. Etwa eine halbe Stunde später kam Peter mit Gabriele. Er schaute rein: "Weiß er´s? Ah ja, er weiß es." Und dann fügte er noch zu: "Eins ist mir noch wichtig dir zu sagen: Es ist nicht im Suff passiert. Und eins ist auch klar, ich schlaf heut nacht bei der Gabriele." Dann sind sie in ihrem Zimmer verschwunden, und ich saß da und dachte, was mach ich jetzt? Spring ich gleich aus dem Fenster? Und dann hab ich gedacht: das machst du nicht. Das nicht.Er hat dann nicht mehr unter vier Augen mit mir geredet. Das schulde er der Gabriele, sagte er, und ich solle innerhalb der nächsten Woche meine Sachen wegbringen. Wir hatten auch Tiere zusammen. In der Woche, die noch blieb, hat Peter sie alle entweder weggegeben oder umbringen lassen. Meinen Hund hat er töten lassen, als ich wiederkam, lag der beerdigt im Garten. Die Hasen, die wir hatten, waren geschlachtet, und unsere Vögel waren alle verschenkt. Es war alles aufgelöst. Ich hab gedacht, das kann doch nicht wahr sein, der kann doch jetzt nicht einfach so alles aufgeben. Aber als ich nach dieser einen Woche zurückkam ins Pfarrhaus, war alles leer geräumt, nur er stand noch da und sagte zu meiner Schwester, die mich abholte: "Ich hätt´ ja getippt, dass er sich umbringt. Aber er hat´s nicht gemacht." Ich bin da mit einer gewissen Portion Wut rausgegangen, die mir dann zumindest geholfen hat, zu überleben.Die Trennung war dramatisch. Jahrelang hat mich das verfolgt, es gab keinen Tag, an dem ich nicht von Peter geträumt oder an ihn gedacht habe. Dass er mir keine Möglichkeit gelassen hat, Fragen zu stellen, das war bitter.Der nächste sexuelle Kontakt, den ich hatte, war erst fünf Jahre später. Dazwischen war gar nichts. Fünf Jahre hab ich nur rumgesoffen und rumgelumpt, in Diskos abgetanzt, geheult, gejault, gelitten wie ein Schwein, es war furchtbar. Ich konnte mich nicht öffnen. Als eine Arbeitskollegin mich fragte, ob ich mit ihr ein Eis essen gehe, hab ich Schweißausbrüche gekriegt. Es war mir relativ bald klar, dass diese ganze Jahre mich verbogen haben. Auf eine Art. Andererseits, retrospektiv gesehen, profitiere ich auch von den Erfahrungen. Es hört sich vielleicht widersprüchlich an, aber dass ich gelernt habe, bestimmte Dinge abzuspalten, kommt mir manchmal auch zugute.Nach den fünf Jahren Auszeit wurde ich dann mit einer neuen Seite von Sexualität konfrontiert und war in die andere Richtung geschockt. Ich hatte eine kurze, heftige, sehr verliebte Affäre mit einem Mann, der sich selber als die "größte Hure der Stadt" bezeichnete. Bis dahin war Sexualität für mich etwas, was im Verborgenen stattfindet, etwas, wozu man nicht offiziell stehen kann. Meine katholische Seele war durch diesen Liebhaber in den Grundfesten erschüttert, aber ich bin dankbar drum und habe mit diesem Liebhaber so etwas wie eine sexuelle Befreiung erlebt. In dieser wichtigen Phase habe ich dann meine Affärchen gehabt und angefangen, mein schwules Leben zu genießen. Das tue ich immer noch.Jetzt bin ich 49 und das alles ist so lange her. Aber einen Knacks hab ich gehabt: ich habe dem Peter fast jedes Jahr zum Geburtstag eine Karte geschrieben. Nach seiner Demissionierung als Priester wurde er Leiter eines Landschulheims gemeinsam mit Gabriele, seiner Frau. Ich wollte ihm nicht gönnen, dass er mich vergisst, ich hab gedacht, ein bisschen musst du dich daran erinnern, dass du noch eine Leiche im Keller hast. Es war wie eine fixe Idee, ich wollte ihn einmal noch zur Rede stellen.Er hat in der ganzen langen Zeit vielleicht zwei Mal zurückgeschrieben, aber immer nur oberflächliches Gelumpe. Und dann, im letzten Jahr, hab ich ihn wiedergesehen. Ich war ganz erschrocken, als dieser Brief kam. Da stand, er sei schwer erkrankt und ich solle ihn doch mal besuchen. Ich habe auf diesen Brief gestarrt und gedacht: Scheiße, jetzt ist es so weit. Die ganzen Jahre hast du darauf gewartet, und jetzt hast du eigentlich gar keine Lust mehr.Der Besuch bei ihm war ein Reinfall. Ich hab ihn auch gar nicht mehr richtig wiedererkannt, das fand ich das Hinterletzte. Als Peter mir die Tür aufmachte, war das ein völlig anderer Mensch, in sich zusammengefallen, grauhaarig, altes Gesicht, er ist jetzt 64, humpelte herum und hatte einen Redefluss ... unglaublich.Seine Frau kam mir dagegen ganz patent vor, sie steht mitten im Leben. Die beiden haben zwei Kinder. Der älteste Sohn, er ist jetzt 24, hat den Kontakt zu ihnen abgebrochen. Den Grund dafür haben sie mir nicht genannt, aber sie waren sehr betreten, als sie davon sprachen, und bei mir ging gleich ein Film los: ob der Peter dem mal unter die Bettdecke gefasst hat. Der Gedanke war sofort da.Für mich war das Wiedersehen eine Befreiung. Es ist wie aufgelöst. Was ich wissen, ihn fragen wollte, ist weg. Er ist heute nichts weiter als ein alter, zerbrochener Mann.
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