Darin sind sich so gut wie alle einig: Der NATO-Krieg um das Kosovo hat ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen aufgeschlagen. Worin aber das Neue - vor allem das Bleibende - besteht, wohin die Reise gehen wird, zur Beantwortung dieser Fragen hat die politikwissenschaftliche und völkerrechtliche Diskussion erst jetzt begonnen.
Aus der dazu erschienenen Literatur soll auf zwei Bücher hingewiesen werden: Das von Frank Schirrmacher herausgegebene Buch Der westliche Kreuzzug und auf den von Albrecht/Schäfer zusammengestellten Band Der Kosovo-Krieg. Bei ersterem wurden 41 Beiträge einbezogen, die alle während des Krieges im Feuilleton der FAZ erschienen sind und - wie es im Vorwort heißt - von "namhaften Intellektuellen aus der ganzen Welt" stammen.
er ganzen Welt" stammen. Ähnlich wie der Freitag hat also auch die FAZ die von ihr geführte Debatte nun in Buchform gebracht. Damit wird noch einmal eine bemerkenswerte Situation in Erinnerung gerufen. Nicht selten konnte man während des Krieges den Eindruck gewinnen, dass es sich bei der FAZ eigentlich um zwei Zeitungen handele, die zufällig zusammen verkauft werden: Vorn eine weitgehend NATO-hörige Sicht auf den militärischen Fortgang der Operation, hinten - im Feuilleton - die rigorose Zerlegung der ideologischen Rechtfertigungslehren. Dass dies auch von den Meinungsmachern in der rot/grünen Bundesregierung genau registriert wurde, zeigt die Tatsache, dass sogar der Verteidigungsminister in diesen bewegten Tagen Zeit fand, sich einzuschalten.Bei Schirrmacher zu Wort kommen vor allem Autoren aus Albanien, Ungarn, Rumänien, Kroatien und natürlich Jugoslawien. Abgedruckt wurden die Statements von Intellektuellen, die sonst kaum eine Chance gehabt hätten, in Deutschland Gehör zu finden. Die Verbindungen und materiellen Mittel der FAZ haben hier einiges möglich gemacht. Dabei wird eine Diskussion wiedergegeben, die sich völlig von der innerhalb der Linken geführten Kontroverse unterscheidet. Die für letztere zentralen Bezugspunkte wie die Aufwertung der NATO, die von den USA intendierte Schwächung von UNO und OSZE, die Rolle Deutschlands auf dem Balkan oder geostrategische Fragen stehen bei nur wenigen Autoren im Blickpunkt, so in den Wortmeldungen von Erwin Chargaff aus den USA, des Chinesen Wang Wei oder in dem Artikel von Gabriel García Marquez. Die Themen der meisten Autoren sind - soweit sie sich kritisch zum Krieg äußern - andere. Sie lassen sich auf die offiziellen Begründungen für das Eingreifen ein, sie nehmen sie ernst, indem sie die Rechtfertigung beim Wort nehmen. Wie etwa die Aussage von Rudolf Scharping, dass "wenn wir unsere Werte schützen wollen, wir auch bereit sein müssten, diese gegen Mord und Totschlag zu verteidigen." In seinem Text unter der Überschrift "Werte oder Menschen" antwortet darauf Robert Spaemann, emeritierter Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Bei der Verteidigung von Werten können nämlich die Menschen auf der Strecke bleiben. Um den ÂUnwert der Vertreibung zu bekämpfen, kommt es nicht darauf an, wem am Ende tatsächlich geholfen wird. Der Kampf um Werte ist im übrigen so lange fortzusetzen, wie es einem gefällt ... Den Versuchen, ihnen zu angemessener Anerkennung zu verhelfen, ist prinzipiell keine Grenze gesetzt."Vor der Uferlosigkeit einer solchen, von den rot/grünen Politikern geführten Werteverteidigung mit militärischen Mitteln, graust es offenbar auch dem Herausgeber. In seinem Vorwort bezieht sich Schirrmacher ausdrücklich auf Spaemanns Aufsatz, in dem er eine "beunruhigende Antwort" auf die Frage sieht, ob der Krieg "die Abdankung des Westens von seinen Werten und Überzeugungen" nur verkleidet.In dem Buch wird ein zweites Element der offiziellen Legitimation des Krieges - der Erhalts eines multiethnischen Kosovo - analysiert. Nicht wenige Anhänger von SPD und Bündnisgrünen hatten ja aus eben diesem Grunde schließlich doch dem Waffengang zugestimmt. Vor allem der Frankfurter Soziologe Karl Otto Hondrich setzt sich in seinem Text unter der Überschrift "Der Westen irrt" mit diesem Argument auseinander: "Im Konflikt der Selbstbestimmungen setzen beide - Serben und Albaner - auf die gleiche Lösung: die jeweils andere Gruppe zu majorisieren. Dass sie jeweils das Gleiche wollen, und beide das Gegenteil von dem, was der Westen will, gehört zu den unangenehmen Einsichten, gegen die man sich hierzulande sperrt." Und: "Das Kosovo wird, kulturell wie politisch, serbisch werden; oder es wird, nach einer blutigen Rückeroberung, albanisch werden. Oder es wird, wahrscheinlich, zwischen Serben und Albanern geteilt. In keinem Falle aber wird es, wie es das Kriegsziel des Westens will, multi-ethnisch bleiben." - So ist es gekommen. Serben und Roma sind, abgesehen von kleinen Gruppen, aus dem Kosovo geflohen, nicht wenige wurden ermordet. Die UÇK denkt nicht im Traum daran, die ihr von der NATO verschaffte Macht wieder aufzugeben. Im Kosovo zeigt sich einmal mehr, dass die Realität im einstigen Jugoslawien wenig mit den multi ethnischen Wunschvorstellungen von Bündnisgrünen und Sozialdemokraten über den wünschenswerten Zustand der Welt zu tun hat.Ein Wort noch zu den Beiträgen Hans Magnus Enzensbergers und Peter Schneiders. Enzensberger fällt nichts besseres ein, als die Bewaffnung der UCK und die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo zu fordern. Dies geht selbst einem Rudolf Scharping zu weit, der sich in seinem Beitrag ausdrücklich davon distanziert. Schneider arbeitet sich an den kritischen Positionen von Peter Handke und György Konrad ab, der Rest besteht aus der Wiedergabe der offiziellen Regierungsposition à la "wir können doch nicht länger zusehen".Im Unterschied zu den von Schirrmacher vorgestellten Aufsätzen, die noch während des Krieges geschrieben wurden, sind die Beiträge im Buch Der Kosovo-Krieg, Fakten, Hintergründe, Alternativen nach Ende der Kampfhandlungen entstanden. Die Herausgeber, Ulrich Albrecht und Paul Schäfer, fanden - wie sie im Vorwort schreiben -, dass ein solches "der Nach-Reflexion dienende Buch wahrscheinlich wichtiger für den weiteren Diskurs sein würde als ein in der quälenden Debatte über das Pro und Contra zur humanitären Intervention hängenbleibender weiterer Text". Ein Anspruch, dem das Buch nur teilweise gerecht wird. Versprochen werden "Fakten, Hintergründe, Alternativen". Fakten werden reichlich geboten, zum Teil sogar ausgezeichnet präsentiert. Etwa in dem Beitrag von Knut Krusewitz über den Umweltkrieg der NATO oder dem von Norman Paech über "Humanitäre Interventionen" und Völkerrecht. Auch der Text von Ralph Hartmann über die deutsche Jugoslawienpolitik gehört dazu. Hier erkennt man, dass die Autoren sich nicht erst seit gestern mit diesen Themen beschäftigen. Schon allein deshalb ist das Buch lesenswert. In anderen Essays, etwa in dem von Karadi über die UÇK oder in dem von Kalman über Krieg, Flucht und Vertreibung wird hingegen allgemein Bekanntes noch einmal dargeboten. Das Auftürmen immer neuer Fakten und Einzelanalysen wird dem selbstgesetzten Ziel einer Nachreflexion über die Ursachen und Hintergründe des Waffengangs nicht gerecht. Da die Beiträge unmittelbar nach den Kampfhandlungen fertiggestellt wurden (in den Quellenangaben findet sich kein Material, das nach Juli 1999 veröffentlicht wurde), fehlte dafür vermutlich die Zeit. Der Verlag stand augenscheinlich vor einem schwer auflösbaren Dilemma: Um kommerziell noch einigermaßen erfolgreich auf der verebbenden Welle öffentlicher Aufmerksamkeit schwimmen zu können, musste das Buch im Eiltempo verlegt werden. Diese Hast ließ es wohl nicht zu, die verschiedensten Argumentationsstränge, die in der friedenspolitischen Debatte als Gründe für den Krieg genannt werden, in wichtige und weniger wichtige zu sortieren, den berühmten roten Faden aufzuspüren und damit einen in sich konsistenten Beitrag für diese jetzt erst beginnende Debatte über das "Warum" zu leisten. Schließlich ist die Antwort darauf, warum die NATO unter ihrer Führungsmacht USA mit solch ungeheurem Aufwand um das Kosovo mit am Ende nicht weniger als 800 eingesetzten Flugzeugen so verbissen gekämpft hat, alles andere als klar, ging es doch "nur" um einen Landstrich kleiner als Hessen, ohne bedeutende Bodenschätze und - auf den ersten Blick - bar jeglicher strategischer Bedeutung. So bietet etwa der während des Krieges verfasste und auch bereits veröffentlichte Artikel von Horst Grabert, dem Weggefährten Willy Brandts und einstigen Botschafter der Bundesrepublik in Jugoslawien, eine bestechende Analyse der Irrtümer und Fehler des Westens auf dem Balkan und skizziert Alternativen, die noch als Weg aus dem Krieg gedacht waren. Geradezu enttäuschend der Beitrag von Ulrich Albrecht, der es bei der Darstellung politischer Managementfehler und Irrtümer der rotgrünen Bundesregierung belässt.Man muss sich schon mühsam bis zum letzten Beitrag von Schäfer durcharbeiten, um wenigstens einige Deutungsversuche der Motive zu erhalten. In den Mittelpunkt rückt bei ihm dabei der im Hintergrund schwelende Konflikt zwischen den USA und Europa. Mit der Durchsetzung einer militärischen Option zur "Lösung" der Konflikte auf dem Balkan gelang es den USA, die Europäer auf ihr Spielfeld zu ziehen. Der Interpretation von Schäfer folgend, "bot dieses Szenario die Möglichkeit, die militärischen, geheimdienstlichen, und sicherheitspolitischen Fäden in der ganzen Region enger zu spinnen." Und: "Diese Verbindungen sind traditionell ein bevorzugtes Instrument außenpolitischer Einflussnahme der USA." Dahinter steht nach Schäfers die Absicht der USA, sich in Europa mit Hilfe des Instruments NATO auch nach dem Ende des Kalten Krieges unabkömmlich zu machen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die europäische Integration nicht zur Herausbildung einer auch sicherheitspolitisch konkurrierenden Macht führt. Diesem Deutungsversuch der wirklichen Absichten kann hier durchaus gefolgt werden. Die Frage, ob nicht das Engagement der USA deshalb besonders heftig ausfiel, weil der Balkan nicht allzu weit vom Schwarzen Meer und dem Kaukasus entfernt liegt, den - da reich an Erdöl -strategisch interessanten Räumen, lässt Schäfer allerdings offen: "Aber noch ist es zu früh, davon zu sprechen, dass sich hundert Jahre später ein neuerliches Great Game zwischen den Großmächten um diese Region herausbildet. Noch!"Der westliche Kreuzzug, 41 Positionen zum Kosovo-Krieg.Herausgegeben von Frank Schirrmacher, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1999.Der Kosovo-Krieg, Fakten, Hintergründe, Alternativen. Herausgegeben von Ulrich Albrecht und Paul Schäfer, PapyRossa Verlag, Köln, 1999.
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