Die Sonne meide!

Bad Reading Unser Kritiker bereist Mallorca in Büchern und wünscht sich sein Leben als Short Story von Richard Ford
Ausgabe 39/2017

Nach einem halben Jahr Bad Reading verspürt der Kritiker das sanfte Bedürfnis, sich zwischendurch mit einem kleinen Good Reading zu belohnen (oder erholen). Deswegen heute ausnahmsweise mal drei neue Bücher von drei Lieblingsautoren, vorgestellt vom Fünf-Sternchen-Kommentator Ihres Vertrauens.

Mitte des Jahres traf mich mein Tischtennis-Kumpel Brenner (keine Wolf-Haas-Erfindung, sondern this has really happened) zwischen zwei Vorhänden vollkommen unvorbereitet: Richard Ford habe was über seine Eltern geschrieben, Between Them, ob ich das schon bestellt hätte.

Obwohl der Frank-Bascombe-Erfinder einer meiner absoluten Lieblingsautoren ist, den ich gerade noch im Rahmen seines triumphalen Let-Me-Be-Frank-With-You-Comebacks bei einer grauenvollen, denis-scheck-moderierten Lesung an der Schaubühne abgefeiert hatte, wusste ich davon nichts. „Wie, als Roman?“ – „Nein, als Memoir.“

Ford goes Knausgård? Warum sollte Ford auf einmal autobiografisch schreiben können, wenn beispielsweise Carrère oder Knausgård so gar nicht mehr fiktional schreiben können – ich besorgte mir die Erzählung aber sofort auf Englisch, sah erst danach, dass Hanser Berlin die Übersetzung praktisch zeitgleich rausbringt.

Macht aber nichts, denn hier funktioniert schon – trotz des hochgelobten, mir immer ein bisschen zu technischen Frank Heibert – der Titel nicht: Zwischen ihnen klingt mit seiner engen I-Zischlaut-Konstellation eher nach Sardinen in der Dose als Eltern in einem Leben. Hinzu kommt noch, dass leider keines der in Between Them abgedruckten Familienfotos seinen Weg in die deutsche Ausgabe gefunden hat – etwas lieblos, und sehr schade! Im Buch selbst gelingt es Richard Ford (Jahrgang 1944), aus dem Wenigen, was man über die eigenen Eltern überhaupt nur wissen kann (oder will), zwei klassische Short Storys zu machen, die vom Sound und Personal her genauso gut in seinen fantastischen Band Rock Springs gepasst hätten.

Parker & Edna, zwei in großer Literaturferne, aber ebenso großer Nähe zueinander verbrachte amerikanischen Leben: ein Handlungsreisender und seine Frau in Hotels, dauernd on the road (die Südstaaten, Bücher spielten nie eine Rolle: das einfache Leben, das verschwiegene Glück). Dann kommt spät der einzige Sohn: Richard, und wird nur Autor, weil der Vater früh stirbt und den Berufswunsch des Sohnes nicht mehr verstehen muss…

Ganz andere Elterngeschichte, ganz anderes Land (Germany), circa halbe Generation später, dafür aber angetrieben von ähnlichem Fernweh (nach der vertrauten Fremde vergangener, einfacherer Leben).

In diesem Fall geht es um Spanien, genauer: Mallorca, genauer: Canyamel, einem kleinen Küstenort zwischen Cala Rajada und Son Servera. Hierher wurde Alexander Gorkow (Jahrgang 1966) seine gesamte Kindheit hindurch von den Eltern in den Urlaub mitgenommen – um jetzt, dreißig Jahre später, an den magischen Ort seiner Kindheit zurückzukehren und mit Hotel Laguna einen autobiografischen Reiseroman zu schreiben, der ausnahmsweise sogar als Familienroman funktioniert.

Gorkows Text erschien ursprünglich als selten lesenswertes Mittelmeer-Dossier im ungeliebten „Buch zwei“ der von ihren mitleidenden Fans (schlimmer als bei einem Fußballverein!) immer noch nicht aufgegebenen SZ am Wochenende, (deren Abstieg zur Garten-Kochen-Lifestyle-Tüte selbst der dort die Seite 3 verantwortende Gorkow nicht verhindern kann).

Mit feinem Der-kleine-Nick-macht-Ferien-Humor und großer Beschreibungslust surft Gorkow stets angenehm hart am Klischee: der historisch hysterische Deutsche als hochverspannter Sonnensucher, der historisch stoische Spanier als tiefenentspannter Sonnenmeider, ursprünglicher wie sympathischer allein schon aus dem Umstand heraus, dass er auf Malle ja nicht Urlaub macht, sondern arbeitet. Gut so: Denn Klischees kann bekanntlich nur vermeiden, wer das eigene Haus nie verlässt.

Einen „Brief aus Mallorca“ gibt es ebenso tatsächlich wie scheinbar auch in J. D. Daniels’ Die Korrespondenz. Diese besteht aus sechs „Briefen“, die alle natürlich keine richtigen Briefe sind, sondern eher unterhybride Mischformen aus Kurzgeschichte, Essay und Reportage, deren Gegenwartsgrad sich allein schon daran ablesen lässt, dass es keine Anrede und keine Grußformel mehr gibt, Dinge wie Anlass oder Adressat nur noch Angelegenheiten eher wilderer Interpretation sind. Und wer wenigstens im Internet nach dem Absender sucht, stößt auf den Jungschauspieler aus Mighty Ducks, viel Whiskey und irgendwann auf ein Bild von einer hochilluster besuchten Paris-Review-Party in New York (unter den Gästen Richard Ford!), auf der J. D. Daniels (Jahrgang 1974) kurz einen Preis bekam, sich kaum bedankte, dann gleich wieder von der Bühne verschwand.

Im Brief aus Mallorca geht es ansonsten darum, auf einem israelischen Schiff im Mittelmeer anzuheuern, ausländischen Taxi-Fahrern zu erklären, was „fucky-fucky“ auf Englisch heißt. Andere Briefe handeln davon, was es heißt, in Kentucky aufzuwachsen, als Dozent, Romankritiker oder Nachtwächter zu scheitern und Jiu-Jitsu zu lernen: „Vor ein paar Jahren ging ich in eins dieser Kampfsport-Gyms, in denen man lernt, anderen die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. In den ersten Stunden bringen sie einem bei, sich selbst die Scheiße aus dem Leib prügeln zu lassen. Weitere Lektionen gibt es nicht. Je nach persönlichem Scheißegehalt kann die erste achtzig bis hundert Jahre dauern.“

Hinten auf dem Edition-Suhrkamp-Umschlag des 121 Seiten schnellen Bandes gibt es sogar noch einen Blurb meiner absoluten Lieblingsautorin Rachel Cusk, der einem nahelegt, dass J. D. Daniels vielleicht gar kein Mann ist. Aber das wäre dann schon wieder ein Fall für Bad Reading.

Info

Zwischen ihnen Richard Ford Frank Heibert (Übers.), Hanser Berlin 2017, 144 S., 18 €

Hotel Laguna Alexander Gorkow Kiepenheuer & Witsch 2017, 368 S., 22 €

Die Korrespondenz J. D. Daniels Frank Jakubzik (Übers.) , Suhrkamp 2017, 121 S., 14 €

Andreas Merkel, Jahrgang 1970, lebt als Romankritiker und Torhüter der Autorennationalelf in Berlin. Merkels Lieblingsautoren sind Frank Ocean und Roberto Bolaño (aber nicht die Lyrik)

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