Elisabeth Borchers hat sich erst spät überwinden können, ein paar autobiografische Zeilen über die „deformation professionelle“ zu schreiben
Foto: Picture Alliance/akg/dpa
Zurück zur hohen Kunst des bösen Schreibens und schlechten Lesens: Dieses Buch wäre fast an mir vorbeigerauscht in diesem Bücherfrühling, was schade gewesen wäre, denn es handelt sich um eine überfällige, leider nur Fragment gebliebene Abrechnung mit dem sogenannten Hochliteraturbetrieb, speziell der alten Suhrkamp’schen Unseld-Schule. Lediglich durch ein paar skeptische bis gönnerhafte Feuilleton-Artikel stolperte ich über Elisabeth Borchers’ schmalen Erinnerungsband Nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Borchers (1926 – 2013), Lyrikerin und Übersetzerin, war lange Jahre Cheflektorin im Suhrkamp Verlag und davor bei Luchterhand. Nach dem üblichen „Das musst du unbedingt mal aufschreiben“-Prinzip
aufschreiben“-Prinzip angestachelt vom Lieblingsautor Arnold Stadler hat sie sich spät – vielleicht ein wenig zu spät und geziert – dazu überwinden können, ein paar autobiografische Zeilen über die „deformation professionelle“ eines unter (Suhrkamp-)Autoren und Büchern verbrachten Lebens zu verfassen. In wenigen, vernichtenden Sätzen gelingt ihr zu beschreiben, was es mit den hoffnungsvollsten Autoren der jungen BRD angestellt hat, sich zu Höherem berufen zu fühlen: „Wohin man schaut und liest: Hochstapelei ... Man kommt nicht umhin, auch vor sich selbst zu erschrecken, wie dreist man (ich meine mich) zugestimmt hat, wohlwissend, daß es sich um Machwerke handelte. Wer bliebe verschont? Nicht einmal W. (für Walser, Anm.). … Ganz zu schweigen von Frisch, von Johnson, den der Verleger posthum brachialgewaltig zum Helden stilisiert hat, doch wohl, um sich selbst zu bestätigen. Welch ein Pfusch, wohin man sieht und hört.“ Zwar gibt es eine Menge schöner Anekdoten, die erahnen lassen, was für eine schwierige, coole Anwältin des Autors sie auch sein konnte. Wenn sie zum Beispiel „in der Klettenbergstraße“ bei Unseld zu Hause Handke vor seinem Verleger beschützt, dem dessen Kurzer Brief zum langen Abschied deutlich zu weit ging: „Unseld nahm Handke mit sich ans Fenster, von mir abgewandt, er redete heftig auf ihn ein, gestikulierte, selbst mit dem Rücken, Handke schien unbeeindruckt. Dann kamen sie zu mir zurück, Unseld erklärte, worum es ging: der junge Mann unter der Dusche, auch eine Onanie-Szene. Unseld hielt das für unzumutbar, in Gedanken an seine alten Buchhändler, das Buch sollte schließlich verkauft werden.“ Dann ist die Lektorin gefragt, die genauso gelassen wie Handke zu Handke hält: Die älteren Buchhändler würden die Einsamkeit schon verstehen, die sich in dieser Szene einen runterholt. Leider verharrt das Buch zu sehr in dem, was der Titel verspricht: im Fragment. So spürt man zwischen zu vielen Interna und Kürzeln (wie gern hätte man mehr über manche Eitelkeiten gelesen!) vor allem Müdigkeit und latent angeekelte Erschöpfung mit dieser ganzen Betriebsscheiße, was natürlich verständlich ist. Es endet in Schmerz-Prosa, gekränkter Larmoyanz und der abgrundtiefen Einsamkeit nicht erwiderter Liebe unter Autoren – die Literatur scheint nur noch einer Selbstbefragung von Gefühlen zu dienen, die kaum noch in Lakonie ertränkt werden können. Lesen muss man das Buch aber dennoch aus drei Gründen. Erstens wegen des großen Nachworts von Martin Lüdke, der einen diskreten Einblick ins komplizierte Wesen der Borchers gibt: So nahm sie die offen gelebte Homosexualität Stadlers überhaupt nicht zur Kenntnis, damit der umso mehr ihre große Liebe bleiben konnte. Einer Liebe, die sich im Streben nach Höherem verlor: Literatur, fürchte ich.Zweitens (und drittens), weil es einen leidenschaftlich zu anderen Büchern führt. So ist Borchers immer wieder als „Liebe Liese“ erste Adressatin der Postkarten Jurek Beckers (1937 – 1997) in dem sensationell schönen Sammelband Am Strand von Bochum ist allerhand los: „Du Anbetungswürdige, so ein Urlaub ist hübsch, wo Du am Morgen noch nicht weißt, wo Du abends landen wirst. Nun ist es gerade Lissabon geworden. Das nächste Ziel, das ich genau kenne: am 15. September in Deinen Armen. Küsse von Jurek + Christine.“ Der ganze, gern leicht übergriffige Charme von Beckers Kartenschreibkunst entfaltet sich erst, wenn man vorher gelesen hat, wie gut die Borchers ihren Autor durchschaut: genauso eigensinnig („der Autor hat immer recht“) wie Jakov Lind, der darauf besteht, „es heiße Sangvögel, nicht Singvögel“.Von diesem Jakov Lind hatte ich noch nie gehört, aber da er zu den absolut Größten unter Borchers’ kritischer Lektorenbrille gehört, bestellte ich mir dessen Autobiografie Counting my Steps. Die leicht stockfleckige Antiquariatsausgabe interessierte mich schon deshalb, weil der 1927 in Wien geborene, 2007 im Londoner Exil gestorbene deutsch-jüdische Autor es ablehnte, sie auf Deutsch zu schreiben: „I hated German, the language I knew best. I couldn’t stand the sound of it. I needed a new language to express feelings and ideas and I hardly knew how to formulate …“ So bringt er seine jungen Jahre auf den Punkt, in denen es ihm gelang, vor den Nazis zu fliehen, Autor zu werden und in Tel Aviv vom Hotelstrand aus das fiktive Tagebuch eines Kämpfers im israelischen Unabhängigkeitskrieg zu verfassen. Zweieinhalb super Bücher – Danke, Liese!Placeholder infobox-1
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