Es gab heute Spinat. Grüne Spritzer ziehen sich über Nick Erdmanns Arme, fast bis an die Tattoos, die unter seinen T-Shirt-Ärmeln hervorschauen. Erdmann ist der Genderbeauftragte des Berliner Kindergartenträgers Ina, seine Gruppe macht sich gerade für den Mittagsschlaf fertig. Er räumt das Geschirr in die Küche.
"Die Kinder sehen, dass ich Windeln wechsle, Lieder singe, Aua heile, koche und mit ihnen spazieren gehe", sagt er. "Das ist ihre Normalität." Er lebt ein Rollenbild vor, das einige Kinder eben nicht von zu Hause kennen. Erdmann ist einer von 20 Erziehern – und 400 Erzieherinnen. Und somit ist er schon rein rechnerisch nicht Gender-, sondern Männerbeauftragter. Seine Aufgabe ist es, auf Konferenzen und Bildungsmessen Männer für den Beruf des Erziehers zu erwärmen. 2009 machten laut "Koordinationsstelle Männer in Kitas" gerade mal 2,4 Prozent diesen Job. Erdmann vernetzt die Männer der 19 Ina-Kitas untereinander, er hat eine Gesprächsrunde initiiert. Alle drei Monate treffen sie sich, um Erfahrungen auszutauschen – ohne Kolleginnen. Aber Männerbeauftragter? Nein, das sei er nicht. "Das klingt zu forsch."
Der Begriff hat ein echtes Gleichstellungsproblem. Nicht nur was den Grad seiner Verbreitung anbelangt – es gibt nämlich kaum welche. Auch die Deutung zerfasert: Es gibt männliche Gleichstellungsbeauftragte, Väterbeauftragte, Männerbeauftragte. Ja, sie setzen sich für die Interessen von Männern ein. Doch welche gesellschaftspolitische Position dahintersteckt, ist weitaus unklarer als beim Gegenstück – der Frauenbeauftragten. Wenn Bundesfamilienministerin Kristina Schröder nun auf Jungsförderung setzen will und erklärt: "Bei Mädchen haben wir viel erreicht, jetzt wollen wir bei den Jungen genauso viel erreichen", stößt das daher erst einmal auf Unmut, nicht nur bei der Frauenbewegung.
Aber es gibt auch klarere Interpretationen: "Wenn in dieser Gesellschaft Gleichstellungspolitik ernst genommen werden soll, muss man Frauen und Männer gleichermaßen in den Blick nehmen", sagt Martin Rosowski, Vorstandsvorsitzender des Bundesforums Männer. "Wir brauchen keine Männerbeauftragte." Man solle Genderstellen schlicht mit Doppelspitzen besetzen: einer Frau und einem Mann.
Kein Grund zum Wehklagen
Das Bundesforum Männer gibt es seit Herbst 2010, es betreibt Lobbyarbeit für Männer. Und damit letztlich auch für die Gleichstellung, argumentiert Rosowski. Etwa was Kristina Schröders Sorge um Jungs als Bildungsverlierer angeht: Dass mehr Mädchen Abitur machen, mehr Frauen einen Uniabschluss und noch dazu einen besseren erreichen als ihre Kommilitonen, "das ist noch kein Grund zum Wehklagen", findet Rosowski. Schließlich landeten am Ende trotzdem mehr Männer in Entscheiderpositionen. "Es fehlt den Jungs oft an Einsicht in die Notwendigkeit zu lernen", sagt er. "Zugleich finden sie aber in der Regel auch pädagogische Erwartungshaltungen und Lernsituationen vor, die Mädchen eher entgegenkommen als Jungen." Auch in Sachen Gesundheitsvorsorge und Familienarbeit engagiert sich das Bundesforum für Gleichstellung, etwa bei Pflegeberufen: "Die Pflege im professionellen und privaten Bereich lastet weitgehend auf den Schultern der Frauen", sagt Rosowski.
Im Hauptberuf ist er Hauptgeschäftsführer der Männerarbeit in der Evangelischen Kirche (EKD). Gerade in der Kirchenarbeit stolpert man am häufigsten über "Männerbeauftragte". In der EKD etwa gibt es diesen Schwerpunkt seit 1946. Damals füllten die Frauen die Lücken der abwesenden Männer. Und diese kehrten – wenn überhaupt – als Ex-Soldaten oft traumatisiert zurück. Die Kirchengemeinden verstanden sich als Ansprechpartner. Die Kirchenvertreter genossen Respekt. Dass geredet wurde, gehörte dazu – und so wurden aus kirchlicher Männerarbeit oft niedrigschwellige Männergesprächskreise mit gesellschaftspolitischem Impetus, direkt an der Basis.
Genau da, im Alltag, begegnet Rosowski auch immer wieder Männerdiskriminierung. Neulich hätte er fast in einem Restaurant um Nachbesserung gebeten: Einen Wickelraum gab es zwar, doch nur bei den Frauen. "Aber was soll ein Vater in so einer Situation machen?" Es gebe schließlich viele aktive Väter, sagt Rosowksi. Und diese seien wichtig, um verkrustete Rollenklischees aufzubrechen. Auch deshalb hält er die sogenannte Herdprämie, die Bundesfamilienministerin Schröder in Zukunft allen zahlen will, die ihre Kinder zu Hause betreuen statt sie in den Kindergarten zu bringen, "für das denkbar falscheste Signal" für die Gleichstellung.
Ginge es nach Martina Gehres, gäbe es in der Berliner Charité längst einen, der hier zumindest betriebsintern gegensteuert. Sie ist die stellvertretende Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Klinik und auf der Suche nach einem Kollegen, der sich der Männer im Haus annimmt. Es gab zwei Jahre lang einen Väterbeauftragten, den Arzt und Schriftsteller Jakob Hein – man sei "bundesweit Vorreiter", prahlte die Klinik damals, bis Hein im Frühjahr 2011 die Charité verließ.
Der Job des Väterbeauftragten ist hier ein Ehrenamt, angedockt an die Gleichstellungszentrale, doch eine Reduzierung der Arbeitszeit ist nicht vorgesehen. Die Beratung, die Workshops, die Vorträge bei Konferenzen – alles Privatvergnügen. "Wir haben noch keinen gefunden, der das weiterführen möchte", sagt Gehres. "Der Vorstand lehnt es bislang ab, denjenigen für diese Aufgabe einige Stunden freizustellen." Vier Frauen arbeiten fest für die Zentrale für Frauen- und Gleichstellungspolitik im Klinikum. "Aber von Mann zu Mann spricht es sich oft leichter", sagt Gehres. Außerdem könne ein Mann gerade gegenüber anderen Männern in Leitungspositionen ganz anders Gehör finden. Und er könnte dafür werben, Elternzeit in Anspruch zu nehmen. "Die Charité ist für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zertifiziert", sagt Gehres. "Das muss auch für Männer gelten."
Helena Trachsel sucht derzeit ebenfalls einen Männerbeauftragten. Für die Gleichstellungsfachstelle des Kantons Zürich. Die Arbeit ist sogar bezahlt. Seit Sommer leitet Trachsel die Fachstelle. Sie hat ein bisschen umgeschichtet und konnte so eine 60- bis 80-Prozent-Position schaffen, die erste ihrer Art in der Schweiz. Im März soll es losgehen. "Ich war überrascht von dem Gegenwind", sagt Trachsel. "Es hieß, ich sei eine Verräterin der Frauenbewegung, würde zur Geschlechtersegregation beitragen." Trachsel war zuvor 13 Jahre lang fürs Diversity Management einer Versicherung zuständig, Segregation liegt ihr fern. "Wir müssen die Männer einbinden, um Gleichberechtigung zu schaffen", sagt sie, das zeige schon das Thema Lohngerechtigkeit: "Die meisten Lohnverhandlungen werden schließlich von Männern geleitet."
Bloß keinen Softie!
Sie wünscht sich für die Stelle einen Mann, der für ein emanzipiertes Rollenmodell steht und von Entscheidern in Unternehmen ernst genommen wird – "bloß keinen Softie". Sobald die Herren verstünden, dass sich Diversity wirtschaftlich auszahle, könnte es auch in der Schweiz leichter werden, Elternzeit zu nehmen oder flexiblere Arbeitszeiten einzuführen. "Da wird es viele Pioniere geben müssen", sagt Trachsel.
Der Kita-Genderbeauftragte Erdmann in Berlin ist so ein Pionier. Doch um gleichberechtigte Rollenbilder weiterzugeben, braucht es mehr als einen. "Das Ansehen des Berufs muss grundsätzlich aufgewertet werden", sagt Erdmann. Und es gibt einen simplen Trick, das Imageproblem zu beheben und Berufen wie Erzieher und Grundschullehrer ein Status-Upgrade zu verschaffen: mehr Gehalt.
Davon hätten die Kolleginnen dann auch was. Männerbeauftragte, die das schaffen, die darüber hinaus Elternzeit für Väter und flexiblere Arbeitszeiten in Unternehmen normal machen, haben so eben einen doppelten Job: Sie sind dann zum Glück auch Frauenbeauftragte.
Anne Haeming arbeitet als freie Autorin in Berlin. Sie schwor sich als Kind: Ein Mann, der nicht kochen kann, kommt ihr nicht ins Haus
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