Zu Beginn der 13-stündigen Debatte waren sich die acht weiblichen und 446 männlichen Abgeordneten des ägyptischen Parlaments nahezu einig: Die Einführung eines Gesetzes, das Frauen erstmals zugesteht, von sich aus die Scheidung zu erwirken, stellt traditionelle Normen grundsätzlich in Frage. In insgesamt sechs Sitzungen wurde aufgewühlt und leidenschaftlich darüber diskutiert, ob solcherart Veränderungen vorausschauend positiv oder negativ zu bewerten seien, bis das neue Personenstandsgesetz schließlich doch mit der Zustimmung von rund zwei Dritteln aller Vertreter verabschiedet wurde. Nun können seit Februar Frauen in eigens dafür eingerichteten Familiengerichten sogenannte khul-Scheidungsverfahren einleiten. Diese Methode, die sich an überlieferter Prophetentradition orientiert, sieht vor, dass die Scheidungswillige das mahr, die Brautgabe, zurückzugeben und auch nach der Scheidung auf alle weiteren finanziellen Ansprüche für sich und ihre Kinder zu verzichten hat. Gemeinsame Kinder leben im Fall der Scheidung nur bis zum zwölften Lebensjahr unter der Obhut der Mutter, danach steht dem Vater das alleinige Erziehungsrecht zu. Das kann er wahrnehmen, muss es jedoch nicht.
Das mahr war ursprünglich als finanzielle Absicherung der Frau konzipiert. Es besteht aus einem Betrag, der individuell vor der Eheschließung vereinbart wird, wobei ein Teil bei der Hochzeit fällig wird, häufig in Form von Sachwerten (Goldschmuck, Eigentumswohnung, Möbel) und ein weiterer Teil im Falle der Ehescheidung sozusagen als einmalige Unterhaltsabfindung notariell vereinbart wird. Im islamischen Kontext ist eine Ehe ohne mahr nicht rechtsgültig. In den letzten Jahren sind die Ansprüche - insbesondere von Damen aus der Oberschicht - für viele Männer ins Unerschwingliche gestiegen. Um die von der Familie einer adäquaten Kandidatin als Sicherheitsgarantie erwartete Summe zusammenzutragen, sparen manche Männer zehn bis fünfzehn Jahre. Häufig wird einem Geduldigen währenddessen die Angebetete von einem Geschäftstüchtigeren unter den Augen weggeheiratet. Ein Dilemma, das vor allem Künstler und Freischaffende trifft. Oft sind es die finanziellen Ansprüche der Familie, die Liebende nicht zusammenkommen lassen. Eine Zeitlang war es populär, den zweiten Teil des mahr (die "Anti-Scheidungsgarantie") auf protzig hohe Summen anzusetzen, um damit das Ausmaß der Zuneigung zu demonstrieren und die Familie der Zukünftigen für sich einzunehmen. Eine Form von Romantik, deren bluff-Effekt zu jahrzehntelangen Scheidungsprozessen führte.
Jedoch stand und steht Männern auch unter neuer Gesetzgebung nach wie vor die weit günstigere Variante offen, sich bis zu drei weitere Male zu verheiraten, ohne die vorherige Ehe mit hohen Scheidungsaufwendungen offiziell auflösen zu müssen. Die Erstfrau dagegen hatte bislang kaum eine Möglichkeit, das gescheiterte Bündnis zu verlassen oder gar eine neue Beziehung anzustreben. Zwar hatte sie auch bislang formal das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen die Scheidung einzureichen (Abtrünnigkeit des Mannes vom Glauben, längerer Gefängnisaufenthalt des Gatten, Nachweis seiner Impotenz, nachgewiesene Vernachlässigung der Erstfrau). Doch der anschließende Weg durch den Institutionendschungel war langwierig, teuer und nervenaufreibend, so dass in der jüngsten Vergangenheit kaum eine diesen Weg bis zur erwünschten Freiheit erfolgreich hinter sich brachte.
Mit dem neuen Gesetz und der Einrichtung eines neuen Familiengerichts sind zumindest die Scheidungsformalitäten für Frauen vereinfacht worden. Bereits am Tag des Inkrafttreten stellten 40 Frauen Scheidungsanträge. Schon melden die Familiengerichte die Überlastung ihrer Kapazitäten. Die ersten erfolgreich geschiedenen Frauen mögen anderen positives Beispiel sein. Außerdem treibt die Initiative einer Gruppe islamistisch-orientierter Juristen, die das neue Personenstandsgesetz per Verfassungsklage in Frage stellen will, manche Frau zur Eile.
Auf sie wartet jedoch keine grenzenlose Freiheit. Gesetzesreformen stoßen Transformationsprozesse in der Gesellschaft nur an. Aktuelle Meinungsumfragen belegen, dass einer Frau, die von sich aus auf Scheidung dringt, unterstellt wird, sie habe leichtsinnig und rücksichtslos der Familie gegenüber gehandelt. Nur vier Prozent von insgesamt 5.000 befragten Männern konnten sich vorstellen, eine Ehe mit einer auf eigenen Wunsch geschiedenen Frau einzugehen. Möchten die Frauen gar keine neue Beziehung eingehen, bieten sich ihnen kaum Lebensperspektiven außerhalb des Elternhauses. Auch aus finanziellen Gründen. In den Familien sind die geschiedenen Frauen aber oft Anschuldigungen und Kontrollen ausgesetzt, die Familie äußert sich enttäuscht, da die Tochter die traditionelle Dulderinnenrolle verlassen und damit Schmach über die ganze Familie gebracht habe, was sich auf die Heiratschancen noch lediger Geschwister niederschlagen könnte.
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