Der flexible Agent

Porträt Kai D. war für den Verfassungsschutz erst in der linken, dann in der rechten Szene aktiv. War er wirklich nur ein normaler V-Mann? Nun sagt er im NSU-Prozess aus
Ausgabe 46/2014
War der 50-Jährige wirklich nur ein normaler V-Mann?
War der 50-Jährige wirklich nur ein normaler V-Mann?

Kai D. ist jetzt 50 Jahre alt geworden. Es ist eine gute Gelegenheit, den Blick zurück zu werfen auf das bisher gelebte Leben. An diesem Mittwoch bekommt der Jubilar dafür sogar Publikum: Im Münchner NSU-Prozess wird Kai D. als Zeuge gehört und soll über seine Zeit als Neonazi-Anführer in Bayern und Thüringen in den 90er Jahren berichten. Seine Telefonnummer fand sich auf einer Kontaktliste von Uwe Mundlos, die im Jahr 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt des NSU-Trios sichergestellt wurde. Das Gericht nimmt sich für die Befragung des Zeugen viel Zeit – der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat den ganzen Verhandlungstag für ihn reserviert.

Der einstige Top-Nazi D. wird aber nicht nur über seine braunen Kameraden erzählen müssen. Das Gericht und die Anwälte der Nebenkläger dürfte ebenfalls interessieren, was er damals im Auftrag seines Dienstherrn in der rechten Szene unternahm – denn D. war mindestens bis zum Jahr 1998 V-Mann des Verfassungsschutzes.

Ein verdeckter Ermittler?

Er gehört zu jener Handvoll Spitzenquellen, die der Geheimdienst in den 90er Jahren mit großem finanziellen und materiellen Aufwand an zentrale Knotenpunkte der militanten rechten Szene schleuste. Neben D. zählen zu diesem Netz an Einflussagenten etwa der im März unter mysteriösen Umständen verstorbene Thomas R. (Deckname „Corelli“) sowie die früheren Thüringer Neonazi-Führer Tino Brandt („Otto“) und Michael von Dolsperg („Tarif“). Mit solchen V-Leuten an strategisch einflussreichen Positionen wollte der Verfassungsschutz die rechte Szene kontrollieren und steuern. Die eigentliche Frage im NSU-Skandal – die auch der Münchner Prozess klären muss – ist daher, ob und wie der Geheimdienst diese Möglichkeit genutzt hat: Haben die staatlich gedeckten Einflussagenten die Radikalität der rechten Szene gedämpft oder gar noch gefördert? Hat der Verfassungsschutz, um seine Quellen zu schützen, Hinweise auf rechtsterroristische Gruppen wie den NSU für sich behalten?

D. könnte darauf wichtige Antworten liefern. Wenn er denn will. Nur einmal hat er sich bislang öffentlich über seine Verbindung zum Verfassungsschutz geäußert: Im Spiegel stritt er vor ziemlich genau zwei Jahren vehement ab, ein V-Mann gewesen zu sein. Dagegen steht allerdings ein Schreiben des bayrischen CSU-Innenministers Joachim Herrmann an den Vorsitzenden des damaligen NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag vom 28. September 2012, wonach D. von Ende 1987 bis 1998 als V-Mann für den bayrischen Verfassungsschutz gearbeitet habe.

Allerdings begann die Geheimdiensttätigkeit von D. nicht erst im Jahr 1987. Das Münchner Landesamt hat den Neonazi nämlich von den Berliner Kollegen übernommen. Im damaligen West-Berlin soll D. in staatlichem Auftrag in der linken Szene unterwegs gewesen sein. Erst mit seinem Wechsel nach Bayern setzte ihn der Geheimdienst auf die Rechten an. D. ist offenbar ein sehr flexibler Agent, was auch eine andere Deutung zulässt: Demnach könnte er nicht wie ein klassischer V-Mann angeworben, sondern als verdeckter Ermittler in extremistische Kreise eingeschleust worden sein. Ein Staatsbeamter im besonderen Einsatz? Das würde die Rolle des Verfassungsschutzes in der rechten Szene in ein völlig neues Licht tauchen.

Schnelle Karriere in der rechten Szene

Auffällig ist jedenfalls, dass D. als Newcomer Ende der 80er Jahre ungewöhnlich schnell in der westdeutschen Naziszene aufstieg. So gehörte er zu den maßgeblichen Aktivisten der von Michael Kühnen 1988 gegründeten „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, kurz GdNF. Diese Gruppe war Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die wichtigste und in der Szene einflussreichste nationalsozialistische Kaderorganisation. Sie sah sich selbst in der Tradition der SA, sie orientierte sich nach Kühnens Worten am Parteiprogramm der NSDAP und strebte eine „nationalsozialistische Revolution in Deutschland“ an.

Der Verfassungsschutzagent D. war immer vorne mit dabei. Innerhalb der GdNF stieg er nach Kühnens Tod im Jahr 1991 zur Nummer zwei hinter Christian Worch auf. Nach dem Mauerfall intensivierte die Gruppe den Aufbau von Organisationsstrukturen in der ehemaligen DDR und das paramilitärische Training ihrer Mitglieder. Schwerpunkt war hierbei Thüringen. Als Bestandteil des von Kühnen im Januar 1990 entwickelten „Arbeitsplans Ost“ entwickelte sich dort mit Unterstützung von D. die Neonazi-Dachorganisation „Thüringer Heimatschutz“, die auch Heimat von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wurde.

Neben seiner Mitarbeit in der GdNF leitete D. die Gruppe „Antikommunistische Aktion“, einen Vorläufer der Anti-Antifa. Deren Ziel war die gewaltsame Verfolgung politischer Gegner. D. war an der Erstellung der Publikation Einblick beteiligt, in der Linke und Antifaschisten mit Foto und Anschrift faktisch zum Ziel für rechte Schläger gemacht wurden. Außerdem betrieb der Computerexperte für die GdNF die Mailbox „Kraftwerk BBS“ – einen Knotenpunkt im bundesweiten Neonazi-Internetdienst Thule-Netz, über den unter anderem Fotos nazikritischer Journalisten veröffentlicht wurden. Vor dem Münchner Gericht könnte D. nun auch die Frage klären, ob der Verfassungsschutz seine Computeraktivitäten subventionierte, mit denen Überfälle auf Nazi-Gegner initiiert werden sollten.

Bekannt war D. in der Szene übrigens dafür, dass er ständig mit seiner Videokamera unterwegs war und Veranstaltungen der rechten Szene filmte. Das Material dürfte der Spitzel auch seinem Verbindungsführer übergeben haben. Vielleicht würde der Blick in die Archive des bayrischen Verfassungsschutzes ja Aufnahmen zutage fördern, die auch für den NSU-Prozess von Interesse sind.

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