Janosch sieht genau so aus, wie man ihn von den Fotos in den Kinderbüchern kennt: groß, buschige Augenbrauen, ein riesiger Schnurrbart – nur seine Haare sind inzwischen weiß. Anfang 2010 hat er seine Wohnung in München aufgelöst und ist ganz in sein Haus auf Teneriffa gezogen. Nach Deutschland kommt er nur noch selten. Interviews gibt er so ungern, dass er sich in seinem Buch Vom Glück als Herr Janosch überlebt zu haben lieber gleich selbst interviewt hat, drei Abende lang mit viel Rotwein. Wir haben trotzdem noch ein paar Fragen und treffen ihn vor seinem 80. Geburtstag bei einer Ausstellungseröffnung in Brandenburg.
Janosch:
Was wollen Sie mich fragen? Es gibt ja nichts zu fragen. Ich denk jeden Tag etwas anderes.
Der Freitag: Wir können ja über das reden, über das Sie heute nachdenken.
Ich versuche über gar nichts nachzudenken, das ist die höchste Kunst.
Was würden Sie denn gern gefragt werden?
Das hab ich vor einer Stunde noch gewusst. Jetzt weiß ich es nicht mehr, ich bin schon im Nirvana. Sie können schreiben, dass ich im Nirvana bin.
Wären Sie lieber nicht berühmt? Dann könnten Sie jetzt auf Teneriffa in Ihrer Hängematte liegen, statt Interviews zu geben.
Das wäre mir schon lieber. Aber ich bin gar nicht berühmt, das ist nur zeitweilig.
Aber jeder kennt Sie doch.
Ja, das ist mir auch vollkommen unverständlich.
Ich hab schon gehört, dass Sie bescheiden sind.
Das ist nur gespielt. Nein, ich bin ganz froh, wenn ich mal rauskomme. Ich bin gerne mal unter Leuten.
Sie haben vor kurzem angekündigt, nicht mehr zu arbeiten und nur noch in Ihrer Hängematte zu liegen.
Ich arbeite überhaupt nicht mehr, außer dass ich noch ab und zu Bilder male. Früher hab ich viel gearbeitet. Bei mir liegen 30.000 oder 40.000 Zeichnungen herum. Und ich hab über 300 Bücher gemacht. Das ist doch ein Wahnsinn.
Womit haben Sie denn angefangen – mit dem Malen oder mit dem Schreiben?
Mit dem Zeichnen, das hab ich schon mit drei angefangen. Ich habe nackte Weiber gemalt. Mein Vater hat mich wahnsinnig verhauen dafür. Sauerei, oder?
Sie hatten keine glückliche Kindheit.
Die war saumäßig, grauenhaft. Schuld daran war vor allem diese verfluchte katholische Unterdrückung. Ich bin drei Mal in der Woche in die Kirche gegangen – aus Angst. Ich bin ja nicht besonders intelligent und die haben mir eingeredet, dass Gott mich straft. Das hab ich geglaubt. Dass ich an Gott geglaubt habe, dazu gehört ja einige Dummheit. An diesen Gott. Man kann sich ja auch etwas anderes vorstellen. Vielleicht ist Gott ja eine Formel, die man finden muss.
Haben Sie die Bibel gelesen?
Ja klar, als Ketzer muss man alles wissen. Ich kann ja nicht einfach drauflosketzern, ohne was zu wissen. Da gibt’s so einen vom Spiegel, mit dem saß ich mal in einer Talkshow, Matussek oder so, haben Sie den gesehen? Der weiß nichts über die Bibel. Der weiß nicht mal, wann die Welt geschaffen wurde, und der spielt sich auf als Bibelvertreter. Das hat mich geärgert, ich hätte den gerne gefragt, was er wirklich weiß. Sind Sie katholisch?
Ich bin nicht mal getauft, Herr Janosch!
Ah, da haben Sie Glück!
Mit Gott haben Sie also nicht so ein gutes Verhältnis?
Doch, ich bin befreundet mit ihm. Immer schon.
Aber Sie schimpfen über ihn.
Nee, über die Kirche, nicht über Gott. Weil mit Gott kann ich aushandeln, was ich will. Das Problem Glauben hab ich nicht. Wozu muss ich was glauben? Ich meine: Etwas ist so wie es ist oder es ist nicht so wie es ist. Ja ist gut und Nein ist auch gut – das ist einer meiner Sprüche. Es stört mich nicht, wenn es morgen wieder ganz anders ist.
Das klingt, als seien Sie ein glücklicher Mensch.
Und wie. Ich bin der einzige glückliche Mensch, den ich kenne. Aber da braucht man Tricks für.
Haben Sie einen Tipp für mich?
Ausweichen. Das ist mein Haupttrick. Man muss immer darauf achten, wo der nächste Schlag niederkommt und da darf man sich nicht befinden. Die Schläge kommen ja von oben, von Gott. Ich weich allen Dingen aus, die gefährlich sind. Ich plane seit Jahren das Tagebuch eines frommen Ketzers fertig zu schreiben, das fängt an mit ‚Gott ist schuld‘. Das will aber kein Verlag haben. Ich weiß nicht, warum sich da keiner begeistert.
Sie sind in Oberschlesien geboren und aufgewachsen. Wenn Sie daran denken, haben Sie dann ein Heimatgefühl?
Nee, das ist alles abgerissen, alles eingestampft. Ich hab jetzt eine andere Heimat. Hier drinnen. (Er klopft sich auf die Brust.) Ich hab hier so ’ne Maschine eingebaut, die stößt immer mein Herz an, wenn es stehenbleibt. Das ist meine Heimat. Vorher war es grauenhaft, weil das Herz immer stehenblieb, dann konnte ich nicht atmen und dann musste ich ganz schnell atmen, damit es wieder loslief. Und jetzt macht das alles eine Batterie. Auch wenn ich mich ärgere, die läuft immer weiter.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ja, ich hab Angst davor. Ich weiß ja nicht, wie das ausgeht. Manche sagen, sie hätten keine Angst. Ich glaube ihnen das nicht. Ich würde lieber weiterleben.
Ich habe gelesen, dass Atmen eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist.
Das haben Sie richtig gelesen. Ich atme gern. Und ich esse gern. Trinken eher nicht so viel, da hab ich eine Technik: Ich trinke nicht viel, aber gezielt. Das muss man können. Man muss wissen, was man trinkt und was man danach isst. Ich hab im Halbsuff pro Jahr eine Schreibmaschine kaputtgehackt, weil ich dann ganz plötzlich anfing, schnell zu schreiben und da hab ich nicht hingeguckt und immer danebengehauen.
Trinken Sie gezielt Alkohol zum Arbeiten?
Ich hab 45 Bücher im Leichtrausch geschrieben oder 65. Dieses Panama-Buch hab ich mit Cuba Libre geschrieben. In Ibiza an einem Tisch. Ich weiß noch genau, welcher Tisch das war. Aber der ist nicht mehr da, die Kneipe ist auch nicht mehr da. Und Der liebe Gott aus Lehm, das ist ein reines Saufbuch, da hab ich 30 Flaschen Gin gebraucht, in sechs Wochen. Ich weiß das deswegen, weil ich die leeren Flaschen vor das Haus gestellt und gezählt habe.
Und die anderen Bücher? Sind das eher Wein-Bücher?
Nee, ich hab angefangen mit Wodka, 70 Prozent, damit habe ich mich ein bisschen ruiniert, da musste ich dann runtergehen. Damals war ich auch andauernd krank. Ich hab dann gewechselt zu immer Schwächerem. Und die nächsten 270 Bücher hab ich dann nicht im Rausch geschrieben.
Wenn Sie schreiben, denken Sie dann an Ihre Leser?
Das kommt darauf an. Bei den Erwachsenenbüchern eigentlich nicht. Wenn ich eine dumme Kindergeschichte schreib, dann denke ich an die Leser. Aber die Kindergeschichten schreib ich ja nicht so gerne.
Warum nicht?
Weil ich mich dann an den Käufern orientieren muss. Ich muss mich also an den Müttern orientieren, und die Mütter sind oft nicht die Klügsten. Die denken, dass die Kinder dumm sind, die sind aber nicht dumm und trotzdem kaufen sie ihnen Zwergenbücher und so was. Ich glaube, dass Muttersein keine Intelligenz voraussetzt, sondern hauptsächlich Entkleidung. Es gibt natürlich auch intelligente Mütter. Es gibt von jeder Sorte auf der Welt Gute und Schlechte.
Würden Sie denn lieber etwas ganz anderes in Ihre Kinderbücher schreiben?
Ich mach ja keine Kinderbücher mehr, aber manchmal hätte ich die lieber intelligenter geschrieben. Das Panama-Buch ist am Ende dann zum Glück doch ein intelligentes Buch geworden, dabei hatte ich das nicht vor. Ich wollte eigentlich Kitsch schreiben, damit es sich verkauft. Aber besoffen wurde ich dann wieder vernünftig und hab das umgeändert.
Verwenden Sie eigentlich auch manchmal Ihren Geburtsnamen Horst Eckert?
Den will ich nicht hören, der ist aus furchtbaren Umständen entstanden. Mein Vater war damals in der SA und gab mir den Namen Horst wegen Horst Wessel. Und wenn meine Mutter mich zutiefst beleidigen wollte, hat sie gesagt: ‚Du bist ein Eckert‘ – also einer aus der Gegenfamilie. Nein, ich bin der Herr Janosch. So unterschreibe ich auch.
Wie kamen Sie zu dem Namen?
Ich erzähl mal die Geschichte, die mir am liebsten ist. Ich kam damals zu meinem ersten Verlag, der Georg Lentz Verlag. Ich hatte vorher angerufen, und die haben gesagt, wir wollen keine Bücher, wir haben genug. Und da war dann so ’n Mädel – im Nachhinein habe ich erfahren, dass sie auf mich stand – und sie hat dem Verleger gesagt, da steht ein Herr Janosch draußen. Bis jetzt ist die Geschichte übrigens wahr. Weil die hatten auf einen Herrn Janosch gewartet. Da hab ich natürlich gesagt: ‚Ja, das bin ich.‘ Und der Verleger trank gerade eine Flasche Whisky. Er war ein Säufer und trank schon am Vormittag. Er sagte: ‚Komm her, setz dich hin, jetzt trinken wir weiter.‘ Und als wir dann besoffen waren, sagte er: ‚Den Rest kannst du nach Hause mitnehmen und dann machst du ein Buch.‘ Dann hab ich den Rest zuhause ausgesoffen und wenn ich einen getrunken habe, habe ich ja keine Hemmungen. So entstand das erste Buch.
Es gibt mehrere Geschichten darüber, ob die Tigerente von Ihnen stammt oder von Ihrem Kollegen Friedrich Karl Waechter. Welche Version ist wahr?
Ach, meine Wahrheit ist jeden Tag eine andere, die Erde dreht sich ja. Aber die Tigerente ist nicht von mir, die hab ich auf einem Plakat von Waechter gesehen und abgemalt. Komischerweise war die ein Selbstläufer, die wurde ein Riesenerfolg. Ich hab das auch mit dem Waechter durchgesprochen, ich hab gesagt: ‚Es ist mir peinlich, die machen jetzt Geld damit.‘ Er sagte: ‚Scheiß drauf.‘ Dann ist er gestorben und ich hab es seinem Sohn erzählt. Der hat gesagt: ‚Mein Vater hat gesagt, die Tigerente ist Kitsch.‘
Finden Sie die auch kitschig?
Ich find die ein bisschen blöde. Ein bisschen sinnlos. Wobei, nein, sinnlos nicht. Weil eine Tigerente, eine Mischung aus Tiger und Ente – das ist ja eigentlich was. Ich finde sie nicht so kitschig. Aber ich bin unheimlich genervt von der Tigerente. Allerdings hat das einen anderen Grund. Das ganze Geld geht in einen Kanal, den ich nicht beeinflussen kann. Ein Kriminalfall.
Die Janosch Film Medien AG sagt, dass Sie im Jahr 2000 eine ‚relativ hohe Summe‘ für die Veräußerung der Rechte an Ihren Werken erhalten haben.
Ach, das ist eine lange Geschichte. Ich hab aber so viel von dem Geld zurückgehalten, dass es bis zum Lebensende reicht. Und Bilder kann ich ja immer noch verkaufen, die sind nicht in den Kriminalfall einbezogen.
Verfluchen Sie jetzt die Tigerente nur noch?
Ich möchte die am liebsten aus der Welt schaffen. Weil die mir durch die Kriminalgeschichte verloren gegangen ist. Ich werde damit nur fertig, weil ich so philosophische Tricks kenne.
Welche denn?
Na zum Beispiel: Man stirbt am Ende bloß noch mit dem Hemd und mit einem Tisch. Was bleibt schon übrig? Mitnehmen kann man gar nichts.
Wären Sie gern wieder jung?
Nein, unbedingt älter, das ist die beste Zeit im Leben. Das ist ein Wahnsinn, wenn das immer so gewesen wäre im Leben. Tierisch. Keiner nimmt einen mehr für voll. Man kann sagen, was man will. Man ist für nichts verantwortlich, und wenn man ins Zuchthaus kommt, kriegt man wahrscheinlich eine Krankenzelle. Ich kann mittlerweile ein bisschen schlecht laufen, aber das brauch ich ja auch nicht. Ich kann ja sitzenbleiben.
Janosch wurde am 11. März 1931 als Horst Eckert in Hindenburg, Oberschlesien (das heutige Zabrze) geboren und wuchs in einer Bergarbeitersiedlung auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchteten seine Eltern mit ihm nach Westdeutschland. 1953 zog er nach München und studierte an der Akademie der Bildenden Künste, brach das Studium jedoch wegen mangelnder Begabung ab. 1960 erschien Die Geschichte von Valek dem Pferd, das erste von über 300 Kinderbüchern. Ob die berühmte Tigerente seine eigene Erfindung ist oder er sie vom Zeichner Friedrich Karl Waechter geliehen hat, bleibt ungewiss Janosch gibt diesbezüglich immer wieder verschiedene Versionen zu Protokoll. Weniger bekannt als seine Kinderbücher sind seine Romane, die sich etwa mit seiner unglücklichen Kindheit in Oberschlesien beschäftigen. Janoschs Aussage, dass er keinen Cent aus den Einnahmen seiner Werke sehe, widerspricht die Janosch Film Medien AG: Janosch habe vor mehr als zehn Jahren die Rechte an seinen Werken zu einer auch aus heutiger Sicht relativ hohen Summe veräußert, sagte Vorstand Hans Häge auf Nachfrage des Freitag. Sofern Janosch neue Bücher schriebe, wäre er am Erlös beteiligt. Janoschs Autobiografie, das Tagebuch eines frommen Ketzers, hat bisher noch keinen Verleger gefunden. Das erste Kapitel wurde aber schon auf Polnisch übersetzt und in der Gazeta Wyborska abgedruckt. akro
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