Gütesiegel »free and fair«

OSZE-WAHLPRÜFUNG Wieder werden in Russland über 400 Beobachter eingesetzt - doch gilt ihr Urteil als zweitrangig

Seit dem Kollaps der Sowjetunion Ende 1991 gab es immerhin bereits drei Parlamentswahlen (1993, 1995, 1999), dazu kam im Juni 1996 die Direktwahl des Präsidenten (Sieger: Boris Jelzin), allerdings blieb bisher kein Votum ohne Beanstandungen durch Beobachter der OSZE: Zuweilen fehlten Wahlkabinen, wurde nicht korrekt ausgezählt, oder eine kremltreue, lokale Administration versuchte, das Ergebnis zu beeinflussen. Auch verstanden sich diverse Zeitungen und Fernsehsender nicht selten als ergebene Flügeladjutanten der Macht - die 23,4 Prozent für die regierungstreue Wahlallianz Einheit bei den Dumawahlen im Dezember etwa wären ohne eine harsche Medienschlacht zugunsten Wladimir Putins kaum zustande gekommen.

All diese Verstöße gegen einen regulären Wahlverlauf wurden von OSZE-Observern zwar stets moniert, andererseits aber nie als so gravierend eingestuft, dass dadurch das »Free and fair«-Siegel in Frage stand. Um nach sämtlichen Reklamationen letztlich doch den »demokratischen Ritterschlag« erteilen zu können, betreibt die OSZE einen respekteinflößenden Aufwand: Federführend ist dabei ihr Menschenrechtsbüro (Office for Democratic Institutions and Human Rights/ODIHR) in Warschau - ein Gremium, das offiziell all jenen Transformationsländern zu helfen hat, die sich »im Übergang zu einem pluralistischen System« befinden. Allerdings schließt die angebotene Unterstützung nur dann die Entsendung von Wahlbeobachtern ein, wenn der betreffende Staat dies ausdrücklich wünscht, und tatsächlich die Chance auf eine freie Wahl gegeben ist. Bei der Abstimmung über die Duma im Dezember 1999 hatte Russland 24 Langzeitbeobachter eingeladen, die an zwölf Orten einige Wochen vor und mehrere Tage nach der Wahl das Terrain sondierten. Hinzu kamen 400 Kurzzeitbe- obachter (darunter 40 Deutsche), die am Wahltag selbst über die Einhaltung demokratischer Spielregeln zu wachen hatten.

Beim Präsidentenvotum am 26. März werden nun aus Deutschland 22 vom Auswärtigen Amt nominierte Kurzzeitbeobachter (400 benannte die OSZE insgesamt) dabei sein, die sich bis zur Stimmabgabe einen Überblick über die Lage am Ort verschaffen sollen, am Wahltag selbst in möglichst vielen Wahllokalen präsent sein werden, an Auszählungen teilnehmen und zu prüfen haben, wie und ob die Resultate bei der örtlichen Wahlkommission ankommen. Eine erste Bewertung muss noch in der Wahlnacht nach Moskau gekabelt werden.

Wie wenig Bedeutung diesen Reports beigemessen wird, offenbart die bisherige Planung der OSZE/ODIHR: Ihre abschließende Pressekonferenz wurde für den 27. März bereits um 12.00 Uhr Mos- kauer Zeit anberaumt, wenn das Gros der Wahlinspektoren noch längst nicht aus den Weiten der Föderation zurückgekehrt sein kann, also noch keine detaillierten Berichte vorliegen. Es ist dennoch davon auszugehen, dass Botschafter Edouard Brunner, der Leiter der ODIHR-Mission, dem Wahlakt auch diesmal den Segen »free and fair« erteilt und allenfalls kleinere Defizite rügt. Außerhalb Russlands besteht kein Interesse, die Legitimität der Präsidentenwahl anzuzweifeln. Insofern bliebe zu fragen, ob die beachtlichen Kosten für Hunderte von Kurzzeitbeobachtern nicht sehr viel sinnvoller für eine Langzeitmission eingesetzt werden sollten, die sich beispielsweise damit beschäftigen könnte, auf welchem Wege in Russland eine pluralistische Medienlandschaft nebst entsprechender Pressegesetzgebung zu etablieren wäre. Dies könnte einen Zustand überwinden helfen, der dem jeweiligen Amtsinhaber paradiesische Vorteile verschafft.

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