Peter Gedbjerg, Projektleiter bei dem dänischen Stromkonzern Dong Energy, will ein Steinkohlekraftwerk bauen. Und der Standort, Lubmin in Ostvorpommern, hat für eine solche Idee einmal ausgesehen wie ein Paradies. Denn Peter Gedbjerg darf zwei Milliarden Euro investieren, und er hat auch noch 148 neue Arbeitsplätze ausgeschrieben. Da steht kaum ein Politiker dem Projekt ablehnend gegenüber. In der Region mit einer seit langem stabilen Arbeitslosenquote von 22 Prozent und nach Jahren erfolgloser Bemühungen um Gewerbeansiedlungen winken neue Jobs. Lokalpolitiker hören schon das Klingeln in der Kasse.
Und alles sah so aus, als ob auch die Lubminer mitmachen würden. Denn die leben seit 1990 im Schatten des ehemaligen Atomkraftwerks und nehmen das dazugehörige Zwischenlager so gleichmütig hin, als wäre es eine Kläranlage. Gegen den Castortransport in das Zwischenlager im Oktober 2007 setzten sich nur ein paar Studenten aus dem benachbarten Greifswald auf die Schienen, die lokale Zeitung widmete dem Ereignis knapp 70 Zeilen. Von dem atomaren Nachlass hat auch der Tourismus keine Nachteile. Seit Anfang der Neunziger werben Usedom und Rügen mit grünem Qualitätstourismus und sind damit zunehmend erfolgreich. "Erleben Sie die Ostsee auf der einen Seite, den Peenestrom auf der anderen, dichte Wälder, den Duft von Meer", so wirbt Karlshagen auf Usedom, 13 Kilometer von Lubmin entfernt. "Für Urlauber, die die unberührte Natur lieben, Ruhe und Erholung suchen", heißt es auf der Internetseite der Gemeinde Gager. Der Ort liegt auf Südost-Rügen, zu Füßen der Zickerschen Berge, von denen man freie Sicht auf die Türme des ehemaligen Kernkraftwerkes am Strand von Lubmin hat. Es sah tatsächlich so aus, als hätte Peter Gedbjerg leichtes Spiel.
Der Protest erfindet Helden
Doch das Paradies hat Tücken. Denn der Tourismus ist in dieser Region das einzige, womit Geld verdient werden kann. An jeder ausgebuchten Ferienwohnung in Gager hängen Arbeitsplätze im öffentlichen Nahverkehr, in der ortsansässigen Lachsmanufaktur, im Mini-Lebensmittelladen im Dorfkern, bei den Störtebeker Festspielen in Ralswiek. Zwei Schlote mit neun Millionen Tonnen Ausstoß an Kohlendioxid im Jahr, dazu Schwermetalle und Kühlwassereinleitungen in den Greifswalder Bodden bedrohen das Gut mit dem hier alle wuchern mehr als Castoren: weitgehend unberührte Natur.
Zwischen Kap Arkona und der Ahlbecker Seebrücke entdeckt zurzeit eine ganze Generation, dass es das Recht gibt, sich für seine Interessen einzusetzen. Und sie entdeckt die Freude am Kampf. Die Greifswalder Bürgerinitiative trifft sich dienstags abends auf einem Kneipenschiff im Greifswalder Hafen, wo der Ryck träge in Richtung Bodden fließt und es bei Ostwind ein bisschen nach Meer riecht. Sie sitzen auf Holzklappstühlen und diskutieren. Viele, die hier sitzen sind jenseits der 40 und engagieren sich zum ersten Mal in ihrem Leben für etwas. So wie Torsten Jelinski. Fast schon überrascht von dieser Rolle sagt er: "In der DDR hätte man mich dafür eingesperrt."
Jelinski ist Inhaber der "Mönchguter Fischerklause", einem Restaurant in Thiessow auf Rügen. Jelinski verbringt seinen Jahresurlaub in einem Wohnmobil, das tagein tagaus in dem Gewerbegebiet steht, wo das vierwöchige, öffentliche Erörterungsverfahren stattfindet. Er ist Sprecher der Rügener Bürgerinitiative gegen das Kraftwerk und sagt: "Ich bin Dong Energy für die vielen neuen Freunde dankbar, die ich durch den Protest gefunden habe." Abends parkt Jelinski sein Wohnmobil vor den Häusern seiner neu gefundenen Kumpel. Zusammen trinken sie Stralsunder Bier und reden über das Verfahren.
Im Erörterungsverfahren zum Kohlekraftwerk sitzen zwei Parteien: Die Anwälte und Gutachter von Dong Energy gegenüber einer Koalition aus Naturschützern, Tourismustreibenden, Rentnern und Studenten. Wenn einer der Anwälte der Kommunen, Bürgerinitiativen und Umweltverbände einen emotionalen Appell an die Genehmigungsbehörde richtet oder eine polemische Attacke gegen den Stromkonzern einschiebt, jubelt das Publikum, trampelt mit den Füßen auf den Boden und klatscht. "Man könnte den Eindruck bekommen, sie wollten zwischen FFH- und Naturschutzgebieten einen Fahrradständer aufstellen und keinen Kohlemeiler", warf einer der Anwälte in der vergangenen Woche dem Energiekonzern vor und erntete minutenlangen Applaus.
Im Greifswalder Sportzentrum, wo das Erörterungsverfahren stattfindet, wird seit vier Wochen täglich diskutiert und gestritten. Die Einwender stellen Zahlen in Frage, die Antragsteller legen neue Zahlen vor. Auf den Zuschauerbänken sitzen Studenten, die in Greifswald Landschaftsökologie studieren, Rentner, die ab und zu eine Kaffeepause am Tresen in der Vorhalle einschieben und Unternehmer, die nach Feierabend noch für ein paar Stunden den Auseinandersetzungen lauschen. Einige der Zuschauer interessieren sich für Klimapolitik, für viele hängt die persönliche Zukunft vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens ab. Wenn die Großanlage genehmigt wird, können manche hier ihre Betten wie saures Bier anpreisen. Der Besitzer des Sportzentrums, der den Saal zur Verfügung stellt, hat ein Hotel in Lubmin und befürchtet wie viele hier, dass die Besucher ausbleiben, wenn das Kraftwerk gebaut wird.
Die Kirche ist wieder voll
Die Bürgerinitiativen gegen das Kohlekraftwerk in Lubmin sammelten bisher über 60.000 Unterschriften und reichten 9.000 Einwendungen gegen das Kraftwerk ein. Sie füllten mehrere Male die Greifswalder Domkirche für Benefizkonzerte, organisierten Demonstrationen und Kundgebungen und bezeichnen sich selbst als "größte Bewegung seit dem Fall der Mauer". In Ostvorpommern, wo sich im Frühjahr an der Landratswahl nur 34 Prozent beteiligten, gleicht das große Engagement der Initiativen gegen das Kohlekraftwerk einer Sensation.
Mitte November präsentierte die Deutsche Umwelthilfe eine Studie, die feststellt, dass Kohlekraftwerke an der Küste sich nicht mit dem geplanten Ausbau der Offshore-Windenergie vertragen. Wenn Windenergie in Phasen von starkem Wind eingespeist wird, müssen fossile Kraftwerke heruntergefahren werden, weil die Netzkapazitäten begrenzt sind. Grundlastkraftwerke, wie das Kohlekraftwerk in Lubmin, sind aber darauf ausgerichtet, dauerhaft zu laufen und können nur unter hohem Energieaufwand und finanziellen Verlusten schnell hoch und runter gefahren werden. Flexiblere Gaskraftwerke seien als Partner von Windanlagen wesentlich geeigneter, so die Studie der Umwelthilfe.
Deutschlandweit sind über 20 Braun- und Steinkohlekraftwerke in Planung oder befinden sich im Genehmigungsverfahren. Unter den geplanten Kraftwerken ist Lubmin nach Hamburg-Moorburg das zweitgrößte. Da Lubmin, anders als das Kraftwerk in Hamburg-Moorburg, nicht in der Nähe einer Großstadt liegt, lässt sich der Wirkungsgrad von knapp 50 Prozent kaum durch die Verwendung von Fernwärme steigern. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass die im Kraftwerk angelandete Kohle von weither kommt: aus Südafrika und Australien.
Streit in der großen Koalition
Das SPD-geführte Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommerns, das schon Mitte 2007 erklärt hatte, dass es das Kraftwerk für nicht genehmigungsfähig halte, schaltete sich Anfang November erneut in die Debatte ein, weil die Kühlwassereinleitungen und die Erwärmung des Greifswalder Boddens zu einer Vermehrung des Bakteriums Vibrio vulnificus führen könnten, das schwere Erkrankungen auslösen kann. Die Stellungnahme sorgte für einen Dauerstreit innerhalb der großen Koalition, die CDU, die das Kraftwerk befürwortet, kritisierte die Äußerungen uas dem Sozialministerium als überspitzt. Nun hat Umweltminister Till Backhaus (SPD) hat die Genehmigungsfähigkeit ebenfalls angezweifelt und spricht von vielen noch offenen Fragen. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), als Nachfolger von Harald Ringstorff erst seit Oktober im Amt, hält sich in der Genehmigungsfrage mit öffentlichen Äußerungen zurück. Abwiegelnd verweist er neuerdings auf die EU, die erst noch eine Stellungnahme erteilen müsse.
Das sind die Zustände in Peter Gjedbergs einstigem Paradies. Schon jetzt ist das Genehmigungsverfahren für das Kohlekraftwerk so teuer und aufwändig wie kein anderes in der Geschichte von Mecklenburg-Vorpommern. Der Däne mit dem sympathischen Akzent ist trotzdem optimistisch für sein Megaprojekt: Er habe nicht den Eindruck, dass der Protest zunehme. Und wiederholt ständig sein Mantra: "Ökokarotten zu verkaufen ist leicht, mit Strom gibt es immer Probleme, egal ob man einen Windpark baut oder ein Kraftwerk." Doch fröhlicher Optimismus dominiert auch die Gegner seines Projekts. Niemand in der Bürgerinitiative glaubt, dass sich die Landesbehörde, die mit der Abwicklung des Genehmigungsverfahrens beauftragt wurde, dem Protest verschließt.
Torsten Jelinski, der Mann mit dem Wohnmobil, hat die 40 angesammelten Verfahrens-Aktenordner schon dem Thiessower Heimatmuseum versprochen. Ein bisschen hat er das Gefühl, Geschichte zu schreiben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.