Auf dem Balkon von Berlin

Berliner Abende Nach Mitternacht in Ahrenshoop. Eine Konstellation wie in einem C-Movie oder, wie mein Begleiter meint, in einem schlechten Theaterstück mit miesen ...

Nach Mitternacht in Ahrenshoop. Eine Konstellation wie in einem C-Movie oder, wie mein Begleiter meint, in einem schlechten Theaterstück mit miesen Schauspielern. Der gefrorene Augenblick, als wir die Szene betreten: Vor der Dorfstraßenboutique steht ein Kombi schräg auf dem Gehweg, eingekeilt zwischen Pollern, einem Riesenfindling und den Schaufenstern. Tage zuvor hatten wir uns gewundert, warum vor der Boutique sieben Poller den Eingang versperren, als sei diese Kopie eines Sylter Bekleidungsgeschäftes eine von Terror bedrohte jüdische Einrichtung. Nun hatte sich diese Investition aufs Trefflichste als völlig überflüssig erwiesen, denn der Fahrer hatte das Auto seitlich um die Poller herumgelenkt. Das allerdings war dem Lack der Karosse nicht dienlich gewesen - weshalb wir sofort annahmen, dass es sich bei dem Fahrer ganz sicherlich nicht um den Eigentümer handelte - und es hatte zum Bruch der Scheibe geführt. Auch war nicht klar, ob der Fahrer derjenige war, der wie ein Denkmal, den Kopf gesenkt, als übe er tätige Reue, am rechten Kotflügel lehnte und von einem hinter ihm stehenden, mit seiner Hasskappe einem dieser Ninjas in japanischen Comics, tschetschenischen Freiheitskämpfern oder in die Jahre gekommenen Berliner Autonomen ähnelnden Mann mit einem Gegenstand in Schach gehalten wurde, den wir uns nur als Colt denken konnten und den er dem Reuigen in die rechte Flanke drückte, während er ihn mit der Linken wie einen jungen Hund am Nacken festhielt. Sie sahen aus, als hätte man sie in der unbequemen Haltung festgeklebt. Schräg neben dem gewalttätigen Standbild, an der von einem Reetdach vor eventuellem Regen geschützten Wandzeitung der Gemeinde, stand ein Zwillingsbruder des Paramilitärs und sicherte die Seite. Hinter dem Auto hatte die Schaufensterscheibe filigrane Formen angenommen, deren wie kostbare Kristalle aussehende Splitterungen - noch durch das Sicherheitsversprechen gehalten, aber als Ganzes schon aus der Verankerung des Rahmens gerutscht - aufs Trefflichste mit den aus brauner Seide gesteppten Jacken in der Auslage korrespondierten. Die linke der beiden Schaufensterpuppen stand, offensichtlich seit dem Aufprall, zur Seite gewandt, als wolle sie dem nicht länger zusehen, sondern die Szene über die Seitenbühne verlassen, was aber einem sinnlosen Akt gleichkam, denn sie hatte gar keinen Kopf, und Füße hatte sie auch nicht. Durch die unversehrte Scheibe der Eingangstür war die Boutiquenbesitzerin zu sehen, die trotz solariumgebräunter Haut blass wirkte und mit einem dritten Ninja sprach, der aber, wohl aus Höflichkeit gegenüber der Besitzerin, die Hasskappe über die Stirn geschoben trug. Was sie redeten, war nicht zu verstehen. Schräg hinter uns Passanten, die nicht passierten, stand ein Auto schief auf dem Haltestreifen, eher flüchtig abgestellt als geparkt, das die Aufschrift ALARMVERFOLGUNG an den Seitenwänden des Kastenaufsatzes trug. Klickklack, machte die Warnblinkanlage. Das einzige Geräusch, neben dem Wind, der von der See herüberwehte.

Der Augenblick schien sich ewig hinzuziehen, als habe der Regisseur des C-Movies Kunst zu machen versucht, indem er Szenen in Zeitlupe ablaufen ließ, anstatt die üblichen schnellen Schnitte zu machen: Überfall, Verfolgung, quietschende Bremsen, Halt Stehen bleiben, Täter in die Mangel nehmen und wenn er sich nicht wehrt, abdrücken, und das Ganze hinter einem Busch stehend gefilmt. Nein, das hier war Vorpommern.

Etwas Bewegung kam in die Szene, als von der gegenüberliegenden Straßenseite kommend ein Mann das Stillleben zu zerstören versuchte, indem er mit einem sehr wichtig scheinenden Unterton in der Stimme in ein Handy rief: "Es ist nur einer und wir haben ihn." Er trug eine Wollmütze, wie sie Matrosen im Winter zu benutzen pflegen, aber es stand nicht Volksmarine auf ihrem Rand, sondern Security, was wohl bedeutete, dass das der Pressesprecher der Ninjas war, der als Öffentlichkeitsarbeiter Gesicht zeigen durfte. Nun kam endlich sehr langsam, noch unter der vorgeschriebenen Ortsgeschwindigkeit sich bewegend, ein Polizeiauto aus Richtung Barth, hielt vor der Szene und, so kann man mit Fug und Recht behaupten, stellte die Ordnung wieder her, indem ein Polizist langsamst sich aus dem Auto schälend und gemessenen Schritts zu den Ninjas schreitend und unter Betonung jeder einzelnen Silbe, als müsse er die Sprache auf ihre Tauglichkeit testen, rief: "Handschellen lösen, wir übernehmen". Der Delinquent wurde von dem Grünen übernommen und in die Wanne expediert, wobei der Polizist beim Einsteigen seine Hand fast väterlich auf den Kopf drückte, damit der Bösewicht sich nicht stieß.

Zwei Morgen weiter stand in der Ostseezeitung, dass die beiden Täter nicht gefasst werden konnten.

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