Osama im Pankisi-Tal

Zwischen Anti-Terror-Fight und Machtgeplänkel Wie der georgische Präsident Saakashwili die Gunst der Stunde nutzen wollte und den Konflikt mit Südossetien neu entfachte

Die Spannungen zwischen Georgien und der sezessionistischen Republik Südossetien haben sich seit einer Woche schlagartig verschärft. Der neue georgische Präsident Saakashwili ließ getreu seiner Kampagne zur "Heimholung Südossetiens und Abchasiens" Truppen ins Konfliktgebiet verlegen - für die südossetische Führung das "Vorspiel zu einer Invasion".

Die seit Jahren so labilen wie lieblosen Beziehungen zwischen Georgiern und Osseten drohen erneut, in heftige Feindschaft umzuschlagen. Wieder einmal scheinen alle Friedensbemühungen der vergangenen Jahre durch revanchistische und nationalistische Ambitionen vernichtet zu werden. In den Hauptstädten - dem georgischen Tiflis wie dem südossetischen Zchinwali - rasseln die Säbel, während hinter den Kulissen hektisch versucht wird, das Schlimmste - einen erneuten Bürgerkrieg - abzuwenden. Südossetien lasse sich nicht mit Gewalt zurückholen, warnen die Russen Georgiens jungen Heißsporn-Präsidenten Michail Saakashwili, den seine bisherigen politischen Erfolge und das Lob des Westens offenbar zu neuen Eroberungen beflügeln.

Den Amerikanern um die Beine streichen

Wirklich überraschend kommen die inzwischen täglichen Gefechte in der Grenzregion zwischen Georgien und der abtrünnigen Provinz nicht. Seit die Amerikaner systematisch georgisches Militär ausbilden, der Schewardnadse-Nachfolger Saakashwili regiert und zum größten Empfänger westlicher Spenden zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer avanciert ist, sieht die russische Regierung mehr denn je ihre kaukasischen Pfründe schwinden - und dazu gehört Südossetien.

Für den gesamten Raum nimmt Georgien aus geografischen wie politischen Gründen eine Schlüsselstellung ein, ist es doch der direkte Nachbar eines potenziellen EU-Mitgliedes Türkei und darüber hinaus als ambitionierter NATO-Aspirant möglicherweise irgendwann östlichster Außenposten der westlichen Allianz. Für Konfliktstoff im Verhältnis zwischen Moskau und Tiflis ist demnach gesorgt. So warf die Regierung Putin schon zu Zeiten eines Präsidenten Schewardnadse der georgischen Seite vor, tschetschenischen Rebellen im nordöstlich gelegenen Pankisi-Tal eine Zuflucht geboten zu haben. Eine Beschuldigung, die - eingebettet in die Anti-Terror-Hysterie - abstruse Züge annahm und in der Behauptung gipfelte, Osama bin Laden sei dort gesichtet worden.

Über den Status der separatistischen Gebilde Abchasien und Südossetien, die Anfang der neunziger Jahre fern internationalen Zuspruchs ihre Unabhängigkeit erklärten, konnten sich Moskau und Tiflis nie einigen. De jure gehören die beiden Provinzen weiter zu Georgien, de facto aber wollen Abchasen und Südosseten nicht unter dessen Patronat leben. Armut und Arbeitslosigkeit sind groß, wer sein Heil nicht im Schmuggel sucht, lebt von der Hand in den Mund oder schlägt sich nach Russland durch. Etwa vier Fünftel der fast 70.000 Südosseten besitzen inzwischen einen russischen Pass, auch wenn das gegen russische Gesetze verstößt.

Man könnte es vorerst bei diesem Modus Vivendi der unvollendeten Tatsachen belassen, gäbe es nicht fast 250.000 georgische Flüchtlinge aus beiden Provinzen, die seit mehr als einem Jahrzehnt ein Elendsdasein in Notunterkünften fristen und deren Druck auf die georgische Regierung groß ist. Seit es Präsident Saakashwili im Mai gelang, das abspenstige Adscharien - Georgiens Sommerlust-Provinz am Schwarzen Meer - ohne Blutvergießen heimzuholen, treibt Tiflis die Sehnsucht nach weiteren Erfolgen dieses Kalibers. Anders als sein Vorgänger Schewardnadse kann Saakashwili dabei auf den Beistand der Amerikaner rechnen, denen er seit seiner Amtsübernahme um die Beine streicht. Ob nun - wie die Regierung Südossetiens vermutet - die USA ihren Aktionsradius ausdehnen wollen oder dies nur als eine von Moskau lancierte Verschwörungstheorie kursiert, ob die jetzige Eskalation den Medien in Tiflis und Zchinwali zu verdanken ist, die nichts unversucht lassen, Emotionen zu schüren - eindeutige Antworten gibt es nicht. In kaukasischen Polit-Dramen verbietet das Zusammenspiel aus Machtansprüchen, Intrigen, Nationalismen und verbrecherischer Korruption monokausale Deutungen eines Konflikts.

Fest steht nur, im Mai ließ Saakashwili die Schmuggelmärkte entlang der Grenze zu Südossetien schließen. Die dort seit einem Jahrzehnt verkauften illegalen Waren von Benzin bis Wodka waren die Basis der südossetischen "Nationalökonomie" und füllten nicht zuletzt die Geldbörse des südossetischen Präsidenten Eduard Kokojew.

Kein Krieg ist auch ein Frieden

Im Frühsommer hatte Saakashwili seine Ehefrau, die Holländerin Sandra Roloefs, mit schickem Hut nach Südossetien geschickt. Doch wurde die Dame von fallenden Schlagbäumen empfangen und musste einen Hubschrauber anfordern, um Zchinwali zu erreichen. Parallel dazu verlangte das georgische Parlament, die so genannte Schutztruppe aus ossetischen, georgischen und russischen Soldaten, die über den Waffenstillstand in Südossetien wacht (s. Übersicht), international zu besetzen. Wenig später wurde bei einem Besuch in Zchinwali der Konvoi des georgischen Premiers Surab Schwania beschossen.

Aufgeschreckt von dieser Zuspitzung versuchen nun die USA und die seit langem über die Lage in Südossetien wachende OSZE den Konflikt einzudämmen. Immerhin verfügt die südossetische Regierung über Luftabwehrraketen und eine Streitmacht, die zusammen mit bewaffneten Freiwilligenverbänden 6.000 Mann rekrutiert. Saakashwili hat an die OSZE und die Vereinten Nationen appelliert, eine Friedenskonferenz einzuberufen - ein Verlangen ohne Risiko, denn die internationale Gemeinschaft stellt seit Jahren die territoriale Integrität Georgiens über das Selbstbestimmungsrecht der Südosseten und wird davon auch künftig kaum abrücken.

Wie auch immer es weiter geht - der Konflikt dürfte in letzter Konsequenz nicht zwischen Tiflis und Zchinwali, sondern zwischen Washington und Moskau entschieden werden. Möglich, dass die Amerikaner ihren ins Kraut geschossenen Jungrebellen Saakashwili zurückpfeifen, die OSZE wirklich eine Friedenskonferenz abhält und am Ende alles beim Alten bleibt: Kein Krieg ist auch ein Frieden. Denkbar erscheint auch, dass Wladimir Putin für die Zusicherung, weiterhin Truppen in Georgien stationieren zu können, Südossetien zur Heimkehr ins gemeinsame georgische Haus drängt.

Beängstigend ist die Vorstellung, aus den vielen Schwelbränden im Kaukasus könnte ein Flächenbrand werden, denn in der Aufregung um Südossetien geht unter, dass in Dagestan ein Clankrieg droht, ein ethnisches Grollen durch Karbadino-Balkarien geht, Tschetschenien noch immer weit von einer Befriedung entfernt ist und seine Schatten auf das benachbarte Inguschetien wirft.


Der Ossetien-Konflikt im Herzen des Kaukasus

1990
Erste Kampfhandlungen zwischen südossetischen Militäreinheiten und georgischen Streitkräften. Zu diesem Zeitpunkt ist Südossetien noch eine autonome, aber in die georgische Sowjetrepublik integrierte Region.

1992
Nach einem Waffenstillstand erklärt Südossetien seine Unabhängigkeit, die aber weder international noch innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) anerkannt wird. Die Überwachung der Waffenruhe übernimmt bis auf weiteres ein aus Nordosseten, Georgiern und Russen bestehendes Friedenskorps.

1993
Nach dem Beitritt Georgiens zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten werden auch GUS-Verbände an der Waffenstillstandslinie stationiert.

1994
Beginn einer OSZE-Beobachtermission, die das "Monitoring" der von Georgiern und Südosseten gemischt besiedelten ländlichen Gebiete übernimmt.

1996
Normalisierung der ökonomischen Beziehungen zwischen Georgien und Südossetien nach einem Treffen zwischen Eduard Schewardnadse und dem damaligen südossetischen Staatschef Ludwig Tschibirow.

1999
Erste Wahlen in Südossetien nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1992, die jedoch vom Parlament in Tiflis nicht anerkannt werden.

2000
Das erneute Begehren der südossetischen Führung nach einer Vereinigung mit dem zur Russischen Föderation gehörten Nordossetien wird durch dessen Regierung abgelehnt. Hintergrund ist die Position Moskaus, das territoriale Veränderungen im Kaukasus mit dem Hinweis auf Tschetschenien ablehnt.

2001/2002
Es häufen sich Zwischenfälle entlang der Waffenstillstandslinie, nachdem die Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis einen Tiefpunkt erreicht haben. Die US-Armee platziert nach dem Krieg in Afghanistan Militärberater in etlichen zentralasiatischen GUS-Staaten, auch in Georgien.


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