Zukunft Alma Mater GmbH

Privatisierung der Bildung Teil 4 Das nordrhein-westfälische "Hochschulfreiheitsgesetz" treibt nicht die Freiheit, sondern die ökonomische Regulierung der Universitäten voran

In der Reihe Vom Menschenrecht zur Markenware untersuchen Autorinnen und Autoren die Privatisierungstendenzen im Bildungssektor. Neben Clemens Knobloch, der einen Überblick gab (Freitag 27/28), schrieben Ingrid Lohmann über den Einfluss der Bertelsmann-Stiftung auf die Schulen (Freitag 31) und Michael Hartmann über die Funktion von Studiengebühren und Elite-Universitäten (Freitag 35). Andreas Keller widmet sich den institutionell-organisatorischen Folgen des Hochschulfreiheitsgesetzes in NRW. Die Reihe wird fortgesetzt.

Nachdem das Land Nordrhein-Westfalen erst 2004 ein "Hochschulreformweiterentwicklungsgesetz" bekommen hat, soll dieses nach dem Willen der CDU/FDP-Landesregierung durch ein "Hochschulfreiheitsgesetz" abgelöst werden. Gerade in der Hochschulpolitik ist sprachliche Kosmetik nichts Ungewöhnliches: So heißen zum Beispiel Studiengebühren neuerdings "Studienbeiträge", was sich weniger obrigkeitsstaatlich anhört, Freiwilligkeit suggeriert und ausdrücken soll, dass Gebühren in der Größenordnung von 500 oder 1.000 Euro erst einen anteiligen "Beitrag" zu den Kosten darstellen, die der Studiengang insgesamt verursacht. Doch warum nun "Hochschulfreiheit"?

Freiheit, die Bertelsmann meint

In einem der letzten großen bundesweiten studentischen Streiks 1988/89 besetzten Studentinnen und Studenten Institute der Freien Universität Berlin und erklärten sie zur "BeFREIten Uni". Auch sie hatten die Freiheit der Hochschulen im Sinne, wohl in ähnlicher Weise wie zuvor der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), dessen Landesverband Hamburg 1968 den Entwurf eines Hochschulgesetzes vorlegte, in dem es heißt: "Die Durchführung des Wissenschaftsprozesses unterliegt allein der Entscheidung der Universität und ihrer Organe. Die dazu erforderlichen Mittel stellt der Staat zur Verfügung. Im Falle der Weigerung des Staates hat die Universität das Widerstandsrecht." Wer sich die Befreiung der Hochschulen zum Ziel setzt, kann also zunächst in der Tradition der westdeutschen Studentenbewegung die autonome Selbstbestimmung der Hochschulmitglieder, die direkt-demokratische Aneignung des Wissenschaftsprozesses durch Lehrende und Lernende im Sinne haben.

An diesen Freiheitsdiskurs knüpft das nordrhein-westfälische Hochschulfreiheitsgesetz ganz offensichtlich nicht an. Es bezieht sich vielmehr auf Die entfesselte Hochschule - so der Titel eines 2000 erschienenen Buchs von Detlef Müller-Böling, dem Leiter des 1994 gemeinsam von der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz gegründeten Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) mit Sitz in Gütersloh. Kritiker haben den Charakter des CHE zutreffend als Think Tank für eine neoliberale Umstrukturierung des Hochschulwesens herausgearbeitet. Inzwischen orientiert sich der Mainstream der Hochschulpolitik von Bund, Ländern und Hochschulleitungen an den Reformkonzepten des CHE. Insofern ist die Bezeichnung des Hochschulfreiheitsgesetzes sehr viel weniger originell als sein Inhalt: Jüngste Hochschulgesetznovellen in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Hamburg gehen mehr oder weniger den gleichen Weg.

Leitbild einer so verstandenen "Befreiung" der Hochschulen ist deren Umwandlung in Dienstleistungsunternehmen, die auf einem Wissenschaftsmarkt ihre Produkte - Forschungsdienstleistungen sowie die Aus- und Weiterbildung von Studierenden - an kaufkräftige Nachfrager absetzen müssen. Als Kundinnen und Kunden des Unternehmens Uni müssen die Studierenden eine marktgerechte Nachfrage entfalten können: indem sie für den Konsum der von den Hochschulen angebotenen Dienstleistungen "Studienbeiträge" bezahlen - so sieht es das nordrhein-westfälische "Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetz" ab dem Wintersemester 2006/07 vor. Hochschulbildung wird somit zur Ware, der Zugang zu ihr erfolgt nach Maßgabe der Kaufkraft der studentischen Nachfrager.

"Hochschulfreiheit" bedeutet vor diesem Hintergrund zunächst eine Stärkung der wirtschaftlichen Autonomie der Hochschulen, insbesondere durch die Globalisierung der Hochschulhaushalte, die an den nordrhein-westfälischen Hochschulen zum 1. Januar 2006 eingeführt wurde. Gleichzeitig werden die Hochschulen aber Systemen leistungsorientierter Mittelvergabe ausgesetzt, die betriebswirtschaftlich definierte Erfolge und Misserfolge der Hochschulen in finanzielle Anreize und Sanktionen buchstäblich ummünzen. Das Ergebnis von auf diese Weise erzeugten Quasi-Märkten ist nicht eine Autonomie der Hochschule, sondern ihre Heteronomie: ihre externe Steuerung durch marktförmigen Wettbewerb. Ganz konsequent sieht der Regierungsentwurf für das Hochschulfreiheitsgesetz vor, dass Hochschulen in Insolvenz gehen können.

Aufsichtsrat statt Selbstverwaltung

Pendant zur Marktpositionierung der Hochschulen ist die Umstrukturierung ihrer inneren Verfassung nach dem Vorbild einer Kapitalgesellschaft. Das Hochschulfreiheitsgesetz reduziert die Kompetenz der von den Hochschulmitgliedern gewählten Selbstverwaltungsorgane Senat und Fachbereichsrat in allen Haushalts- und Planungsangelegenheiten auf unverbindliche "Empfehlungen und Stellungnahmen". Nahezu alle wichtigen Kompetenzen konzentriert das Gesetz bei den Leitungsorganen Präsidium und Dekan. Die Entmachtung der gewählten Kollegialorgane ist nicht nur ein Schlag gegen die Mitbestimmung von Studierenden und Personal, sondern gegen die Hochschulselbstverwaltung als solche: Auch die Machtstellung des bislang durch absolute Mehrheiten in allen Gremien privilegierten Professoriats wird substanziell untergraben, wenn die Gremien im Wesentlichen nur noch Beratungsfunktionen ausüben.

Dieser Bruch mit der jahrhundertealten Tradition der akademischen Selbstverwaltung wird dadurch auf die Spitze getrieben, dass die Hochschulen unter Kuratel von Hochschulräten gestellt werden. Wie der Vorstand in einer Aktiengesellschaft vom Aufsichtsrat überwacht und kontrolliert wird, hat die Macht des Präsidiums in der Hochschule künftig im Hochschulrat ihre Grenzen. Das Hochschulfreiheitsgesetz gibt dem Hochschulrat sehr weit reichende Kompetenzen: Neben der Zustimmung zum Wirtschaftsplan und zum Hochschulentwicklungsplan gehört die Wahl der Mitglieder des Präsidiums zu seinen Aufgaben, die vom Senat nur noch bestätigt werden muss. Damit hat das nordrhein-westfälische Freiheitsgesetz konsequent das von Detlef Müller-Böling und dem CHE geforderte "Prinzip der doppelten Legitimation" realisiert. Neben die Legitimation der Hochschulleitung durch die Hochschule und ihre gewählten Selbstverwaltungsorgane tritt die Legitimation und Kontrolle durch ein externes Aufsichtsgremium. Analog bedarf künftig die Wahl von Dekaninnen und Dekanen über die Wahl durch den Fachbereichsrat hinaus der Bestätigung durch die Hochschulleitung.

Der Hochschulrat besteht zu mindestens 50 Prozent, unter bestimmten Voraussetzungen sogar zu 100 Prozent aus externen Mitgliedern, die nicht der Hochschule angehören. Ein gewissermaßen mit Privatpersonen besetztes Aufsichtsorgan passt aber schwerlich zu einem öffentlichen Hochschulsystem. Die Hochschulräte stehen daher für einen Paradigmenwechsel, der die politische Verantwortung für die Hochschulentwicklung weder beim Staat noch bei der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, sondern bei Dritten - bei Privaten - ansiedelt. Insofern kann die Umstrukturierung, wie sie in Nordrhein-Westfalen durch das Hochschulfreiheitsgesetz betrieben wird, als institutionelle Privatisierung der Hochschulen begriffen werden.

In diesen Zusammenhang ist auch die Änderung der Rechtsform der Hochschulen einzuordnen. Gemäß Freiheitsgesetz bleiben die nordrhein-westfälischen Hochschulen zwar zunächst Körperschaften des öffentlichen Rechts, verlieren aber ihren traditionellen Doppelcharakter, zugleich auch staatliche Einrichtungen zu sein. In Folge dessen werden die Hochschulen Arbeitgeberinnen und Dienstherrinnen ihres Personals - diese Funktion übte bisher das Land aus. Die Überführung in eine völlig andere Rechtsform ist als Option bereits im Freiheitsgesetz enthalten. Eine andere Rechtsform wäre beispielsweise die GmbH. Die institutionelle Privatisierung der Hochschulen durch externe Hochschulräte könnte so im nächsten Schritt zur förmlichen Privatisierung weiter getrieben werden, um eines Tages womöglich im vollständigen Verkauf zu enden, wenn der Staat Anteile an der Alma Mater GmbH veräußert. Der vor kurzem vorgenommene Verkauf des Universitätsklinikums Gießen und Marburg zeigt, dass auch dieser letzte Schritt nicht mehr undenkbar ist. Der Rückzug des Bundes aus der Hochschulbauförderung in Folge der Föderalismusreform könnte in den Ländern den Ruf nach privaten Investoren lauter werden lassen.

Gleichwohl wäre es verkürzt, im Hochschulfreiheitsgesetz den ersten Schritt hin zu einer Vollprivatisierung der nordrhein-westfälischen Hochschulen zu sehen. Die aktuelle Herausforderung liegt nicht in einem kompletten Rückzug des Staates aus Forschung, Lehre und Studium, sondern in einer internen Ökonomisierung der in öffentlicher Hand bleibenden Hochschulen und ihrer Umstrukturierung nach dem Vorbild privatwirtschaftlicher Unternehmen. An die Stelle der politischen Regulierung des Hochschulwesens durch gewählte Hochschulorgane oder Repräsentanten der demokratisch legitimierten Staatsorgane tritt die ökonomische Regulierung durch marktförmige Steuerungssysteme und die autokratische Willkürherrschaft frei schwebender Leitungs- und Aufsichtsorgane.

Andreas Keller arbeitet in der Berliner Hochschulverwaltung und ist Mitglied im Bundesvorstand des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).


Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden