Digital nahbar

Wahlkampf Politiker nutzen Snapchat, Youtube und Co, um junge Wähler zu mobilisieren. Ist das eine Chance zur Partizipation oder eine peinliche Posse?
Fehlen nur noch die Hasenohren und die Peinlichkeit wäre komplett
Fehlen nur noch die Hasenohren und die Peinlichkeit wäre komplett

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

In einem Interview mit vier populären YouTubern stellte sich Kanzlerin Merkel den Fragen junger Internetnutzer, von denen bereits im Vorfeld knapp 300 ihre Missgunst über den nach unten gedrehten Daumen ausgedrückt hatten. Merkel? Nicht so geil. Die Reaktionszeit in den sozialen Medien ist kurz, der Weg direkt und ein Meinungsbild entsteht oft binnen Sekunden. Ohne aufwendige Umfragen. Politiker haben das erkannt. Genauso wie die Tatsache, dass über soziale Netzwerke wie Snapchat oder Instagram Millionen von Jugendlichen erreichbar sind. In Deutschland hat Instagram monatlich 15 Millionen aktive User. König der Selbstinszenierung ist dort der FDPler Christian Lindner. Seine Hochglanzbilder sind eine Mischung aus Privatem und Politalltag. Die positiven Kommentare seiner Follower zeugen von dem Gefallen, den sie an dieser Form der Partizipation finden. Auch Martin Schulz war in seinen besseren Zeiten ein viel beachtetes Motiv. Manche Beiträge des SPD-Mannes erreichten hunderte Likes. Auf den meisten ist er in Interaktion mit Bürgern zu sehen. Die Plattform bietet die Möglichkeit gezielte politische Botschaften in ansprechenden Bildern zu verpacken.

Mit Hasenohren zum Sympathie-Bonus

Ähnlich verhält es sich bei dem Instant-Messaging-Dienst Snapchat. Die App speichert die versendeten Bilder beim Empfänger für nur 24 Stunden. Danach werden die Dateien gelöscht. Am beliebtesten sind Selfies, die dann mit lustigen Tier-Masken und Emojis versehen werden. 84 Prozent der weltweit aktiven Snapchat-Nutzer sind zwischen 16 und 24 Jahren alt, damit sind sie im Vergleich die jüngste User-Gruppe. Auf Facebook tummelt sich die Kohorte zwischen 18 und 35. Snapchat nutzen 3,5 Millionen Menschen in Deutschland, den größten Anteil machen auch hier Jugendliche aus. Jugendliche, die potentielle Wähler sind. Um bei denen anzukommen streifen sich Politiker auch schon mal digital Hasenohren über oder posten bunt kommentierte Fotos vom Parteitag. Ausgerechnet die konservative CSU nutz zu ihrer Vollversammlung vor zwei Jahren als erste der etablierten Parteien die schnelllebige App. Ein Horst Seehofer Snap-Avatar, erinnernd an eine Comic-Figur, wirft Konfetti um sich, während er verkündet, die CSU würde eine Wählerumfrage machen. Daneben ein Foto vom echten Seehofer, darüber verläuft quer der Schriftzug „Der Chef ist da“. Die Linkspartei hat sich laut eigener Aussage zum Ziel gesetzt zwölf- bis 18-Jährige anzusprechen und Politik in einfacher Sprache zu vermitteln. Das sieht dann so aus: Zum Thema „Miethaie in der Großstadt“ werden Bilder von Fischstäbchen mit Zunge-raus Smiley gepostet. Weniger undurchsichtig hält es die Bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen, Katharina Schulze. Sie spickt ihre Selbstporträts mit politischen Infos, wie etwa „Abschiebung nach Afghanistan verhindern“. Albern wirkt hingegen eine Aufnahme von Schulz mit digital vergrößerten Baby-Doll-Augen, Katzenöhrchen und Schnuppernase. Je dilettantischer, desto besser, scheint manchen die Devise.

Der Blick hinter die Kulissen der Politik soll die Anzugträger im Bundestag nahbarer machen. Das kann man ihnen zugutehalten, sie wollen signalisieren: "Ich bin auch nur ein Mensch". Das ist richtig und sinnvoll. Dennoch: Es bleibt zu bezweifeln, dass die Fotos mit lustigen Tiermasken oder mit haufenweise Hashtags irgendjemanden zur politischen Partizipation anregen. Politik ist selten lustig, sie ist komplex, anstrengend und sich mit ihr zu beschäftigen ist oft dröge. Daran ändern auch niedliche Tier-Features und schöne Landschaftsaufnahmen nichts.

Ungeahnte Reichweiten

Gewinnbringender erscheint es da tatsächlich, mit traditionell jungen Plattformen wie Youtube und den dort erfolgreichen Influencern zusammenzuarbeiten. Das hat auch die CDU erkannt und schickte Angela Merkel auf einen Termin mit vier Youtubern, die zusammen 3 Millionen Follower haben. Der Suchmaschienen-Gigant Google bewarb den Termin sogar prominent auf seiner Startseite, was dem Auftritt der Kanzlerin einige Kritik einbrachte. Die Youtuber jedenfalls konnten Merkel je zehn Minuten auf den Zahn fühlen, die Follower im Vorfeld ihre Fragen schicken. Manche von ihnen gaben im Vorhinein an, sich gar nicht oder nur am Rande für Politik zu interessieren. Aber wenn etwas live auf Youtube passiere, wäre das schon interessant. Entgegen der Erwartungen waren die Fragen der Youtube-Stars und die dazugehörigen Antworten Merkels dann gar nicht so furchtbar lahm. Es ging um einheitliche Bildungsstandards, Feminismus und um die Angst als junger Mensch keinen Einfluss ausüben zu können, weil ohnehin überall die Fünfzig-plus Generation am Drücker sitzt. Wirklich tiefschürfend war keine der Fragen, dafür hätte man jemanden wie Anne Will den Job machen lassen müssen. Nur hätte das der Philosophie und der Marketing-Strategie der Plattform widersprochen. Youtube ist für junge Leute und die wollen keine Moderatorin der Öffentlich-Rechtlichen sehen. Nichts gegen Anne Will.

Ob im Nachgang zu dem Merkel-Interview jetzt mehr Jugendliche aktiv Wahlprogramme lesen und sich bei den lokalen Partei-Ablegern erkundigen, sei einmal dahingestellt. Die Diskussion in der Kommentarspalte der Video-Plattform jedenfalls blüht. Natürlich gibt es auch hier Leute, die nur auf Gegenrede aus sind, bis hin zu Pöbeleien. Daneben finden sich aber ungefähr gleich viele Ansätze zu handfesten Debatten über realistische politische Chancen. Zum Beispiel wie die Arbeitslosenzahl halbiert werden könnte oder zu der Frage, wieviele Flüchtlinge Deutschland verträgt. Dabei posten User, die ihren Bildern nach zu urteilen kaum älter als 16 sein können, Kommentare wie: „Ich würde AfD wählen. Warum? Weil die meisten Flüchtlinge eh nur Wirtschaftsflüchtlinge sind.“ oder „Ich möchte jetzt nicht 2 Väter oder 2 Mütter als Eltern haben, es braucht beide Geschlechter zuhause.“ Viele der Posts sind nicht eins zu eins mit der politischen Meinung der Kommentatoren gleichzusetzen. Dennoch finden eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen statt, immerhin. Und die Politiker erfahren etwas über den Nachwuchs, ohne sich dabei zu blamieren.

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