Ich wollte ein Jude sein" ist der simple Satz, auf den sich der Debüt-Roman des 28-jährigen Filmkritikers und Kolumnisten Sayed Kashua bringen lässt. "Ich sehe israelischer aus als ein durchschnittlicher Israeli. Ich freue mich immer, wenn Juden das sagen. Du siehst überhaupt nicht arabisch aus, sagen sie. Ich fasse es als Kompliment auf. Als Erfolg." Jude-sein-wollen also ist - auf den ersten Blick - die Essenz jener Geschichte aus Scham, Angst und unterdrückter Wut, die hier erzählt wird, der Geschichte einer "Identitätsfälschung". Nichts, so wird man wohl sagen können, ist wahrer als die Annahme, wir seien das, für was man uns hält. Und nichts, wird man sagen können, ist falscher.
Der Ich-Erzähler des stark autobiografisch geprägten Romans Tanzende Araber ist palästinensischer Israeli. In kurzen, lakonischen Sequenzen beschreibt er Jugend und Heranwachsen im arabischen Dorf Tira auf israelischem Staatsgebiet, kleine Geschichten reihen sich aneinander, vom Vater, der inhaftiert war und einen seiner Söhne "Sam" nennt, wie die russischen Sam-Raketen, von der Großmutter, die ihr Totengewand in einem Koffer aufbewahrt, von einem gewonnenen Ratespiel, das dem Erzähler die Möglichkeit bringt, als einziger seines Dorfes auf eine gute, eine jüdische Schule zu gehen, von den Demütigungen, denen er dort als Außenseiter ausgesetzt ist, vom Wunsch seines Vaters, aus dem Sohn einen berühmten Araber zu machen, zum Beispiel einen Atombombenbauer.
Die Juden. Die Juden haben Strom, die Juden sind gesittet, die Juden pflegen einen modernen Lebensstil, sie sind die Herrscher. In seinen Betrachtungen zur Judenfrage aus dem Jahr 1946 hatte Jean-Paul Sartre den "Juden" als ein sich selbst wahr machendes Konstrukt beschrieben, "der Jude ist der Mensch, den andere als solchen betrachten". Und er beschrieb - als Folge des Antisemitismus - den Typus des unaufrichtigen, "verschämten Juden" als einen, der "in sich den Juden erkennt, um ihn zu verleugnen". Mehr als ein halbes Jahrhundert später mag das auch für "den Araber" gelten. Kashuas Ich-Erzähler ist ein Feigling, ein "verschämter Araber", er kann Araber nur sein, in der Form, kein Araber sein zu wollen.
Nicht auffallen, alles so machen wie die Juden. Der Erzähler hört ihre Musik, er kleidet sich wie sie, hat immer ein hebräisches Buch bei sich zur Tarnung, und er verleugnet seine Dorfgenossen. Er will nicht einer von ihnen sein. Jüdischsein wird zur Stilfrage, zum guten Geschmack. Er verachtet seine Frau, "manchmal, wenn wir einkaufen gehen, hoffe ich, dass die Leute sie für eine Marokkanerin oder Algerierin halten", und er verachtet die tanzenden Araber: "Warum sollen Araber in einer Disko tanzen? Merken sie denn gar nicht, wie wenig das zu ihnen passt, wie hässlich sie aussehen?" Krankhaft außengeleitet ist der Blick, es wird Situationen geben, in denen der Erzähler Angst hat, von den Arabern für einen Juden und von den Juden für einen Araber gehalten zu werden.
Doch einen Haken hat die Sache: Kashuas wohl nicht zufällig namenloser Anti-Held sieht zwar aus wie ein Jude, ist aber keiner. So gerät er zwischen die Welten, die Mimikry funktioniert nur außen, innen richtet sie Zerstörung an und gerät zum egozentrischen Selbsthass. Aus den großen hochfliegenden Träumen des Vaters wird nichts, der Sohn begeht nach einer aussichtslosen Liebesgeschichte mit einem jüdischen Mädchen einen Selbstmordversuch, beendet sein Studium nicht, er trinkt, behandelt seine Frau schlecht, kann sich zu nichts aufraffen. Er macht aus sich als Israeli den Araber, der er nie sein wollte. "Mein Vater sagt immer, ich hätte keine Liebe im Herzen. Meine Frau stimmt ihm zu. Sie habe noch nie einen so gleichgültigen und gefühllosen Menschen wie mich getroffen."
Ohne Ausweg ist die ohnmächtige, depressive Verbitterung, die vollkommene Haltlosigkeit. "Ich versuche, nicht viel zu essen, und wenn ich es schon tue, möglichst viel zu erbrechen. Ich gehe nie aus dem Haus, ohne dass ich erbrochen habe." Wo liegt der Fehler? In der Person? Im System? In Israel kann ein Araber nicht werden, was er möchte.
Kashuas Geschichte ist die Geschichte einer sozialen Depression. Depressiv, fast lustlos ist auch ihr Stil. Die kurzen Episoden, willkürlich, wenn auch chronologisch aneinandergereiht, scheinen in ihrer Auswahl beliebig und sind von schmuckloser Kargheit. So gut und empfehlenswert der Roman sein mag als Beschreibung der Lage der Palästinenser mit dem blauen Pass israelischer Staatsangehörigkeit, als Analyse der Folgen, die ein Völkerkrieg im Individuum zeitigt, so wenig vermag er auf literarischer Ebene satt zu machen. Trist und traurig ist die Monotonie. Hat es einen tieferen literarischen Sinn, dass der Vater des Erzählers zum Ende seines Lebens hin - ausgerechnet - in einem Amt arbeitet, das Pässe ausstellt? Dass das Ratespiel, mit dem die jüdische Karriere des Erzählers beginnt, sich um eine Zigarettenmarke dreht die "Präsident" heißt? Nein, das wäre zu viel gedeutet. Der Roman gibt keine Rätsel auf. Seine Geschichten verlaufen, wie die Identität der Hauptperson, im Sande.
"Zuweilen denke ich daran, zum Judentum überzutreten, und dann glaube ich wieder, ich müsste mich selbst in die Luft sprengen oder die Soldaten an der Kreuzung Ra´anana überfahren." Wohin? Will Kashuas Erzähler-Ich wirklich ein Jude sein? Er will es nicht. Tanzende Araber ist - auf den zweiten Blick - die Geschichte eines falschen Wunsches. Wir sollten dem eingangs zitierten Satz misstrauen. Wenn einer in permanenter Ambivalenz zwischen zwei Seiten schwankt, liegt das meist daran, dass er etwas drittes will. Ein Unerreichbares. Kashuas Romanfigur will in Wahrheit weder Jude noch Araber sein. Aber das ist in Israel nicht möglich.
Sayed Kashua: Tanzende Araber, Roman, Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, Berlin-Verlag 2002, 278 S., 19 EUR
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