Fraktus hat zum Pressetermin in den Monarch eingeladen. Eine Bar, direkt am Kottbusser Tor, im ersten Stock eines Siebziger-Jahre-Sozialbaus. Der Eingang gegenüber eines Dönerladens ist leicht zu übersehen. Aber stopp mal, wer in aller Welt sind eigentlich Fraktus? Die Drei bezeichnen sich als Geheimtipp, behaupten, sie hätten den Techno erfunden, und wollen nun ihr großes Comeback starten. In ihren Anfängen seien sie von einem Filmteam begleitet worden, sagen sie, woraus nun eine Doku entstanden ist, und um diese soll es heute gehen.
Wenn man aber erfährt, wer sich hinter Fraktus verbirgt, kommt es entscheidend auf die eigene Sozialisation an, wie man das Ganze findet. Fraktus ist die neue Künstler-Identität von Studio Braun, einem Trio, das aus
Studio Braun, einem Trio, das aus Heinz Strunk, Jacques Palminger und Rocko Schamoni besteht. Wobei auch das nur Pseudonyme sind und die Drei davon noch eine ganze Menge mehr auf Lager haben. Studio Braun wurde mit absurden Telefonstreichen bekannt. Und spätestens seit Heinz Strunk mit Fleisch ist mein Gemüse und Rocko Schamoni mit Dorfpunks ihre Biografien ausgeschlachtet haben, genießen sie Kultstatus.Beide Romane wurden Bestseller und später Kinofilme. Sie handeln vom Erwachsenwerden in der Provinz, von Langeweile und Perspektivlosigkeit und davon, dass Musik dagegen helfen kann.„Die neue Scheibe“Die Bar, in die Fraktus geladen haben, besteht aus einem einzigen großen Raum. Das Licht, das durch die schrägen Fenster fällt, wird von schwarzen Wänden geschluckt. Unter der Decke hängen Discokugeln, das Mobiliar ist verstaubt. Am Tresen steht – und jetzt wird es kompliziert – Dicki Schubert alias Rocko Schamoni und unterhält sich mit dem Chef des Labels Staatsakt, das die „neue Scheibe“ von Fraktus herausbringt. Außerdem ist eine Tournee geplant, im nächsten Sommer Auftritte auf diversen Festivals. Es soll viel Krach und Laser geben. Am 8. November kommt aber erstmal die Doku über Fraktus in die Kinos, die natürlich streng genommen eine fiktive Doku ist, auch Mockumentary genannt.Das Gespräch mit den selbsternannten Techno-Pionieren findet auf der Bühne der Bar statt. Das Trio sitzt in beigen, mit grafischen Zeichen bedruckten Arbeitsanzügen auf einem grauen Sofa. Palminger alias Bernd Wand trägt ein Hitlerbärtchen und einen eindeutigen Seitenscheitel. Schamoni hat eine Wolfgang-Petry-Frisur und Strunk alias Thorsten Bage gibt sich mit wasserstoffblonden Haaren und weißer Strickmütze als wandelndes DJ-Ötzi-Zitat.Bevor es losgeht, will Palminger schnell noch einen Milchkaffee, Strunk, dass die Heizung angemacht wird, und Schamoni eine Cola Zero. Die Drei sind schon um die 50, was ihren Humor betrifft aber große Jungs geblieben. Ihre Fraktus-Rollen ziehen sie fast das ganze Interview durch. Als hätten sie gewettet, dass derjenige, der den größten Humbug erzählt, zur Belohnung die Playboy-Heftsammlung der anderen bekommt. Wenn man sich auf ihr Spiel mit den Identitäten aber erstmal einlässt, ergibt vieles, was sie berichten, auf eine verquer-schräge Art sogar Sinn.Palminger alias Bernd Wand sagt, sie seien aus fadenscheinigen Gründen zu ihrer Dokumentation überredet worden, und man hätte sie dann wie die größten Vollidioten präsentiert. Mit der anstehenden Deutschlandtour wollten sie ihren Ruf retten. Es klingt wie die vertraute Künstlerklage, dass der aufrechte Kreative von all den kommerziell orientierten Menschen um ihn herum hintergangen und so das eigentliche Werk verunstaltet wird.Überhaupt hätten Fraktus viel Pech gehabt, fährt Palminger/Wand fort. Nach ihrer Auflösung habe man sich an ihrer Plattensammlung bedient, als sei sie die Grabbelkiste der Nation. Jetzt wolle man die Diebe so lange verklagen, bis es zum „musikalischen Komplett-Stillstand“ kommt. Eine Anspielung auf den aktuellen Urheberrechtsstreit. Ob Element-of-Crime-Sänger Sven Regener darüber lachen kann?Obwohl Fraktus nach eigener Aussage „Techno sind“, haben sie zum Lebensgefühl, das man damit verbindet, überraschend wenig zu sagen. Palminger/Wand versucht es mit einer Hippie-Version von „Experiment und freier Liebe“, Strunk/Bage beschreibt den Raver an sich so, als ob er eine Single-Anzeige im Wochenblatt aufgibt. Und Schamoni/Schubert gesteht, dass er gar nicht weiß, wie das Lebensgefühl der jungen Leute heute sei.KreisfaxenTechno-Größen wie Marusha und Westbam haben Fraktus im Film „supported“. Aber als es um ihre gute Vernetzung in der Musikerszene geht, stagniert das Gespräch plötzlich. Schamoni/Schubert stellt eine Gegenfrage. Ob man „Kreisfaxen“ kenne? Nein? Dann sei man nicht auf dem neuesten Stand der Kommunikationstechnik. Um in Kontakt zu bleiben, würden sie Tag und Nacht wie wild durch die Gegend faxen, sagt er. Man kann darin eine Kritik an der intensiven Nutzung sozialer Netzwerke sehen. Man kann es aber auch einfach nur als überdreht-grotesken Witz genießen.Zum Schluss geht es natürlich noch um ihr Verhältnis zur Provinz. Im Fall von Fraktus heißt das Brunsbüttel, die provinzielle Ursuppe, aus deren zähflüssiger Masse sie sich mühsam herausgekämpft haben. Dabei denken sie natürlich immer an diejenigen, die es nicht geschafft haben, die „immer noch ahnungslos im Dunklen sitzen“. Das liege aber daran, dass die immer so früh das Licht ausmachten, sagt Palminger/Wand. „Aus Angst vor Tieffliegern“, fügt Schamoni/Schubert hinzu. „Die denken ja immer noch, dass Zweiter Weltkrieg ist.“Man müsse die Menschen aus der Scheiße holen, sagt er. Die anderen nicken. Das verbindet Fraktus mit Studio Braun: Das Ankämpfen gegen die eigene Spießbürgerlichkeit ist das zentrale Thema des Trios. Dass sie ihre Figuren sogar als Techno-Avantgarde daran scheitern lassen, zeigt, was viele Großstadt-Hipster nicht wahrhaben wollen: Die Provinz trägt man sein Leben lang mit sich herum.