Leitbild "Green Goal"

Südafrika Entwicklungshelfer aus Deutschland haben die Fußball-WM als Anstoß für Projekte betrachtet, die Südafrika weit über das Championat hinaus zugute kommen sollten

“Draußen ist so viel los, der Verkehr wird einfach nicht besser. Trotzdem, ich muss jetzt nach Hause.” Lizzie Mdala hat Feierabend, doch einen langen Heimweg vor sich. Sie fährt den Computer herunter und steht auf. Gleich muss sie irgendwo im Straßengewühl einen privaten Minibus stoppen und dann zusehen, wie sie zu Fuß weiter durchkommt. Lizzie, die vor einigen Jahren aus Sambia nach Johannesburg ging, um einen Job zu finden, kann sich als Servicekraft beim Reparaturdienst eines Handy-Herstellers kein eigenes Auto leisten. Und öffentliche Verkehrsmittel bietet die Wirtschaftskapitale bisher kaum.

Pünktlich zur WM wird ein Teil des Dilemmas durch ein deutsch-südafrikanisches Kooperationsprojekt behoben. GTZ und KfW, als Helfer und Finanziers aus Deutschland, sind mit südafrikanischen Partnern dabei, ein Bus-Rapid-Transport-System einzuführen, das auch über das Championat hinaus für bessere Anbindungen im Nahverkehr sorgen wird. Eine Verbindung steht bereits: Auf einer 25 Kilometer langen Strecke befördern Dutzende rote Busse Fahrgäste im Drei-Minuten-Takt zwischen Soweto und City, vorbei an den beiden Johannesburger Sportstadien. Eine zweite Buslinie hat als Innenstadt-Ring den Betrieb aufgenommen. Bus-Tour Nr. 3 im nördliches Soweto soll 2011 folgen.

Vehikel des Fortschritts

Auch wenn es Verzögerungen gibt, so gilt die Kooperation beim Personennahverkehr – Finanzvolumen: zwei Millionen Euro – als Erfolg. Sie zeige, was die WM als Vehikel des Fortschritts nutzen könne, meint Harald Gerding, KfW-Büroleiter in Pretoria. Von “Entwicklungsimpulsen” spricht auch Andreas Proksch, Afrika-Bereichsleiter der GTZ. Ohne die WM 2010 wären öffentliche Schnellbusse wahrscheinlich auf absehbare Zeit gar nicht zum Zuge gekommen, glaubt er. Aber noch weiß keiner, wann etwa in Port Elisabeth ein “intermodulares System”, das Fernbahn mit Omnibus oder Tram vernetzt, zustande kommt.

Grüner Fußball so die Vision der deutsch-südafrikanischen Kooperation: Passend zum Green Goal, dem Leitbild der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Das Mega-Event sollte klimaneutral ablaufen. 2008 hatte die Bundesregierung Hilfe von 50 Millionen Euro zugesagt, um dieses Vorhaben zu unterstützen – nicht nur beim Verkehr, ebenso im Energiesektor.

Eine andere Form der Zusammenarbeit, die ebenfalls über den Tag hinaus Entwicklungen anstoßen will, entstand auf kommunaler Ebene unter dem Motto “Partnerschaft mit Kick”. Seit 2006 kam es zwischen allen ehemaligen deutschen und jetzigen südafrikanischen WM-Städten zu einem regen Austausch. Plattform des Transfers ist die “Servicestelle Kommunen in der Einen Welt” (InWEnt), unterstützt durch GTZ und DED. Rund 70 Fachleute aus Leipzig, Kaiserslautern, Gelsenkirchen sowie den anderen WM-Städten von 2006 teilten bereits mit, was als Erfahrung für die südafrikanischen Partner von Nutzen sein könnte, um im Gegenzug selbst Neues aus Rustenburg, Mangaung, Mbombela und den anderen Austragungsorten am Kap mitzunehmen.

Ein WM-Berater, der bereits vor einiger Zeit vom Kap zurückkehrte, ist Gerd Kolbe, vormals Leiter von Pressestelle und WM-Büro der Stadt Dortmund. Nach wie vor ist er ganz beeindruckt von der “hohen Kunst der Improvisation”, was nicht ironisch gemeint sein soll. Rustenburg zum Beispiel, eine Stadt des Platinbergbaus, baute in nur sechs Monaten ein komplettes Trainingsstadion für 20.000 Menschen. Kolbe meint, für die Organisatoren in Südafrika ergäben sich ähnliche Fragen wie für die in Deutschland vor vier Jahren: “Fan-Zonen einrichten, Sicherheitsbelange klären, Auftritte als Gastgeber vorbereiten, Vorfreude erzeugen.”
Ob Polizei, Katastrophenschutz oder Feuerwehreinsatz – jeder Austragungsort muss vor jedem Anpfiff Einsatzpläne für alle erdenklichen Notfälle haben, die auch den Einsturz von Zuschauer-Tribünen einkalkulieren. Michael Gräf, der die Assistenz der deutschen WM-Kommunen vor Ort koordiniert, meint, dass die Gefahrenabwehr dem Land über die WM hinaus erhalten bleibe, nicht zuletzt die verbesserte Ausrüstung der Polizei mit Funkgeräten. Er sei zuversichtlich angesichts der getroffene Sicherheitsvorkehrungen. Gewiss werde es No Go Areas geben, also Stadtviertel, die kein Besucher allein betreten sollte. Andererseits verhielten sich die Fans in Südafrikas friedlicher als in manchen Gegenden Europas. Hooligans seien jedoch kein Problem. Südafrikas Polizei sei auf alle Fälle gut vorbereitet.

Billige FIFA-Tops

Einheimischen WM-Kritikern wie der NGO Development Action Group, aus deren Sicht das Spektakel gar nicht zur ökonomischen Entwicklung beiträgt, sondern soziale Spaltungen vertieft und Preise slowie Mieten in die Höhe treibt, widerspricht Gräf. So sei etwa Greenpoint, wo das prächtige neue Stadion in Kapstadt errichtet wurde, immer schon “hochpreisig gewesen”. Überall seien durch die Berater auch schwierige gesellschaftliche Themen aufgegriffen worden – etwa in punkto local economic development. Zwar schlössen FIFA-Regeln aus, dass fliegende Händler an den Fußballstadien verkauften, doch habe man stets diskutiert, wie sie dennoch profitieren und an Fans herankommen könnten. An sämtlichen Austragungsorten habe es Training für informelle Handelstreibende gegeben.

Wird das Fußball-Event nun einen Kick für ganz Südafrika bringen? Ein Urteil wird erst nach der WM möglich sein. Über Umweltschutz beim Stadtverkehr nachzudenken, wird Johannesburg vorerst weiterhin wie Luxus vorkommen. Lizzie Mdala hatte Glück: “Neuerdings nimmt mich ein Kollege aus meiner Abteilung bis nach Hause mit.” Zum Shopping am Wochenende fährt sie mit ihrer Schwester: “Die hat ihr eigenes Auto.” An der WM stört Lizzie, dass viele Händler aufgeregt dabei sind, die Preise hochzuschrauben: “Die wollen bloß die Besucher ausnehmen.” Aber die billigen FIFA-Tops, die Straßenhändler an der Kreuzung anbieten, wollte sie nicht kaufen. Die seien unecht. Und fake möge sie nicht.


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