Der Haussegen hing schon lange vor dem 107. Deutschen Ärztetag schief. Was im Vorfeld, eigentlich seit Beginn der Diskussion um die Gesundheitsreform an gegenseitigen Schuldzuweisungen von Ärzteschaft und Politik im Raume stand, erreichte in der vergangenen Woche in Bremen lediglich einen neuen Höhepunkt. Taktisch war es sicher nicht klug von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, dem protest-raunenden Ärztewiderstand während ihrer Rede am ersten Tag ein kategorisches "Ruhe!" entgegenzuwerfen: Dies mochte für manchen der Anwesenden der Punkt auf dem I gewesen sein.
Jedenfalls konnte Schmidts Erz-Kontrahent auf der Ärzteseite, Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe, mit seiner Rede beeindrucken. Hauptkritikpunkt seit Monaten schon ist di
hon ist die zunehmende Ökonomisierung von Gesundheit, die - so Hoppe - der Therapiefreiheit des Arztes immer engere Grenzen setze und damit auch das ohnehin sensible Arzt-Patienten-Verhältnis zunehmend beschädige. Wettbewerb, wie er von der Gesundheitsministerin und ihren Experten gefordert werde, habe nichts zu suchen bei der Suche nach Therapien, die auf kranke Menschen zugeschnitten seien und bei denen sich Erfahrung und Können von Ärzten wirkungsvoll entfalten sollten.Hoppe meinte damit solche Vorgaben im Gesundheitsreformgesetz, die zum Beispiel die Therapie von chronisch Kranken im Rahmen von strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP - Disease Management Programme) vorsehen. Solche Programme, von denen bisher erst eines - für die Diabetes-Behandlung - in die Praxis überführt wurde, stoßen auf den erbitterten Widerstand vor allem der niedergelassenen Ärzte, die mit einer wahren Flut von dazugehörigen Dokumentationen belastet werden und damit weniger Zeit für den Patienten haben.Harsche Kritik gab es auch für die Fallpauschalen im Krankenhaus. Sie degradieren, meinte Hoppe, Patienten zur einer Fallpauschalennummer, in deren Rahmen eine Krankheit behandelt werden müsse, damit das Geld fließe. Zu kurze Behandlungszeiten im Krankenhaus seien die Konsequenz, und in deren Folge wiederum - offenbar von den Erfindern nicht berücksichtigt - erneute Kosten bei der Nachbehandlung des Patienten, ganz abgesehen davon, dass in nächster Zeit ein vehementes Krankenhaussterben einsetzen werde. Wenn Behandlungszahlen und nicht die Qualität von Therapien und Operationen ins Kalkül gezogen werden, so die Kritiker, müssen kleine Häuser schließen, zum Nachteil ihrer Patienten.Seit im Jahr 2000 der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen seinen Bericht "Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit" herausgab und dort mit Zahlen "Über-, Unter- und Fehlversorgung" von Patienten in Deutschland belegt wurde, sind ökonomische Fragen ein Dauerbrenner in der gesundheitspolitischen Diskussion. Ärzte - und deren Sprecher ist Professor Hoppe seit Jahren - sind verstimmt darüber, dass sie als Kostenverursacher im Gesundheitswesen gebrandmarkt werden, dass ihnen vorgeworfen wird, zu viel und das Falsche zu verordnen und sich der Fortbildung zu verweigern. Hoppe verwies deshalb in Bremen erneut darauf, dass es gerade diese kontroverse Debatte sei, die nicht nur Ärzte demotiviere, sondern auch Patienten in höchstem Maße verunsichere.Tatsächlich ist die gesundheitspolitische Diskussion mit ihrem unübersehbaren Trend auch zur verbalen Ökonomisierung des Gesundheitssystem nicht ohne Folgen geblieben. In zahlreichen Umfragen der zurückliegenden Monate zeigt sich, dass die Deutschen immer weniger Vertrauen in das Gesundheitswesen setzen. Es koste immer mehr und leiste wenig. Dass diese Urteile häufig nur Vorurteile sind, wird kaum noch diskutiert. Das sinkende Ansehen von Arzt und System dürfte auch dazu beigetragen haben, dass immer mehr Mediziner dort fehlen, wo sie dringend gebraucht werden. Während in Großstädten die ironische Definition von "Hausarzt" als "ein Haus, ein Arzt, ein Haus, ein Arzt" vielleicht noch zutreffen mag, sind in ländlichen Regionen wie in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, Landärzte rar. Aus Altersgründen freiwerdende Praxen können nur mit Mühe besetzt werden. Wenn jetzt, wie von der Gesundheitspolitik anvisiert, Gesundheitszentren konzentriert ärztliche Leistungen anbieten sollen, könnte es zu einer weiteren Verschlechterung der flächendeckenden ärztlichen Versorgung kommen. Denn wer auf dem Lande wohnt, hätte weitere Wege zum Arzt und würde im Ernstfall nicht so schnell Behandlung finden. Der Ärztetag besann sich auf ethisch-moralische Grundsätze von Gesundheit, aber verweigert hat er sich nicht, auch nicht notwendigen Reformen. Die Berufsordnung wurde dahingehend modifiziert, dass es jetzt besser als vorher möglich sein wird, Ärztekooperationen zu bilden. So soll der Weg frei gemacht werden für eine integrierte Versorgung und Verzahnung von Fach- und Haus-, Klinik- und niedergelassenen Ärzten. Hier treffen sich die Intentionen von Gesundheitspolitik und Ärzteschaft. Auch die Präventionsbemühungen, die in einem entsprechenden Gesetz ihren Niederschlag finden sollen, werden vorbehaltlos unterstützt.