Beinahe hätte seine von Affären und Pannen überschattete Amtszeit dank eines späten Erfolges doch noch in milderem Licht erscheinen können: Die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit nach fünfjähriger Geiselhaft Mitte Oktober war auch und vor allem ein Verdienst von Ernst Uhrlau und seines BND, die nie locker ließen in den schwierigen Verhandlungen mit Hamas und Tel Aviv.
Aber nun endet Uhrlaus Amtszeit, der morgen offiziell in den Ruhestand verabschiedet wird, wie sie begann – mit einem Skandal. Brachten ihn bei seinem Amtsantritt am 1. Dezember 2005 die – von seinem Vorgänger geerbten – Affären um die Bespitzelung von Journalisten und die verschleierte Kriegshilfe für die US-Truppen im Irak in die Bredouille, sind es nun vernichtete Personalakten. Vergangene Woche wurde bekannt, dass 2007 – also in Uhrlaus Amtszeit – rund 250 dieser Dokumente geschreddert wurden. Darunter waren auch Akten von Nachrichtendienstlern, die während des Nationalsozialismus in der SS, dem SD oder der Gestapo tätig waren.
Ob Uhrlau dies angewiesen hat – was eher unwahrscheinlich ist – oder sein von ihm nie gebändigter Geheimdienstapparat selbstständig das Archiv säuberte, wird nun das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages zu klären haben. Für Uhrlau ist der Vorgang doppelt ärgerlich: Nicht nur, dass der Dienst auf den letzten Metern seiner Amtszeit wieder einmal für Negativ-Schlagzeilen sorgt; er diskreditiert auch die von ihm gegen heftigen Widerstand im Bundeskanzleramt und im eigenen Haus durchgesetzte Initiative, die braunen Wurzeln des BND durch unabhängige Historiker gründlich und ohne Einschränkungen aufarbeiten zu lassen.
Das Attribut des Pannendiensts
Und so wird Uhrlau als unglücklicher und gescheiterter Präsident in die Annalen des Dienstes eingehen. Seit seinem Amtsantritt hat sich der BND das nach 9/11 schon überwunden geglaubte Attribut des Pannendienstes zurückgeholt: Top-Quellen flogen auf, Spionageoperationen wurden bekannt, Journalisten sind grundgesetzwidrig bespitzelt worden. Und auch im Dienst sorgten Uhrlaus Personalpolitik und sein mangelnder nachrichtendienstlicher Sachverstand für anhaltenden Ärger. Nie in der BND-Geschichte war ein Präsident in der Belegschaft unbeliebter als er, nie zuvor war die Stimmung in der Behörde so schlecht.
Eine kleine, nicht auf Vollständigkeit bestehende Übersicht der BND-Pannen:
Im vergangenen Juli wird bekannt, dass geheime Baupläne der neuen BND-Zentrale in Berlin verloren gegangen sind. Die ganze Republik und das Ausland lachen sich kaputt, zusätzliche Baumaßnahmen sind notwendig, um die Sicherheit des Milliardenprojekts im Herzen der Hauptstadt zu garantieren.
2007 kauft der Dienst eine DVD mit den Kundendaten deutscher Steuerflüchtlinge auf. Ein Erfolg. Gleichzeitig aber lässt der BND auch die Identität des Liechtensteiner Informanten durchsickern, dem eigentlich Quellenschutz zugesichert war.
2008 lässt man einen Top-Agenten mit dem Decknamen „Sindbad“ auffliegen, der über ein Jahrzehnt lang BND und CIA brisante Informationen aus Teheran und über das iranische Atomprogramm geliefert hatte. Die BND-Spitze unternimmt nichts, um den Spion vor der Enttarnung zu retten.
Im Frühjahr 2008 fliegt ein Lauschangriff auf Minister der afghanischen Regierung auf. Zu den Kollateralopfern des Hacker-Angriffs zählt auch eine Spiegel-Reporterin. Als das bekannt wird, lässt der Dienst Akten über die Operation schreddern.
Im Herbst 2008 lassen sich drei BND-Agenten in Pristina beim Fotografieren am Tatort eines Bombenanschlags erwischen. Durch ungeschicktes Krisenmanagement fliegt eine großangelegte Spionageoperation des BND auf, mit der ein leistungsfähiges Agentennetz im Kosovo aufgebaut werden sollte.
Anfang 2009 stehen zwei Detektive vor Gericht, die im Auftrag des BND in Österreich und anderen EU-Staaten illegalen Kapitaltransfers nachspürten. Die Zielländer wussten davon nichts, obwohl es unter Partnerdiensten üblich ist, sich über Operationen im jeweils anderen Land zu informieren.
Für Schlagzeilen und Ärger im eigenen Haus sorgen auch zwei von Uhrlau durchgesetzte Spitzenpersonalien. Werner Ober, der als Sicherheitschef des Dienstes die rechtswidrige Bespitzelung BND-kritischer Journalisten zu verantworten hatte, steigt 2008 zum Vizepräsidenten auf. Schon zwei Jahre zuvor wird Heiner Wegesin – 2005 noch als überforderter Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes gefeuert – von Uhrlau überraschend zum Chef der Abteilung 5, Terrorabwehr, gemacht.
Ebenjener Wegesin aber beschäftigt auch die Sicherheitsabteilung des Dienstes. Zunächst wird intern gegen ihn ermittelt, weil der Dienst einem Schwindler auf den Leim geht, der den Antiterrorchef als angeblichen polnischen Agenten anschwärzt. Die Agentenposse übersteht der Abteilungsleiter noch. In diesem Jahr aber muss der Uhrlau-Vertraute seinen Platz räumen, weil sich auf seinem Dienstcomputer Fotos finden, die da nicht hingehörten.
2008 lässt die Dienstspitze ohne konkreten Anlass heimlich Dutzende Dienstcomputer eines Referatsleiters und seiner Mitarbeiter durchsuchen. Das Bundesverwaltungsgericht rügt das Vorgehen später in einem Urteil als grob rechtswidrig.
Ein Profi wird Nachfolger
Angesichts dieser Pannenbilanz grenzt es schon an ein Wunder, dass Uhrlau sich so lange auf seinem Posten halten konnte. Gerettet haben mag ihn sein zum Dienstantritt postuliertes Vorhaben, die braunen Wurzeln des BND endlich von einer Historikerkommission aufarbeiten zu lassen. Eine vorzeitige Ablösung des SPD-Mannes, so fürchtete man wohl im Kanzleramt, hätte vom politischen Gegner als Torpedierung dieser Aufarbeitung umgedeutet werden können.
Und so kann Uhrlau mit Erreichen der Pensionsgrenze in dieser Woche in Ehren aus dem Amt des BND-Präsidenten ausscheiden.
Sein Nachfolger ist Rudolf Schindler, ein Geheimdienstprofi, der von vielen Sicherheitsexperten hierzulande, aber auch bei den Verbündeten geschätzt wird. Als Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium leitete er die letzten Jahre die wichtige Abteilung „Öffentliche Sicherheit“. Dort beaufsichtigte das FDP-Mitglied die Arbeit von Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz. Der frühere Fallschirmjäger ist vom Fach: Zu Mauerzeiten arbeitete Schindler selbst im Kölner Bundesamt und befehligte unter anderem als Referatsleiter die Observationstruppe, die Jagd auf Ostspione machte.
Im Berliner Ministerium hat der studierte Jurist, der als ein scharfer Hund gilt, rund 120 Experten unter sich, die vor allem islamische sowie links- und rechtsradikale Extremisten im Visier haben. Insider, die mit ihm zu tun haben, bescheinigen Schindler ein enormes Detailwissen über gefährliche Netzwerke und selbst kleinste Splittergruppen. In den Sicherheitslagen, die jeweils dienstags im Kanzleramt stattfinden, hatte der Spitzenbeamte mehrmals den Innenstaatssekretär vertreten. Er ist anerkannt, kompetent und bestens vernetzt – einer also, dem man zutraut, den unter Uhrlau ramponierten Ruf des BND wieder aufzubessern.
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