Der Freitag: Herr Strasdas, setzt sich die Tourismusbranche ernsthaft mit dem Klimawandel auseinander?
Wolfgang Strasdas: Sie schiebt das Problem vor sich her. Ich fürchte, dass es im Tourismus so läuft wie in unserer Gesellschaft allgemein: Der Klimawandel wird nicht konsequent bekämpft, kurzfristige Dinge haben Vorrang. Trotzdem spüre ich in der Branche eine gewisse Erschütterung, dass zwei Krisen so kurz hintereinander folgten, erst der Klimawandel und jetzt die Finanzkrise. Die Tourismusbranche hat das unbestimmte Gefühl beschlichen, nicht mehr so weiter machen zu können wie bisher. Spätestens wenn die Finanzkrise überstanden ist, wird man merken, dass da noch der Klimawandel wartet. Er war nur beiseite gelegt.
Welchen Einfluss hat der Touris
elegt.Welchen Einfluss hat der Tourismus auf die Erderwärmung?Es ist schwierig, das in Zahlen zu fassen. Nach einer Studie der Welttourismusorganisation aus dem Jahre 2007 liegt der touristische Anteil an der Erderwärmung bei fünf Prozent. Dieser Wert bezieht sich aber nur auf die Kohlendioxidemissionen. Ausgeklammert war bei der Studie der Radiative Forcing Index, die Maßeinheit für die erhöhte Klimawirksamkeit des Flugverkehrs durch Stickoxide, Wasserdampf, Kondensstreifen und Zirruswolken. Der Effekt der Zirruswolkenbildung ist wissenschaftlich erst ansatzweise erforscht. Daher ist der Faktor 5,8 bis auf Weiteres ein maximaler Wert für den Erderwärmungseffekt des Fliegens. Der Klimarat der Vereinten Nationen benutzt den eher vorsichtigen Faktor 2,7. Allein damit würde der Anteil des Tourismus an der globalen Erwärmung auf etwa zehn Prozent steigen.Das ist keine Werbung für Flugreisen.Der Klimawandel trifft den Kern des touristischen Geschäfts. Deswegen streiten die Airlines die Existenz des Radiative Forcing Index bislang vehement ab. Sie verweisen lieber auf ihre energieeffizienten Maschinen. In der Vergangenheit war es aber so, dass jede Treibstoffeinsparung vom Wachstum des Flugverkehrs aufgefressen wurde. Bei den erwarteten Wachstumsraten im Tourismus wird sich daran nichts ändern. Man schätzt, dass bis 2020 1,6 Milliarden Touristen um die Welt reisen - fast doppelt so viele wie heute. Die klimatische Bilanz wird zwangsläufig immer schlechter, radikale Einschnitte sind nötig. Für den Tourismus geht es damit aber ans Eingemachte.Ab 2012 wird der Flugverkehr in den Europäischen Emissionshandel eingebunden. Ein geeignetes Instrument für den Klimaschutz? Energie muss staatlicherseits teurer gemacht werden. Ich halte sehr viel vom Emissionshandel im Flugverkehr mit einer exakt definierten Verschmutzungs-Obergrenze für den Flugsektor. Der Emissionshandel hat zugegebenermaßen auch Nachteile: Er entsteht aus einem politischen Prozess heraus, da werden Emissionsgrenzen so weit wie möglich nach oben verschoben. Zudem müssen die Airlines nicht zwingend in die eigene Flotte investieren, um ihre Emissionen zu senken. Sie können sich freikaufen, indem sie in Emissionsausgleich-Projekte in Entwicklungsländern investieren. Die Airlines können ihre Emissionen aber nicht unbegrenzt in anderen Teilen der Welt kompensieren. Sie müssen auch bei sich zuhause etwas tun.Das Umweltbewusstsein des Urlaubers ist auch gefordert. Ein Passagier kann die Emissionen der Reise freiwillig ausgleichen. Ist Freiwilligkeit ein sinnvolles Prinzip?Wenn alle mitmachen würden! Und da sind wir wieder beim Radiative Forcing Index. Wenn der korrekt angewendet wird wie bei Atmosfair, dann kostet der Flug nach Mallorca zusätzlich 30 Euro und für die Reise nach Namibia sind schon etwas über 100 Euro fällig. Leider gibt es keinen verbindlichen Standard für die Berechnung der Klimagebühren eines Fluges. Manche Airlines verschweigen die wahren Kosten.Wer tut sich da hervor? Easy Jet bietet Flugkompensationen für ein paar Euro. So wird suggeriert, dass ein gutes Gewissen fast gratis zu haben ist. Und Lufthansa hat beim Emissionsrechner den Radiative Forcing Index herausgenommen. Das ist Augenwischerei - so verliert der freiwillige Emissionsausgleich seine Glaubwürdigkeit.Wie definieren Sie nachhaltigen Tourismus?Nachhaltigkeit ist allumfassend. Sie besteht aus vielen Faktoren, die sich auch widersprechen können - zum Beispiel das soziale Prinzip dem ökologischen. Wenn man auf den Flug verzichtet, hilft das zwar dem Klima. Aber wenn die Touristen wegbleiben, bricht die Wirtschaft mancher Zielländer zusammen. Die Kanarischen Inseln würden ohne Tourismus verarmen. Es gibt nie einfache Lösungen, nur eine fragile Balance zwischen verschiedenen Faktoren.Ist Ökotourismus so klimafreundlich, wie der Name verspricht?Entscheidend ist nicht das Urlaubsformat, sondern was pro Kopf an Emissionen verursacht wird. Nehmen wir Ökotourismus in Costa Rica. Bei einer Fernreise sind die Umweltbelastungen sehr hoch. Der Flug allein ist für mehr als 90 Prozent der Gesamtemissionen der Reise verantwortlich. Und nach der Anreise entstehen dann weitere Emissionen im Land, etwa wenn unwegsame Gebiete im Dschungel auf dem Programm stehen, die nur mit dem Kleinflugzeug erreicht werden können. Eine klassische Pauschalreise ist dagegen vergleichsweise klimafreundlich. Nach der Ankunft bewegt sich der Pauschaltourist üblicherweise nicht mehr vom Strand weg.Was gehört zu einem umweltfreundlich geführten Hotel?Einsparungen bei Wasser- und Energieverbrauch und eine möglichst komplette Versorgung durch erneuerbare Energien - nicht nur mit Ökostrom, sondern auch mit Solar- oder Erdwärme. Bei den Hotels sind nachhaltige Konzepte am weitesten verbreitet, einfach weil man dadurch auch Kosten sparen kann. In Deutschland gibt es mittlerweile eine Handvoll klimaneutrale Unterkünfte. „Klimaneutral“ ist allerdings keine geschützte Marke.Nimmt sich der Tourismus die eigene Grundlage, wenn er weiter wächst, ohne sich den Zwängen des Klimawandels anzupassen?Ja, das tut er weltweit. Destinationen wie die Seychellen oder Malediven befinden sich in einer besonders prekären Lage. Dort läuft außer Urlaub fast nichts. Sie sind wirtschaftlich abhängig von Fernreisen und gleichzeitig in ihrer Existenz bedroht durch den Anstieg des Meeresspiegels, den eben diese Fernreisen mitverursachen.