Achtung, es wird kurz mal kompliziert: „Aus dem Beharren darauf, kulturelle Differenz als zur Schau stellende Entstellung zu begreifen, die aber gleichzeitig einer Rekonstruktion von persönlicher wie kollektiver Identität dient, gewinnt Homi K. Bhabhas Versuch, die widersprüchliche Verortung von Kultur zu beschreiben, seine Brisanz.“ Hin und wieder gebe ich Schreibseminare, die gerade zitierte Passage dient mir als Beispiel für einen Satz, der fast alle grammatikalischen Marotten des akademischen Schreibens versammelt. Frage: Wo ist der Hauptsatz? Was ist eigentlich die Satzaussage – und ist die syntaktische Aussage auch die semantische? Hausaufgabe: Schreiben Sie den Satz so um, dass er verständlich wird.
Michael Angele hat ein Faltblatt des Graduierten-Kollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ zum Anlass für eine Polemik auf freitag.de über die Spracheigentümlichkeiten der Gender Studies genommen. Recht so, dieses Thema ist heikel und gehört auf die Tagesordnung! Denn die meisten VertreterInnen der Gender Studies baden tatsächlich in einem Jargon, der von außen betrachtet ziemlich eigentümlich anmutet, intern offenbar aber auf wenig Widerstand stößt. Wohl gemerkt – und das räumt Angele auch ein – stehen Gender Studies mit dieser Marotte nicht alleine da, sie unterscheiden sich in den Ausmaßen ihrer Begriffskunst wenig von den benachbarten Disziplinen, allen voran den Kulturwissenschaften. Wohl gemerkt geht es in der Kritik auch nicht darum, dass Sprache doch bitte „einfach“ oder „klar“ zu sein habe. Sprache kann nicht immer einfach sein, vor allem dann, wenn etwas gedacht werden soll, für das herkömmliche Begriffe fehlen. Sprache ist schöpferisch und daher in gewisser Weise auch nicht übersetzbar. Doch Sprache ist auch ein Denkwerkzeug, und genau hier liegt der neuralgische Punkt. Ich werde darauf zurückkommen.
Die Pluralitis geht um!
In ihrer Begriffsbildung folgt die Gender-Forschung der einfachen Logik der Wissenschaftssprachen. Sie bildet Abstrakta, also Fachtermini, mit denen sie sich auf ihre Inhalte und auch auf sich selbst beziehen kann. Die Fachtermini sind oft Kondensate vorangegangener Diskussionen, sie sind praktische Abkürzungen, damit man sich nicht immer wieder neu darüber verständigen muss, was „performativ“ heißt oder „Heteronormativität“. Doch leider entsteht in diesem Prozess tendenziell auch etwas, das Valentin Groebner in seinem Buch Wissenschaftssprache mit der schönen Metapher der „Begriffsdrachen“ umschreibt. Die deutschsprachige akademische Attitüde macht gerne aus dem Verb ein Substantiv, und aus dem Substantiv noch ein Supersubstantiv. So wird aus „reden“ die „Rede“, aus „Rede“ der „Diskurs“, aus dem „Diskurs“ dann die „Diskursformation“. Der so aufgeblähte Drache fängt nun an, selbst etwas zu tun. Eine Diskursformation kann dann zwingen, unterdrücken, lenken, leiten, sich falten oder sich ausstrecken, vermutlich auch Feuer speien, warum denn nicht?
Die Gender Studies sind Meister der Begriffsdrachen, auch wenn sie ihre Drachen nicht unbedingt immer souverän lenken. Sie erschaffen sich, wie andere Wissenschaften auch, eine Kunstsprache und kreieren damit auch ihren Forschungsgegenstand. Nun ist es aber nicht nebensächlich, wie diese Kunstsprache aussieht und was sie leisten kann. Einerseits wird in den Gender Studies viel über die politische Funktion von Sprache nachgedacht, andererseits bleibt aber der eigene Sprachgebrauch wenig flexibel, bestimmte Begrifflichkeiten und Theoreme wie „queer“, „performativ“, „diskursiv“ herrschen absolut. Es ist ein Jammer: Ausgerechnet diese Disziplin, die sich so sehr gegen Verdinglichung und gegen „Normalisierung“ wendet, bedient sich einer extrem unsinnlichen und auch technizistischen Sprache. „Dynamiken“, „Codierungen“, „Ökonomien“, „Performanzen“, „Hybridisierungen“ gehören zum modischen Begriffs-Set und sind nahezu unerlässlicher Bestandteil von Tagungsankündigungen; „Dezentrierungen“, „Paradoxien“, „Narrative“ und „Politiken“ sind immer wichtig, genauso wie Körper, Praxen, Techniken und Subjektivierungen (oder De-Subjektivierungen). Weil alles divers, transdisziplinär und intersektional sein muss, geht derzeit die absolute Pluralitis um, alles steht in der Mehrzahl: „Wanderungen“, „Verletzbarkeiten“, „Intimitäten“ heißen die jeweiligen Jahrestagungen der Fachgesellschaft für Geschlechterstudien.
Können solche Großbegriffe überhaupt sinnvoll sein? „Will man des Meisters Scheine in Kleingeld wechseln, kann man nichts mehr dafür kaufen“, schrieb einmal Elke Schmitter über Martin Heideggers Wortgewalt. Immer schwelt der Verdacht, dass die Geisteswissenschaften bloße Banalitäten rhetorisch zu Giganten aufblähen. Doch ganz zählt das Argument „Wenn ich es nur konkret fasse, kommt nicht viel dabei heraus“ nicht. In allen Geisteswissenschaften besteht eine Kluft zwischen abstrakt und konkret – und genau in dieser Kluft ereignet sich etwas. Wenn er stimmt und stimmig ist, erfasst der abstrakte Begriff etwas, das im Konkreten allein nicht zu finden wäre. Geisteswissenschaft erschließt Sinn, sie ist produktiv, erfinderisch, es kommt eben am Ende mehr heraus als die bloße Feststellung von Tatsachen. Wenn man Heidegger auf das reduziert, was er „eigentlich meint“, dann verliert man Heidegger. Aber, und das ist der springende Punkt: das, was da „mehr“ gesagt wird, muss erklärbar sein; es muss dem Nachdenken auch außerhalb der Fachsprache standhalten. Bei vielen der unhinterfragt populären Termini der Genderforschung bin ich mir da nicht so sicher.
Myriaden von AdeptInnen
Darüber hinaus ist im Umgang mit Sprache auch nicht egal, wer etwas sagt. Die alte, konservative Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärliteratur war ja durchaus sinnvoll. Judith Butler ist bekanntermaßen keine große Stilistin, Gender Trouble zu lesen macht wirklich keinen Spaß. Sei’s drum, Butler darf das. Sie hat etwas Neues geschaffen, sie schreibt Primärliteratur. Dass aber Myriaden von AdeptInnen stilistisch-begrifflich hinterherwatscheln wie die Entchen hinter Konrad Lorenz, ist fatal. Denkt denn hier bitte jemand noch etwas anderes? Finden hier bitte die ForscherInnen auch einmal eine eigene, vielleicht sogar eine klare Sprache? Nichts für ungut, es gibt hervorragende Bücher im Bereich der Gender Studies. Aber die verquirlten Butler-Foucaultizismen, die seit Jahrzehnten das Feld beherrschen, sind nicht nur unschön, sondern auch hilflos, faul und dumm.
Die Gender Studies haben sich auf eine ehemals kaum vorstellbare Weise gut etabliert. Deutschlandweit existieren 54 Zentren für Frauen- und Geschlechterforschung an den diversen Hochschulen, 40 Studiengänge oder Studienschwerpunkte und 132 Professuren mit einer Teil- oder Voll-Ausschreibung für den Schwerpunkt. Gemessen mit anderen Orchideenfächern ist das immer noch nicht viel, dennoch gibt es hier ein Terrain zu verteidigen, eine eigene Existenz zu rechtfertigen. Es ist klar, dass Jargon und Habitus dazu dienen, die sowieso unsicheren Claims abzustecken und gegebenenfalls auch eine inhaltliche Erschöpfung unter wildem begrifflichem Aktivismus zu verstecken. Hier stehen Karrieren, Arbeitsstellen und Fördergelder auf dem Spiel. Aber wie viel gibt es am Geschlecht eigentlich noch zu beforschen?
Im Unterschied zu vielen anderen Wissenschaften siedelt die Geschlechterforschung nah am Alltäglichen und Banalen, und sie ist im Kern politisch motiviert. Auch das macht ihre Begrifflichkeit heikel und anfällig. Die Terminologie dient hier nicht nur der wissenschaftlichen, sondern auch der politischen Vergewisserung über den eigenen Standpunkt und die Gruppenzugehörigkeit. So verfestigen sich einige der Gender-Begrifflichkeiten zu festen Schlagworten, zu nicht hinterfragbaren Klischees. Eine Sprache aber, die Denken nicht fördert, sondern stillstellt, ist autoritär. Manche der rhetorischen Attitüden in der Genderforschung tragen diese autoritären und autoritätshörigen Züge.
Das Feld „Gender“ ist zu weit und zu vielfältig, um pauschal darüber zu urteilen. Es gibt hervorragende Forschung sowie viele gut und klar geschriebene Texte, vor allem im englischsprachigen Raum. Die Kritik soll die Verdienste der „Genderistas“, zu denen ich mich ja auch zähle, nicht schmälern. Aber eine ehrliche Debatte über Sprachkonventionen, Habitus, Theorieverständnis und Autoritäten in der Geschlechterforschung wäre eine gute Sache.
Andrea Roedig ist promovierte Philosophin
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