Warum international produzieren? Nachdem nun auch die dritte internationale Inszenierung in der Auswahl des Berliner Theatertreffens über die Bühne ist, stellt man die Frage mit leicht polemischem Unterton. Für das Schauspielhaus Graz hatte der Ungar Victor Bodó Peter Handkes Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten mit einem deutsch-ungarischen Ensemble inszeniert. Bei Handke spielt ein Platz die zentrale Rolle: Menschen gehen vorüber, gesprochen wird nicht. Es geht um Rhythmus, um die Poesie des Augenblicks, auch um Wahrnehmung. Bodó lässt eine perfekt arrangierte Choreographie vor uns ablaufen, mit Massenszenen, lauter kleinen netten Geschichten, extra komponierter Life-Stummfilmmusik. Kleine Guckkästchen werden an die Rampe gerollt und nach erfolgter Episode flugs wieder an die Seite – ein Büro, ein Krankenzimmer, ein Museumsraum. Ein munteres Uhrwerk, locker flockig, sogar mediale Dopplung durch Kameraperspektive war brav dabei, alles gut gemacht, nur diente nichts davon der Reflexion, der Kritik oder irgendeiner auf Analyse angelegten Haltung. Stattdessen: Plätschernde Unterhaltung in Reinkultur. Schwamm drüber! Aber noch einmal gefragt: Was können und sollten internationale Theaterproduktionen im Idealfall eigentlich leisten?
Reich an Struktur – arm an Austausch
Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Kulturnation Deutschland - Exportschlager oder Auslaufmodell?" steckten Experten wie die Programmleiterin des diesjährigen Festivals Theater der Welt Frie Leysen und der in Hongkong tätige Kulturberater Michael Schindhelm die Chancen des internationalen Austausch ab. Wir brauchen den Input, die Irritation, den Moment des Missverstehens, der Kommunikationsprozesse in Gang setzt, behauptete Frie Leysen. Denn anders als wir vielleicht noch gern denken, hat Europa keineswegs das Monopol auf Kultur. Stark ist Deutschland in der Entwicklung des Betriebssystems, der Strukturen, die Theater, und damit eine der letzten Plattformen der Öffentlichkeit zu schützen, findet Schindhelm. Das deutsche Stadttheatersystem sei überhaupt viel besser als sein Ruf, vielleicht gerade in seiner Sturheit und seinem Beharrungsvermögen. Frie Leysen sprach sich für Export und Import fertiger Theaterproduktionen aus, weil sie vor den Kopf stoßen, Neugier hervorrufen und Differenz markieren.
Aber auch die andere Variante - Produktionen, die im interkulturellen Diskurs entstehen - hat etwas für sich, wenn es um Austausch, um produktive, irritierende Begegnungen mit dem Anderen geht. Eine in diesem Sinne beispielhafte Arbeit ist Othello C’est qui?, eine Inszenierung der Regisseurin Monika Gintersdorfer, entstanden aus der langjährigen Zusammenarbeit mit dem ivorischen Tänzer Franck Edmond Yao. Die eigenwillige Othello-Variante greift zentrale Motive aus dem Klassiker auf und setzt sie in Beziehung zu gegenseitigen Vorurteilen. Der Dialog zwischen den Kulturen findet auf offener Bühne statt, als Übersetzungsvorgang. Eine kühne aufregende Produktion, die übrigens auch die Grenze zwischen Theater und Tanz ignoriert. Als Preisträger des Festivals Impulse 2009 war die Aufführung während des Theatertreffens im Zusammenhang mit der Tagung „Transit – Meet International Theatre Makers“ zu sehen.
Interkulturelle Theaterarbeit
Während der Tagung bot sich die Gelegenheit, im Gespräch mit Gintersdorfer und Yao mehr zu erfahren. Wie unterschiedlich die Arbeiten hier und in Afrika aufgenommen werden, wie sich die Publikumsreaktionen auf die Arbeit auswirkt. Letztlich gehe es, so Gintersdorfer, in dieser Arbeit um die Frage, wie man Neues generieren könne. Und wahrscheinlich macht gerade die Betonung der ästhetischen Fragestellung die Qualität dieser Arbeitsbeziehung aus. In der Runde saßen Theatermacher, die in Kanada, Brasilien oder Marokko arbeiten und ebenfalls nach Wegen suchen, den interkulturellen Dialog in ihre künstlerische Arbeit zu integrieren.
Worin die freie Szene versiert ist, nämlich die offensive Suche nach Produktionspartnern, sich mit vorgefundenen Gegebenheiten nicht nur zu arrangieren, sondern künstlerisch damit umzugehen, das fällt den Stadttheatern mit ihren langfristigen Planungen und starren Strukturen schwer. Frischer Wind tut Not und daher hat, auch das war bei „transit“ zu erfahren, die Kulturstiftung des Bundes einmalig das Programm „Wanderlust“ aufgelegt. Es versteht sich als Starthilfe für internationale Theaterpartnerschaften, die für zwei bis drei Spielzeiten gefördert wird. Aus konkreten Projekten wurde in der Runde witzig berichtet. Wenn der warme Regen aus der Stiftungskasse versiegt ist, soll die Zusammenarbeit fortgeführt werden, im Idealfall ist dann ein Netzwerk an international produzierenden Stadttheatern geknüpft. Ob das von oben initiierte Modell aufgeht, muss die Zukunft zeigen. Viele Wege führen am Ende vielleicht zu einem Stadttheater, das anachronistisch bleibt und gastfreundlicher wird, das uns aber bitte, bitte nicht nur zeigt, was es alles kann, sondern auch ein bisschen was zu denken aufgibt.
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