ALLTAG Der Titel "Spiel des Jahres" entscheidet mit über Sieg und Niederlage von Brettspielen auf dem Markt. Es denken sich hauptsächlich Hobbyautoren Jahr für Jahr neue Gesellschaftsspiele aus
Der Mann nimmt einen Packen Karten vom Schreibtisch und legt sie in die mittlere Kassette der roten Box aus Plastik. Dann dreht er gedankenverloren die Kurbel, die Spielkarten fliegen nach links und rechts. Markus Rüther bei der Arbeit. Rüther arbeitet für SchmidtSpiele. Das Unternehmen hat seinen Sitz in einem flachen Plattenbau inmitten eines Gewerbegebietes am Südrand von Berlin. Von hier aus werden pro Jahr rund zehn neue Spiele auf den Markt gebracht. Die meisten halten sich nur ein bis zwei Jahre, dann werden sie von einer Flut neuer Gesellschaftsspiele verdrängt.
In Markus Rüthers Büro gehen jeden Tag zwei bis drei Vorschläge für ein Spiel ein. Auf seinem Tisch tummeln sich bunte Spielfiguren auf Briefen, Faxen und selbstgebastelten Spielp
ten Spielplänen. Einige Erfinder schicken gleich einen Prototyp, andere senden ausführliche Beschreibungen. Jeden Vorschlag schaut sich Markus Rüther gründlich an. Ist die Idee neu, oder sind die Regeln altbekannt? Werden die Leute Lust haben, das Spiel zu spielen; wenn ja: nicht nur einmal, sondern am besten immer wieder? Und wird es sich so kostengünstig umsetzen lassen, dass der Preis erschwinglich ist?Mehr als 49,90 Mark kostet kein Spiel von SchmidtSpiele. Alles, was darüber liegt, verkauft sich nicht in angemessener Stückzahl. Der Markt ist recht eng geworden für die rund 30 deutschen Spiele-Verlage. Seit fünf Jahren haben sich die Umsatzzahlen nicht verändert. 760 Millionen Mark Gesamtumsatz sind zufriedenstellend, aber die Konkurrenz wird schärfer. Traditionelle Verlage wie FX Schmid oder ASS haben schon kapituliert, andere werden von großen Verlagen geschluckt, wie der Hans im Glück Verlag von SchmidtSpiele. Daran sind zum einen wirtschaftliche Umstände schuld. Die Produktionskosten steigen, aber die Kunden geben ihr Geld zögerlicher aus. Andererseits wünschen sich Kinder und Jugendliche lieber Pokémon als Malefiz. Und statt in geselliger Spielrunde kann man den Abend auch im Internet verbringen.Trotzdem gibt es heutzutage viel mehr neue anspruchsvolle Spiel im Geschäft als vor zehn Jahren. Mit den Siedlern von Catan zog 1995 das Spielfieber in die deutschen Wohnstuben ein.Und der Erfindungsgeist. Die Gilde der Spieleautoren bekam Zulauf, viele träumten plötzlich davon, der Nachwelt das unvergleichliche Spiel zu hinterlassen.Einer, der auf diesem Ruhmespfad kräftig voranschreitet, ist Wolfgang Kramer. In diesem Jahr gewann der 58-jährige Süddeutsche seinen fünften "Oscar der Spielebranche". Am 9 Juli hieß es in Berlin: Der Titel "Spiel des Jahres" geht an: "Torres". Ein Jahr nach ihrem letzten Coup "Tical" können die Autoren Wolfgang Kramer und Michael Kiesling ihr neues Taktikspiel "Torres" ebenfalls mit der lorbeerumkränzten Halmafigur schmücken.Auf diesen Lorbeeren kann Wolfgang Kramer inzwischen einigermaßen bequem ruhen. Er gehört zu der Handvoll Autoren in Deutschland, die von ihrem Hobby leben können. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ihre zwei Prozent Gewinnbeteiligung als Spiele-Erfinder um ein festes Gehalt als Journalist oder LKW-Fahrer oder EDV-Spezialist ergänzen, kann sich Kramer hauptberuflich dem Spiel zuwenden. Seit elf Jahren knobelt er frei von sonstigen Arbeitnehmerpflichten Gesellschaftsspiele hauptsächlich für Erwachsene aus. Seiner Denkfabrik entstammen auch die Spiele des Jahres "El Grande" (1996), "Auf Achse" (1987) und "Heimlich Co." (1986).Wolfgang Kramer sieht seine Umwelt mit spielerischen Augen. "Wenn ich im Stau stehe, frage ich mich, wie kann ich den Stau in ein Spiel einbauen." Der Reiz bestehe darin, etwas vorher nie Dagewesenes zu finden. Ein hohes Ziel, gemessen an über 100 Neuerscheinungen, die es jedes Jahr in die Läden schaffen. "Aber alles Neue baut auf Altem auf, so gesehen ist jedes Spiel neu. Das ist wie beim Schlager, der wird auch immer wieder neu erfunden."Wenn Kramer ein guter Gedanke kommt, kann er zuallererst in seiner eigenen Wohnung nachschauen, ob ihn schon vor ihm jemand in Spielregeln niedergelegt hat. Zwei Zimmer sind vom Boden bis zur Decke mit bunten Pappkartons gefüllt, ca. 50 kommen jedes Jahr hinzu. "Es werden schätzungsweise um die 3.000 Spiele sein. So genau weiß ich das nicht, ich bin ja kein Sammler." Nein, Kramer probiert Spiele aus, er testet alle neuen und er konzipiert eigene. Wenn er einen Einfall hat, baut er ihn nach, dann spielt er versuchsweise mit seiner Frau und mit Freunden - um die Idee dann zu verwerfen oder weiterzuentwickeln. Ausdenken, Bauen, Probieren, Verwerfen - das wiederholt sich etwa ein Jahr lang - bis ein neues Brettspiel geboren ist, das seinen Ansprüchen genügt.Auf seiner Homepage hat Kramer einige Kriterien zusammengefasst, die ein Spiel zu einem guten machen. Es muss Überraschungen bieten, und die Regeln müssen stimmig sein, das heißt, ein Taktikspiel darf keine spielentscheidenden Zufälle enthalten. Alle Spieler sollten bis zum Schluss die Chance haben zu gewinnen, und lange Wartezeiten lassen die Spielfreude ermüden.Diese Forderungen stellt auch Markus Rüther, der Spiele-Verleger, an die Prototypen, die er durchspielt. Kreativität und Action stecken vorläufig nur im Inhalt, der mausgrauen Verpackung sieht man den Spaßfaktor nicht an. Wenn ihm aus den handgezeichneten oder computerbedruckten Papierbögen ein gutes Spiel entgegenblitzt, dann reicht er den Karton weiter. An Kollegen und an "Externe", an ausgewählte Testpersonen. Bis zu 20mal wird eine Erfindung, getestet, bis sie als optisch attraktives Produkt vervielfältigt wird. In erster Auflage entstehen 5.000 bis 10.000 Stück.Ein Exemplar davon wird an die elf Weisen der Spielerzunft geschickt. Die Mitglieder der Jury "Spiel des Jahres" stellen seit 1979 eine Liste mit Neuerscheinungen zusammen, unter denen das Spiel des Jahres ausgewählt wird.Die Berufung in die Jury verbindet Ehr und Leid. Michael Knopf ist seit drei Jahren festes Mitglied. Sich und seine Verbandsfreunde bezeichnet er als "opfer- und leidenswillige Menschen." "Nach den Spielwarenmessen im Herbst in Essen und im Februar in Nürnberg beginnen Mammutwochenenden. Von Freitag bis Sonntag abend wird durchgespielt" Um Himmelfahrt kommt die Jury - ein Österreicher, ein Schweizer und neun Deutsche - nochmals zu einer drei bis fünftägigen Klausur zusammen. Leicht machen sich die Spielexperten ihre Entscheidung nicht. Immerhin steigert der Titel "Spiel des Jahres" den Verkauf beträchtlich. "Es ist schon ein Unterschied, ob 10.000 oder 400.000 Spiele verkauft werden", unterstreicht Michael Knopf diesen Fakt. "Torres", das Spiel des Jahres 2000, hat also beste Chancen, in die Bestsellerliste zu gelangen.12.000 Stück werden sicher allein an die Leute verkauft, die nach Schätzung der Zeitschrift Spielebox den harten Kern der Spielergemeinde bilden. Der Zutritt zu diesem Kreis ist offen für jeden - ob er selbst erfinderisch ist oder nicht. Doch eine Eigenschaft müsse jeder Spieler mitbringen, räumt Michael Knopf ein. "Man muss gewinnen wollen."
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.