Für Armin Hollenstein ist der Weg bereits das Ziel. Am 13. März brach er zur Fußball-WM in Südafrika auf, drei Monate vor dem Anpfiff. Per Geländewagen von Bielefeld aus, eine Reise von 16.000 Kilometern. Von seinen Erlebnissen unterwegs berichtet er in einem Blog auf der Webseite des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Die Aufmerksamkeit, die der Trip des Fußballfans bringen soll, können DFB und FIFA gut brauchen. In Deutschland sind erst rund 40.000 Eintrittskarten verkauft, weltweit bisher 2,3 Millionen. Das heißt: Wer im Moment ein WM-Ticket haben will, bekommt auch eins. Vor vier Jahren überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem.
Als oft zitiertes „Sommermärchen“ feierten 2006 zahllose Fußballfans die WM in Deutschland. Hoffen nun zu wenige, den gegensätzlichen Jahreszeiten entsprechend, auf ein „Wintermärchen“ in Südafrika? Wirken die Attraktionen nicht: Soccer City, Greenpoint Stadion, Fan-Tröte Vuvuzela und die legendäre Begeisterungsfähigkeit afrikanischer Fans?
DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach führt den „unbefriedigenden Ticketabsatz“ hierzulande auf die hohen Reisekosten zurück. Zweitrangig seien Sicherheitssorgen. Tchibo bietet WM-Ticket und Reise ab 2.690 Euro. Pakete zu rund 3.000 Euro haben Dertour oder Passion Southafrica im Angebot, auch für „Selbstfahrer“.
Haken der Pauschalreisen ist weniger ihr Preis, eher ihr Gebrauchswert. Ins „Paket“ passt eben bei einer Woche Dauer allein aus Zeitgründen kaum mehr als Public Viewing im Football Village sowie ein bis zwei Spiele live im Stadion. Villeicht noch eine „Jo’burg-Tour mit Sowetoabstecher“ oder ein kurzer Naturausflug, aber das war’s.
Die FIFA als Türsteher
Wie ein Türsteher, der nur ausgewählte Gäste einlässt, hat die FIFA lediglich eine Hand voll Reiseunternehmen in Deutschland mit der Lizenz ausgestattet, WM-Touren zu organisieren. Sie verfolgt dabei das klare Kalkül, Geld zu machen. Das zeigt sich auch in Hierarchien: So findet sich einzig die Airline „Emirates“ rasch auf der FIFA-Webseite, gemäß ihrer Stellung als „FIFA-Partner“. Nach weniger spendablen Reiseunternehmen muss man hingegen mühsam suchen, obwohl sie sich ebenfalls eingekauft haben.
„Ein anderthalb Jahre dauerndes Bewerbungsverfahren“ habe sein Unternehmen bestehen müssen, berichtet ein von der FIFA akkreditierter Reiseveranstalter. Außerdem mussten beachtliche Gebühren entrichtet werden. Gezwungenermaßen kalkulieren die wenigen Anbieter also knapp und verzichten auf teure Extratouren, um selbst ihren Schnitt zu machen.
Auf Nachhaltigkeit bedachte Reisefreunde können nur kritisch auf den WM-Tourismus blicken. So berichtet Francois Viljoen von Open Africa, einer renommierten Organisation für nachhaltiges Reisen in Afrika, dass sich seine NGO bewusst nicht unmittelbar ums Fußball-Spektakel kümmert. Zur Förderung lokaler Wirtschaft und Entwicklung im südlichen Afrika spricht Open Africa jene Zielgruppen an, die sich für Reisewege abseits ausgetretener Pfade interessieren, etwa Community based Tourism. Gleichwohl betont Viljoen den „großen langfristigen Vorteil“ der WM: Als Schaufenster zur Vermarktung des Zielortes Südafrika. Der Gewinn werde sich später erweisen, davon ist er überzeugt.
Das Geld soll nicht abfließen
Auch das deutsche Forum Anders Reisen blickt skeptisch auf den Event-Tourismus, mit dem die WM vermarktet werden soll: Wider aller Beteuerungen im Vorfeld („Green Goal“) sehe er mit Besorgnis den erhöhten CO2-Ausstoß der kommenden Monate, sagt Forum-Geschäftsführer Johannes Reißland. Damit Klimakosten und Genuss wenigstens einigermaßen in einem vernünftigen Verhältnis stehen, rät Reißland mindestens zwei Wochen vor Ort zu bleiben, wie es das Forum Anders Reisen allgemein bei Fernreisen über 2.000 Kilometer empfiehlt. Außerdem sollte man darauf achten, dass die eigenen Ausgaben im Reiseland in der lokalen Wertschöpfungskette bleiben und nicht abfließen.
Ein kurioses bis ärgerliches Gegenbeispiel: die Luxusliner von Pro Event Travel. Nach dem Motto „Am sichersten ist es, gar nicht erst afrikanischen Boden zu betreten“ spielt sich die WM-Reise praktisch nur auf Kreuzfahrtschiffen ab. „Das sicherste Hotel Südafrikas“ – so der Werbeslogan der MS Noordam – schippert von Palma de Mallorca nach Port Elizabeth am Ostkap. Wer den One Ocean Club bucht, hat das MDR-Fernsehballett oder die Schwarzmeerkosaken mit an Bord. „Das dreistufige Sicherheitskonzept“ hält Südafrika und seine Menschen auf Abstand – wie eine WM-Fernsehübertragung im Wohnzimmer.
Im Gegensatz dazu komme es bei nachhaltigem Tourismus auf konkrete Begegnungen an, sagt die Soziologin Mo Witzki, die zu diesem Thema in Afrika geforscht hat. Die Frage sei nur, welche Fans und Gäste sich dafür wirklich interessierten. Abseits des Massenspektakels, komme es auf engagierte Kulturvermittlung und kenntnisreiche Führungen durch die Townships an, wenn verhindert werden soll, dass WM-Trips wie eine „Theaterveranstaltung“ ablaufen und nur distanziert konsumiert werden.
In Südafrika selbst gibt es große Vorfreude auf Begegnungen mit Fußball-Gästen. „Für mein Heimatland ist das super“, sagt Rowen Fernandez, der Torhüter des südafrikanischen Nationalteams. Doch nicht nur Fußballer und eingefleischte Fans sind gespannt: 90 Prozent der Südafrikaner gehen – laut einer neuen Umfrage – mit positiven Gefühlen der WM entgegen.
Hohe Erwartungen an das Sportereignis hegen auch die Menschen in allen anderen Ländern südlich der Sahara. Die positiven Assoziationen verbesserten das Image der Region, die WM ziehe auch für andere Länder Touristen an, sagt Namibias Botschafter S.E. Neville Melvin Gertze. „Es kann nur besser werden,“ meint bescheidener die Managerin eines Hotels in Vilanculos, Mosambik. Sie erinnert an die Buchungseinbrüche aufgrund der Weltfinanzkrise.
Doch viele Tourismusanbieter in den Nachbarländern sind optimistisch bis euphorisch. „Viele Gäste werden zum ersten Mal nach Afrika kommen und nach der Aufregung in Südafrika weiterreisen. Sie wollen in den Nachbarländen relaxen“, hofft Konny von Schmettau, die eine „Safari Beach Lodge“ am Malawisee betreibt.
Ob sich all diese WM-Hoffnungen verwirklichen werden, ist so ungewiss, wie die Frage, ob Deutschland übers Achtelfinale hinauskommt. Weil sich international bisher weniger Tickets verkaufen, werden übrigens mehr südafrikanische Fans in den Genuss weiterer preiswerter Karten kommen – gar kein schlechter Heimvorteil.
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