Voyeure in der Dunkelzone

Ausstellung Die Kunsthalle Wien ist dafür bekannt, unter reißerisch eindeutigen Titeln Beliebiges zusammenzukehren. Traum und Trauma heißt es dann, oder Punk. No one is innocent

Solche hypergenerellen Themen sind Killer, und es nimmt daher nicht Wunder, dass die unter ihnen geclusterten Exponate in der Regel verzichtenswert sind. Der neueste Paukenschlag, The Porn Identity. Expeditionen in die Dunkelzone, reiht sich in diese Tradition ein. Mit Ausnahme einer größeren Video-Installation von Katrina Daschner, die Nabokovs Lolita-Stoff in einer lesbischen Version nacherzählt und hier eigentlich nichts zu suchen hat, sind die künstlerischen Arbeiten, die „Porn“ reflektieren sollen, ausgesprochen einfallslos.

Drei offen stehende Pferdeställe von Tom Burr, eine weiß lackierte quadratische Queer Bar mit vertauschten Tresenseiten von Elmgreen, eine aus Stanley Kubricks Clockwork Orange nachgebildete Pin-Up-Skulptur, die nackt, gefesselt, schneeweiß über rot aufragendem Dildo kniet, ein Playboy-Flipper von Ed und Nancy Kienholz, an dem man sich zwischen gespreizte Damenbeine quetschen muss, um ein paar Kugeln abzuschießen – all das ist wenig aufregend und nicht der Rede wert, wäre da nicht noch etwas anderes: das Setting der Ausstellung.

Beherrscht wird die Schau in der Hauptsache von Pornofilmen und Videos, die wild durcheinander gemischt zwischen experimentell, historisch, independent, mainstream und hardcore im Loop auf rund 20 Bildschirmen über den Köpfen der Zuschauer und an einer großen Monitorwand ablaufen. Man muss den Kopf ein wenig recken, um gut sehen zu können, man muss ein wenig starren, und dann kann es passieren, dass man sich nicht ganz wohl dabei fühlt, bei Tageslicht und in der Gegenwart anderer Menschen solche Schweinereien anzusehen und die unwillkürlich physische Wirkung zu spüren, die Porno nun mal ausübt.

Die Dunkelzone ist ins Licht gestellt, die Voyeur-Situation umgestülpt, und damit werden die Besucher zu den eigentlich interessanten Exponaten der Ausstellung. Da wäre der ältere Herr im Mantel, der gebannt und ein wenig zu nah vor den Close-Ups der rasierten Mösen steht; die junge Frau, die strikt an den unglaublichen Geschlechtsteilen der schwulen Ficker von Bruce LaBruce vorbei sieht, obwohl man da interessehalber doch mal hingucken möchte; das jüngere Publikum, das relativ unbeeindruckt reagiert, als entspräche das Gezeigte nicht mehr den heutigen Konditionierungsmustern für sexuelle Erregung. Die Aufmerksamkeit flackert hin und her zwischen den Exponaten, den anderen Besuchern und dem eigenen Betrachten. Indem sie ein mehrfach sich spiegelndes Beobachten des Beobachtens provoziert, trifft The Porn Identity ihr Thema letztlich dann doch.

Nach einer Stunde Ausstellungsbesuch allerdings ist die Lust auf Sex definitiv erschöpft. Oder nicht? Beim Ausgang stecke ich den Kopf durch die Tür eines Spiegelschranks, auf dem in großen Lettern steht Show Me Yours, I‘ll Show You Mine (Marlene Haring). „Ist da was zu sehen“, frage ich einen Mann, der in den Schrank gestiegen ist. „Nein“, sagt er, „ich glaube, man soll sich hier ausziehen, und das mach ich doch sofort.“ Er fummelt an seinem Gürtel. Irgendeinen stimulierenden Effekt muss die Wiener Kunsthalle wohl haben.

Andrea Roedig

The Porn Identity. Expeditionen in die Dunkelzone Kunsthalle Wien, bis 1. Juni 2009

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