Wer ist schärfer als der Scheck?

Betriebsratsvorsitzender bei Kreutzpointner in Bayern Immer auf Augenhöhe

Führungswechsel bei der IG Metall. Auf dem 21. Gewerkschaftstag vom 4. bis zum 10. November in Leipzig soll Berthold Huber den jetzigen Vorsitzenden Jürgen Peters beerben. Huber wird sich künftig besonders um die auch in der IGM als nötig erachtete Erneuerung oder gar "Neuerfindung" der Gewerkschaften kümmern müssen. Es geht um eine Trendwende bei den Mitgliederzahlen, neue Kampagne-Techniken, neue Zielgruppen, neue Bündnisse - um mehr Einfluss in der Gesellschaft und zwar sozialen und politischen.

Sie werden in der Öffentlichkeit oft nur wahrgenommen, wenn ihr Betrieb in die Krise gerät und Entlassungen drohen. Dann stehen sie plötzlich im Mittelpunkt und sollen "sozial verträgliche Lösungen" aushandeln. Anders als jeder Manager müssen sie immer zugleich die sozialen Sorgen der Beschäftigten mit der ökonomischen Lage des Unternehmens abgleichen, obwohl sie auf unternehmerische Entscheidungen keinen Einfluss haben. Sie müssen konflikt- und kompromissfähig sein, was ihnen nur gelingt, wenn sie das Ohr an der Basis haben und nicht abgehoben agieren. Betriebsräte gehören zu einer verkannten Elite in Deutschland. Johann Scheck ist einer von ihnen.

Dann geh´ ich nach China!

"Wenn du den Kopf einziehst, hast du immer verloren. Weil der andere immer größer ist. Das war ein Punkt, auf den ich mich stets konzentriert habe, auf Augenhöhe zu sein. Der andere ist nie mein Herrscher. Trotzdem muss ich den anderen achten. Aber diese Achtung soll nicht unterwürfig sein. Weil du sonst zur Nummer wirst."

An dieser Haltung ist der 65-jährige Johann Scheck zu erkennen, in seinen Jahren als Betriebsratsvorsitzender bei Kreutzpointner, einem großen Handwerksbetrieb in Burghausen an der Salzach. Er gilt dort als "Roter", ist aus der Kirche ausgetreten, Gewerkschafter und Mitglied der Linken - ein Exot im tiefkatholischen Oberbayern, obwohl er nach Habitus und Sprache genau hierher gehört. Nur wenige Kilometer entfernt liegt der Wallfahrtsort Altötting. Ganz in der Nähe ist Johann Scheck geboren und aufgewachsen - wie Papst Benedikt XVI.

Als der gelernte Starkstromelektriker in seinem Lehrbetrieb, "um den Lohn beschissen" wird, obwohl er im Bereitschaftsdienst Qualitätsarbeit leistet, beschwert er sich beim Betriebsrat. Als Retourkutsche versetzt ihn sein Meister. Er bekommt eine Strafarbeit, weit unter seiner Qualifikation. "Das mache ich nicht", beschwert er sich und wirft das Handtuch. Auf Schecks nächster Arbeitsstelle - einer Raffinerie - kanzelt ihn ein Abteilungsleiter als "Volksschüler" ab, der keine Ahnung habe von dem, was er sage. "Wäre ich Ingenieur gewesen, hätte der anders reagiert". Aber Scheck lässt nie locker, wenn ihm eine Sache wichtig ist, und setzt später als Betriebsratsvorsitzender bei Kreutzpointner mehr Lehrstellen und eine gute Berufsausbildung durch.

Der wunde Punkt in seinem Leben ist "die Geschichte mit der Schule". Als Klassenbester wird er für die Oberrealschule empfohlen, nach einem Monat jedoch meldet ihn sein Vater wieder ab. "Hat sich wahrscheinlich in Ruhe überlegt, was kommt da auf mich zu: Büchergeld und Schulkosten. Dann studiert der Junge vielleicht noch, und es kommt kein Geld nach Hause." Aus der Traum vom Lehrerberuf, aber immerhin führt ihn diese Erfahrung zu seinem Lebensthema: Bildung für alle! Und für ihn selbst. Mit Hilfe der IG Metall qualifiziert er sich zum Referenten für Gesellschaftspolitik und Arbeitsrecht, um andere Betriebsräte ausbilden zu können. Keiner in der Firma kennt das Betriebsverfassungsgesetz besser als Johann Scheck.

Zu Kreutzpointner kommt er 1975 und ist schon nach zwei Jahren Vorarbeiter. Als die ehemals kleine Handwerksbude unbändig wächst und Leute einstellt, will der Chef einen Ansprechpartner aus der Belegschaft - auf keinen Fall mehr. Für Johann Scheck gibt es dagegen keinen Zweifel: Wir gründen einen Betriebsrat. Er schließt sich mit der IG Metall kurz, trifft sich mit Kollegen in der Kneipe, um die Wahlversammlung vorzubereiten, und will das alles dem Chef beibringen. "Da hat der gleich zu schreien angefangen. Dann sperr´ ich die Firma zu. Dann geh´ ich nach China!" - Scheck und seine Kollegen halten durch, bilden den Wahlvorstand, werden gewählt. Das ist 1981. Ein paar Jahre später wird Scheck Betriebsratsvorsitzender. Seinen Führungsstil nennt er Teamprinzip, durch Leistung überzeugen. Als Vorarbeiter wollte von seinen Leuten nie etwas verlangen, was er nicht selbst getan hätte. So hält er es auch als Betriebsrat.

Wer nur Zahlen hinschmeißt

2007 hat Kreutzpointner noch immer einen Betriebsrat, den Stammsitz weiter in Burghausen - nicht in China - und erwirtschaftet einen Umsatz von 50 Millionen Euro. Johann Scheck ist inzwischen als Betriebsratsvorsitzender freigestellt. Auf dem Dach eines Baustellencontainers, dem Betriebsratsbüro, weht eine rote Fahne der IG Metall. Mehr als die Hälfte der 400 Beschäftigten sind Mitglied der Gewerkschaft, ungewöhnlich viel für einen Handwerksbetrieb mit seinen über ganz Deutschland und im Ausland verteilten Baustellen.

Das kommt nicht von ungefähr. Auf den Betriebsversammlungen in der jedes Mal voll besetzten Burghausener Stadthalle präsentiert Scheck viermal jährlich professionell und mit Power Point seine Berichte an die Belegschaft. Er inszeniert die Treffen wie Theaterstücke mit klaren Rollenzuweisungen. "Wer auf einer Betriebsversammlung nur Zahlen hinschmeißt, der hat die Welt nicht verstanden." Es sei wichtig, den Arbeitgeber als Interessengegner der Beschäftigten herauszustellen, das gehe nur, wenn der Betriebsrat etwas von der Welt vor dem Werkstor versteht und darüber reden kann. "Schließlich wird die ganze Litanei mit der Globalisierung immer gegen die Menschen in Anschlag gebracht, dass sie zu viel verdienten und zu verzichten hätten." Betriebsversammlungen sind für Scheck immer auch Politikum.

Sein Meisterstück ist der Haus-Tarifvertrag, den er mit Hilfe der Belegschaft vor zwei Jahren durchsetzt. Es gibt in Bayern keine flächendeckende Tarifbindung für das Elektrohandwerk. Nur bei Kreutzpointner und in zwei weiteren Betrieben gelten IG Metall-Konditionen. In den 4.500 anderen Firmen arbeiten die Kollegen zu Niedriglöhnen oder zu den schlechteren Bedingungen eines Tarifvertrages der christlichen Gewerkschaft. Über mehrere Jahre hinweg ist der Tarifvertrag Thema auf Betriebsversammlungen und sorgt für hitzige Debatten mit dem Chef. Als der darauf besteht, dass der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes zur Versammlung kommt und seine Sicht vortragen kann, stimmt der Betriebsrat zu.

Keine gute Idee sei das gewesen, erinnert sich Scheck. Der Verbandsmensch habe den IG Metall-Tarifvertrag schlecht geredet und damit die Stimmung weiter angeheizt, denn das hätten die Kollegen schnell durchschaut. Schließlich wollte der Chef Ruhe im Betrieb und unterschrieb.

Wasserpumpen statt Panzer

Eigentlich, sagt Scheck, sei er "klassisch unpolitisch" gewesen und habe früher sogar FDP gewählt. Richtig politisiert worden sei er erst im bayrischen Landtagswahlkampf 1978, als er keine Kundgebung ausließ, um sich anzuhören, was die Parteien zu sagen hatten. Noch während des Wahlkampfes tritt er in die SPD ein, weil die das klassenlose Krankenhaus und Bildung für alle fordert. Das entspricht seinem gefühlten Weltbild von Gerechtigkeit. Er engagiert sich in der Arbeitnehmerorganisation (AfA) der Sozialdemokraten und wird bald deren stellvertretender Vorsitzender im Kreis.

Dann aber führt der Rücktritt von Oskar Lafontaine im März 1999 zum Bruch. Als die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung kurz darauf auch noch in den Kosovo-Krieg zieht, verlässt er die Partei nach 20 Jahren. Krieg sei nie eine Lösung. Gefragt nach seiner Alternative, meint Scheck, "wir sollten den Afrikanern Wasserpumpen statt Leopard-Panzer liefern".

Scheck sucht nach einer neuen politischen Heimat. Wie ihm geht es anderen Gewerkschaftskollegen, die von den Sozialdemokraten enttäuscht sind. Ein ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Gewerkschafter vermittelt ihm einen Kontakt zur PDS, für die Scheck schließlich 2002 bei der Bundestagswahl kandidiert. Auf seinem Wahlplakat steht "Bildung für alle!" Sein altes Thema. Die örtlichen Gazetten schreiben über den PDS-Mann. Er wird berühmt, auch wenn er im Wahlkampf zu hören bekommt, er solle doch wieder nach drüben gehen. "Dann habe ich denen gesagt, ich bin kein Sachse - ich bin hier im Landkreis geboren."

Im Herbst 2007 geht Johann Scheck in Rente. Das schönste Abschiedsgeschenk hat er sich selbst machen können. Alle Auszubildenden werden nach Abschluss ihrer Lehre ohne Probezeit und unbefristet übernommen, sofern sie besser als mit 3,0 abschließen. Das habe er mit seine Kollegen "politisch durchgesetzt", wie er sagt, das sei ihnen nicht etwa vom Chef geschenkt worden. Auch seine Nachfolge ist zufriedenstellend geregelt. Neuer Vorsitzender des Betriebsrates wird Schecks bisheriger Stellvertreter, von dem der Seniorchef gelegentlich meint, der sei "noch schärfer als der Scheck". Auch die IG Metall ist froh, dass es einen solchen Nachfolger gibt. Den Johann Scheck habe immer ausgezeichnet, das einmal als richtig erkannte Ziel unbeirrt zu verfolgen, selbst unter schwierigsten Umständen. Das sei bei einem "extrem mitbestimmungsfeindlichen Seniorchef" nicht immer einfach gewesen. Andere hätten da längst aufgegeben.


IG Metall


Größte Einzelgewerkschaft

Mit 2,4 Millionen Mitgliedern - 1990: noch 2,7 Millionen - ist die IG Metall die weltweit größte Einzelgewerkschaft. Sie vereint Arbeitnehmer aus der Metallindustrie, dem Metallhandwerk, der Textil- und Bekleidungsindustrie, der Holz- und Kunststoffindustrie sowie der Informations- und Kommunikationsindustrie.


Grundsatzentscheidungen

Der Gewerkschaftstag ist laut Satzung das höchste Organ der IG Metall und findet in jedem vierten Jahr statt. Er wird vom Vorstand einberufen. Die Delegierten werden abhängig von der Mitgliederzahl in Wahlbezirken bestimmt. Der Kongress wählt den neuen Vorstand und trifft Grundsatzentscheidungen zur künftigen Politik der IG Metall.


Die Vorsitzenden

1948 - 1952 Walter Freitag
1948 - 1956 Hans Brümmer
1952 - 1956 Otto Brenner
(bis 56 zwei gleichberechtigte Vorsitzende)
1956 - 1972 Otto Brenner
1972 - 1983 Eugen Loderer
1983 - 1986 Hans Mayr
1986 - 1993 Franz Steinkühler
1993 - 2003 Klaus Zwickel
2003 - 2007 Jürgen Peters

Tarifabschlüsse 2007

Metall:

für 3.206.700 Beschäftigte
Forderung: 6,5 Prozent
Ergebnis: einmalig 400 Euro; 4,1 Prozent mehr Lohn ab 1. Juni 07; danach stufenweise Anhebung um 1,7 Prozent; Laufzeit bis 31. Oktober 2008 (Pilotabschluss Baden-Württemberg)

Textil- und Bekleidung (Ost):

für 13.800 Beschäftigte
Forderung: 5,0 Prozent
Ergebnis: 3,0 Prozent ab 1. Juni 2007; stufenweise Anhebung um 2,7 Prozent ab 1. Juli 2008; Laufzeit bis 31. März 2009

Holz und Kunststoff (Westfalen-Lippe)

für 49.500 Beschäftigte
Forderung: 6,5 Prozent
Ergebnis: einmalig 300 Euro; 3,6 Prozent mehr Lohn ab 1. August 07; 345 Euro zusätzliche Einmalzahlung für Juni bis August 2008; stufenweise Anhebung um 2,5 Prozent ab 1. September 08; Laufzeit bis 30. April 09.

Aufwendungen der IG Metall


(in Prozent)

Ortskassen: 31,2
Vorstandsverwaltung: 20,8
Rückstellung für Streiks: 13,4
Rechtsschutz: 8,4
Beiträge an DGB u.a.: 7,1
Bildungsarbeit: 5,8
Bezirke: 5,6
Rechtsschutz des DBG: 4,4
Zeitungen/Infomaterial: 3,3

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