Ist doch auch Dschang

Buchkritik In seinem Buch "Der ewige Krieg" verspricht der US-amerikanische Reporter Dexter Filkins "Innenansichten aus dem Kampf gegen den Terror".

Dschang. Das scheint die Antwort auf alles. Auf die unnatürlich verrenkten Arme und Beine, die starren Augen und Körper und das Blut in den Straßen. Dschang bedeutet Krieg. Dschang ist – von einem Achselzucken begleitet – die Antwort eines usbekischen Warlords auf die Frage, ob er nicht entsetzt sei über die Zahl der Toten.

Dexter Filkins entgehen sie nicht, die resignierten Achselzuckler und erschöpften einsilbigen Antworten. Sie durchziehen sein Buch wie kleine Abgründe und lassen den Leser nicht vergessen: Filkins berichtet aus dem Krieg, der entseelt und tötet, nicht nur buchstäblich, sondern im emotionellen Sinn. Viele Überlebende wirken wie wandelnde Geister.

Seit 1998 war Dexter Filkins als Kriegsreporter zuerst für die Los Angeles Times, ab 2001 dann für die New York Times unterwegs, hauptsächlich in Afghanistan und im Irak. Kabul bis Kandahar, Bagdad bis Basrah – der Journalist hat den Kriegsalltag erlebt: In einem Moment schlürft er Tee, im nächsten bangt er aufgrund plötzlicher Explosionen um sein Leben. Er sieht junge Menschen sterben und alte Menschen verzweifeln. Und diese Momente hält er in insgesamt 561 Notizbüchern fest. Sie decken die Jahre 1998 bis 2006 ab.

Bisweilen fallen Filkins’ Erlebnisse wie ein Mosaik absurder Zufälle zusammen: „Der kraftvolle Sound der australischen Heavy-Metal-Band AC/DC. Ich erkannte den Song sofort. Hells Bells, die Beschwörung satanischer Macht, war zu uns aufs Schlachtfeld gekommen. Satan get ya! In null Komma nichts war ein Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Allahu akbar! tönte es währenddessen aus den Lautsprechern der Moscheen.“

Filkins schreibt keine Prosa, die sich ins Gedächtnis einbrennt. Sein Stil ist sehr schlicht, als würde der Autor um jeden Adjektiv und Nebensatz mit sich ringen müssen. Dennoch kommuniziert er die menschlichen Emotionen im Krieg und Chaos. In seinem Buch kann Filkins von dem berichten, was in den Artikeln für die New York Times zu kurz kam – den Bruchstücken individueller Schicksale. Sie hatten in der knappen Zeichenanzahl der Zeitungsbeiträge keinen Raum gefunden. So beispielsweise die neunjährige Fatima, deren Eltern durch Bomben umgekommen waren, und die nun bei Fremden in einem Fischrestaurant lebte.

Filkins war ihr beim Joggen am Ostufer des Tigris begegnet. Sie lief schweigend mit ihm, bisweilen einige Kilometer lang. Einmal nahm sie den Autor mit ins Fischrestaurant. Filkins beschreibt, was er dort sah: „Ein Mann trat heran, drehte Fatima zu sich und gab ihr einen langen, ekligen Kuss auf den Mund. Lachend ging er weg. Fatima sah mich mit tieftraurigen Augen an, und ich sagte, es sei Zeit zu gehen. Wir liefen noch ein Stück zusammen. Nach einer Weile blieb Fatima stehen. 'Bye-bye. Morgen wieder zusammen laufen o.k.?', sagte Fatima ehe sie davonging. Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.“

Filkins kurze und schlichte Wiedergabe des Erlebnisses weckt im Leser dieselben Fragen, die dem Autor vermutlich nie Ruhe lassen werden: Was ist mit Fatima passiert? Lebt sie? Wurde sie zur Ehe gezwungen? Damit bekommt der Leser ein Gefühl für die ewige Unsicherheit und Unberechenbarkeit des Alltags in Kriegszeiten. Politisch interessierten Lesern bietet Der ewige Krieg keine tiefgehenden Analysen, keine Kritik eines Zeugen, keinen sezierenden Bericht darüber, was alles falsch gelaufen ist in Irak und Afghanistan. Und doch bekommen die Leser rasch auch einen Eindruck von der gesellschaftlichen und politischen Komplexität der beiden Krisenherde, beispielsweise die zutiefst geteilten Haltungen gegenüber den Amerikanern im Irak. Filkins beschreibt, wie sie an einer Straßenecke als Teufel und Dämonen beschimpft und an der anderen mit „ich liebe euch“-Rufen von Zivilisten empfangen werden.

Eine Annäherung an die Einheimischen gelingt bei alltäglichen Tätigkeiten wie gemeinsamem Essen und Teetrinken. Auch Filkins folgt zahlreichen Einladungen. Bei Sulaiman Abu Ibrahim zum Beispiel speist er und bekommt vom Gastgeber ein kurzes Video gezeigt. Filkins schreibt: „Ein westlich aussehender Mann kam ins Bild – die Stimme sagt, es sei ein Amerikaner. Er lag bäuchlings am Boden. Sein Gesicht wurde in Großaufnahme gezeigt. Eine Hand griff nach dem Kopf des Mannes und riss ihn hoch. Die zweite Hand hielt ein Messer und fing an, ihm die Kehle durchzuschneiden, säbelnd und sägend, bis endlich der Kopf vom Rumpf getrennt war. Die Hand hielt ihn hoch. Ibrahim war außer sich, er schaukelte vor und zurück und führte den Zeigefinger über die Kehle.“

Gastgebern wie Ibrahim begegnet Filkins immer wieder, er schreibt jedoch nicht, wie er mit ihnen umgeht. Besonders hier wird Filkins Maxime deutlich: Beobachten, aufzeichnen, möglichst nicht teilnehmen. Doch im Krieg, so muss Filkins lernen, zerfallen Maximen wie diese bisweilen zu Staub. Beispielsweise als er und sein Fotograf Ash Schnappschüsse gefallener US-Soldaten machen wollen. Dafür bekommen sie eine Gruppe Marines als Begleitschutz. Auf dem Weg wird einer der Soldaten, Lance Corporal William Miller, getötet. Filkins konfrontiert sich mit der Frage, ob er Schuld trägt an dem Tod des jungen Mannes. Da bekommt er von einem Soldaten, der rund halb so alt ist wie er, gesagt: „Es ist Krieg und im Krieg passieren solche Dinge.“ Es ist Dschang.

Nach der Lektüre wird deutlich, dass der Untertitel des Buches Innenansichten aus dem „Kampf gegen den Terror dem Inhalt gerecht wird: Filkins sieht nicht nur, er fühlt und versucht dem Leser Dschang nahe zu bringen. Lesenswert ist das Buch nicht nur aufgrund der einzelnen Erlebnisse, sondern auch wegen des Fazits, das sich am Schluss aufdrängt: Im Krieg kann man keine Distanz zu den Ereignissen aufbauen, was den Menschen um dich passiert, passiert auch dir. Wer nicht das Achselzucken lernt, geht im Dschang zugrunde.

Dexter Filkins, S. Fischer Verlag, Frankfurt 2009, 22,95

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