Der Fluchthelfer

Thomas S. gilt als eine Schlüsselfigur im Skandal um das Terror-Trio NSU. Seine rechte Vergangenheit hat ihn eingeholt

Nicht viele haben die drei so gut gekannt wie er. Bereits Anfang der Neunziger traf Thomas S. das erste Mal Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Über sieben Jahre hatte er Kontakt zu dem Trio. Aber nicht nur, dass er so dicht dran war an den Rechtsterroristen, hat Thomas S. jetzt unwillkommene Prominenz beschert, sondern auch seine Nähe zum Staat: Jahrelang wurde er vom Berliner Landeskriminalamt als V-Mann geführt.

S. stammt aus Chemnitz. Als er 1967 geboren wird, heißt die Stadt in Sachsen noch Karl-Marx-Stadt. Er wird Fußballfan, einer von der harten Sorte. „Satan Angels“ nennen sie sich, Hooligans, die weniger wegen ihres Klubs FC Karl-Marx-Stadt ins Stadion gehen als wegen der Randale. Nicht nur deswegen fällt S. immer wieder auf: In Jugendclubs prügeln er und seine Freunde sich mit anderen, sie zerkratzen Autos und werfen Grabsteine um. Er gerät ins Visier der Volkspolizei – als Rowdy, aber auch als Informant. Die stasiähnliche Kripoabteilung K 1, vergleichbar mit dem heutigen Staatsschutz, führt ihn schon zu DDR-Zeiten als Spitzel. S. selbst räumt ein, dass die Polizei ihn immer mal wieder befragt habe. „Da hieß es: Wir reden jetzt ein bisschen. Und wenn du den Mund nicht aufmachst, gibt es eins auf die Fresse“, zitiert ihn die Welt am Sonntag.

Nach der Wende lebt S. seine rechte Gesinnung offen aus. Er ist Skinhead, geht oft auf Konzerte von rechtsradikalen Bands. Auf einem davon, nach seinen Angaben 1991/92, lernt er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen. Anders als er, der „Action“ bevorzugt, seien die Thüringer Neonazis politisch orientierter gewesen, erinnert sich S., 1993 muss er in Haft, zweieinhalb Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerer Brandstiftung. Es ist seine erste Verurteilung, drei weitere werden bis 2005 folgen. Es geht um szenetypische Straftaten – Landfriedensbruch, Körperverletzung, Volksverhetzung. In Chemnitz gehört er zu den sogenannten 88ern, einer gewalttätigen Skinhead-Truppe, die die Stadt terrorisiert.

Eine Vielzahl überregionaler Kontakte

Bei seiner ersten Haftstrafe, die er in Waldheim absitzt, wird er von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos betreut: Sie besuchen ihn, schreiben ihm Briefe, die mit „Deine drei Jenaer“ unterzeichnet sind. Nach der Entlassung 1996 hat er eine kurze Affäre mit Beate Zschäpe. Als Mundlos ihn um Sprengstoff bittet, liefert er ihm – „in einem Päckchen in der Größe eines kleinen Schuhkartons“, wie er 2012 aussagt – rund ein Kilo TNT. Nur wenig später, Ende Januar 1998, findet die Polizei das TNT in einer Garage in Jena, der Bombenwerkstatt des Trios. Zeitgleich mit dem Fund gehen die drei in den Untergrund.

Ihr erster Anlaufpunkt ist Thomas S., inzwischen Vizechef der „Blood&Honour“-Sektion in Sachsen. Von Chemnitz aus organisiert er Rechtsrock-Konzerte sowie Skinhead-Partys und produziert das B&H-Fanzine White Supremacy, das eine Melange aus Konzertberichten und rassistischen Texten bietet. „S. verfügt über eine Vielzahl auch überregionaler Kontakte … (und) ist außerdem für die Erledigung konspirativer Aufgaben … einschlägig bekannt“, heißt es in einem Verfassungsschutzbericht. S. vermittelt den Flüchtigen einen Unterschlupf bei einem Freund in Chemnitz. Später stellt er für sie vermutlich auch den Kontakt zu der im Raum Johanngeorgenstadt aktiven Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE) her. WBE-Aktivisten werden bis zum Auffliegen des NSU im November 2011 die engsten Bezugspersonen des 2001 nach Zwickau umgesiedelten Trios bleiben.

S. selbst gibt an, im April oder Mai 1998 den letzten Kontakt zu den drei Jenaer Neonazis gehabt zu haben. Allerdings kennt er offenbar Kameraden, die in die Betreuung des Trios eingebunden sind. Was er von ihnen erfährt, erzählt er der Polizei.

Berliner Vertrauensperson

Denn seit 2000 ist Thomas S. wieder Spitzel. Doch nicht Beamte des sächsischen Landeskriminalamtes haben ihn angeheuert, sondern die Kollegen in Berlin. Die Dresdner hatten – so behaupten sie es zumindest– „erhebliche rechtliche Zweifel“ an einer Kooperation, da gegen S. wegen des bundesweiten Vertriebs verbotener Nazi-Musik ermittelt wird. Im Berliner Landeskriminalamt herrschen weniger Skrupel. Die dortigen Staatsschützer werben den Neonazi im November 2000 als Informant und führen ihn bis Januar 2011 als Vertrauensperson „VP 562“. Eine ergiebige Quelle scheint er aber nicht gewesen zu sein. Nur 38 Mal treffen ihn seine Führungsleute in knapp zehn Jahren. Die Beamten sind vor allem an seinen Kenntnissen über die rechte Musikszene interessiert. Fünfmal zwischen 2001 und 2005 erzählt S. auch, was er über das flüchtige Trio gehört hat. Von großer Brisanz aber waren die Informationen für die Ermittler nicht.

Zwar gab S. bei einem Treffen 2002 auch den Tipp, sein Freund und einstiger B&H-Chef in Sachsen, Jan W., soll Kontakt „zu den drei Personen aus Thüringen“ gehabt haben. Auf die Spur des Trios hätte diese Nachricht, wenn sie die Berliner Staatsschützer seinerzeit weitergegeben hätten, wohl kaum gebracht. Die drei hatten da schon längst jeden auch mittelbaren Kontakt zu führenden Rechtsextremisten wie Jan W. und Thomas S. abgebrochen.

S., mittlerweile 44 Jahre alt, wohnt heute mit seiner Familie in Dresden in einem Mehrfamilienhaus an einer verkehrsberuhigten Seitenstraße. Mit der Szene habe er vor gut zehn Jahren gebrochen, sagt er. Die Bundesanwaltschaft führt noch ein Verfahren gegen ihn, aber es wird wohl ohne Anklage eingestellt werden. Denn die Übergabe des Sprengstoffs 1997 und die Fluchthilfe 1998 sind verjährt.

Andreas Förster berichtet für den Freitag regelmäßig über die Aufklärung des NSU-Skandals Über zehn Jahre währte die Liaison zwischen dem Neonazi Thomas S. und dem Berliner LKA. Brisant sollen seine Aussagen aber nie gewesen sein, sagen die Ermittler heute

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