Mit jeder Woche wurde es dringlicher, eine Lösung für Malak Suleiman zu finden. Sie war jetzt schon im siebten Monat und die Männer der Familie konnten sich noch immer nicht über die Zukunft der ältesten Tochter und ihres Babys einigen. Ihr Onkel unterstützte ihren Wunsch, den Vater des Kindes zu heiraten. Doch ihren Brüdern widerstrebte die Einheirat in die Nachbarsfamilie, mit der man über einen Grundstücksdisput bereits seit drei Generationen in Fehde lag. Schließlich traf der älteste Bruder, der seit dem Tod des Vaters vor sieben Jahren der Vormund der 21-jährigen Schwester war, die endgültige Entscheidung. Er lud die Schafe aus dem Viehtransporter und forderte Malak auf einzusteigen. Das Geschwisterpaar unternahm eine ha
halbe Tagesreise, bis der Bruder seine Schwester am Rand des Jordantals aussetzte, sie eine Weile mit dem Auto durch einsame Landschaft jagte und sie dann insgesamt vier Mal zu Tode überrollte. Danach fuhr er auf direktem Weg zur nächstliegenden Polizeistation, um zu Protokoll zu geben, was geschehen war. Er schilderte die Hintergründe des Mordes an der Schwester und entschuldigte ihn damit, dass die Situation keine andere Wahl gelassen habe, als die Familienehre durch Selbstjustiz wieder herzustellen. Familie Suleiman war entsetzt, als ihr Sohn in Untersuchungshaft genommen wurde.Bislang konnten "Ehrenmörder" sich auf Paragraph 340 des jordanischen Strafgesetzbuchs stützen, das ihnen Straffreiheit zugestand. Von einer bevorstehenden Gesetzesreform hatten sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts gehört. Sollte diese implementiert werden, muss der 27-jährige damit rechnen, für vorsätzlichen Mord zum Tode verurteilt zu werden.Morde aus verletzter Ehre kommen in den besten Familien vor und werden in vielen arabischen und asiatischen Ländern als exklusive Familienangelegenheit behandelt, die außerhalb staatlicher Verfügungsgewalt stehe. Die Täter stammen aus der eigenen Familie, Väter oder Brüder, letztere oftmals im jungen Alter von ersteren beauftragt, weil sie als Minderjährige noch leichter einer Bestrafung entgehen. Unwichtig ist, ob die jungen Frauen die Beziehung wollten oder vergewaltigt wurden. Häufig setzen Brüder und Väter so unter dem Deckmantel der Familienehre einen tödlichen Schlussstrich unter jahrelang geheim gehaltenen Inzest oder Vergewaltigungen.Mindestens ein Drittel aller Morde hat in Jordanien diese Täter-Opfer-Struktur. Wenn in den Polizeistationen jordanischer Dörfer "tödliche Unfälle" junger Frauen registriert werden, überprüft keine städtische Instanz die Hintergründe. Doch seit 1999, seit eine vom Königshaus getragene Petition diese Handhabung als verfassungswidrig bezeichnet und auf Reformen drängt, übernehmen die Medien die Rolle der Kriminalisten und decken zum Entsetzen der größtenteils städtischen Leserschaft die grausamen Hintergründe der Morde auf.Begonnen hat alles mit Rana Huseinis Arbeit als Gerichtsreporterin bei der Tageszeitung Jordan Times. Oft flüchten Töchter nach einem gescheiterten Mordversuch ins Gefängnis, die Väter versuchen dann per Gerichtsverhandlung, die Verfügungsgewalt über sie zurückzugewinnen. Rana Huseini hatte darauf verwiesen, dass bei diesen Gerichtsverhandlungen über 80 Prozent der Mädchen nachweisen konnten, das sie noch Jungfrauen waren. Daraus schloss die Journalistin, dass viele Mädchen nur aufgrund von Gerüchten und falscher Interpretation freundschaftlicher Beziehungen ermordet würden. Rana Huseini recherchierte mehrere Attentate, deren Basis ein bloßer Verdacht war. So wurde eine 16-jährige ermordert, der ein Verehrer ein Lied in einem Radioprogramm gewidmet hatte. Die Familie wollte nicht glauben, dass es sich um einen unbekannten Verehrer handelte und schnitt dem Mädchen mit einem Messer die Kehle durch. Später stellte sich heraus, dass Namen verwechselt worden waren. Oder: Ein knapp 20-jähriger erschoss seine Tante, weil die 35 Jahre zuvor den Bruder seines Vaters für einen anderen Mann verlassen hatte.Rana Huseini entdeckte immer mehr "Ehrenmorde" und wollte etwas dagegen unternehmen. Sie entwarf den Text der Petition, die eine Abschaffung der Straffreiheit für die "Ehrenmörder" verlangte. In kürzester Zeit fand sie 15.000 Unterstützer, darunter führende Intellektuelle, Akademiker, Geschäftsleute und fast die gesamte aristokratische Prominenz wie die Königinnen Nur und Rania und Prinzessin Basma. Auch mehrere Männer wie Justizminister Hamzeh Haddad engagierten sich. Der Minister setzte sich im Kabinett erfolgreich für eine Gesetzesreform ein. Das Unterhaus lehnte sie jedoch nahezu einstimmig bereits zweimal ab. Zwei Drittel der Abgeordneten vertreten traditionsverhaftete Provinzen.Auch außerhalb der Politik wurde die Petition äußerst kontrovers diskutiert. Das jordanische Strafrecht sieht für vorsätzlichen Mord die Todesstrafe vor. Frauen- und Menschenrechtsorganisationen streiten, ob dies als Abschreckung zu begrüßen sei oder ob der Kampf gegen die Todesstrafe wichtiger sei. Konservative warnen vor gesellschaftlichen Folgen einer solchen Reform, sie fürchten moralischen Werteverfall, Frauen könnten ermutigt werden, ihre Männer zu betrügen. Grundlegende Werte wie die Souveränität der Großfamilie, Basis des Staates, seien in Gefahr. Die auf Arbeitsmöglichkeiten in den Städten hoffende jüngere Generation befürwortet gerade deshalb die Gesetzesinitiative.Währenddessen plant das erste, vor einem halben Jahr in Amman eröffnete Frauenhaus - durch "Verlegungen" von Zuflucht suchenden Frauen aus den städtischen Gefängnissen völlig überlaufen - bereits die Eröffnung weiterer Frauenhäuser.