Die schönsten Sätze stehen am Ende, auf Seite 449: "Sie bekannte sich zur DDR, weil sie eine Alternative zum Kapitalismus suchte. Sie blieb dort, weil sie nur dort schreiben konnte. Sie träumte vom Sozialismus, aber abseits der Partei. Sie ließ sich nicht zum Verstummen bringen, sondern hat ihre eigene Ausdrucksfähigkeit behauptet. Sie ist ihrem Lied nicht auf die Kehle getreten. Aber sie hat leise gesungen, um niemanden zu erschrecken. Und manchmal hat sie auch nur gepfiffen wie ein ängstliches Kind im Wald. Ein paar sehr schöne Werke sind so entstanden. Das bleibt." Das ist die Quintessenz der 449 Seiten Biographie über Christa Wolf, die Jörg Magenau in diesem Frühjahr vorlegt. Es ist die erste Auseinandersetzung mit der Biographie der Sc
e der Schriftstellerin, nach Monographien von Sonja Hilzinger (1985) und Therese Hörnigk (1989). Wobei wir auch schon beim Problem wären. Monographien sind immer die bessere Methode, sich einem Autor zu Lebzeiten zu nähern. Lebt die Hauptperson noch, will sie verständlicherweise die Hoheit über ihr Leben behalten. Und erst recht, wenn es jemand wie Christa Wolf ist, in deren Leben und Werk Anfang der neunziger Jahre alles Mögliche hineininterpretiert worden ist. In seinem Vorwort geht Magenau ausführlich auf die Schwierigkeit ein, über gerade diese Autorin zu schreiben, so als habe sie ihm das eine oder andere Mal gegenübergesessen und ihn so streng angeschaut, dass er am liebsten die Arbeit aufgegeben hätte. "Die emotionale Mischung aus Eingeschüchtertheit, Erleichterung und schließlich Bewunderung, die sich im Besucher einstellte, ist typisch für Begegnungen mit Christa Wolf", schreibt er im Rückblick auf die Erfahrungen, die Günther de Bruyn machte, als er 1972 ein Porträt über Christa Wolf schreiben wollte und meint damit wohl auch sich selbst. Das Porträt de Bruyns blieb Fragment. Magenau schrieb seine Biographie trotz des anfänglichen Widerstands von Christa Wolf zu Ende. Sie betrachte ihr Leben und Werk noch nicht als abgeschlossen, sagte sie ihm kurz und bündig. Ihr selbst muss es wie ein déjà vu vorgekommen sein, wollte sie doch einst eine Biographie über Anna Seghers schreiben. Die aber bestand darauf, das Werk sprechen zu lassen. Christa Wolf akzeptierte schließlich, dass sie "als wichtige Figur der Zeitgeschichte und als Autorin von überragender Bedeutung auch ein biographisches Interesse ertragen müsse". Sie hätte es auch nicht verhindern können. Sie war schließlich, zusammen mit ihrem Mann Gerhard Wolf zu Gesprächen bereit, sie hat Magenau den Zugang zu verschlossenen Quellen ermöglicht, aber sie hat das Buch nicht autorisiert. Dass der 1961 im süddeutschen Ludwigsburg geborene Magenau ein Mann, noch dazu aus dem Westen, einer anderen Generation zugehörig ist und dem Werk von Christa Wolf vor der Arbeit am Buch eher mit Distanz gegenüberstand, all das ist ein Glücksfall für dieses Buch. Diese Attribute geben Magenau die gebotene Nüchternheit, seinen noch sehr lebendigen Gegenstand zu beschreiben. Magenau holt Wolf von keinem Sockel und stellt sie auch nirgendwohin. Er ist nicht unkritisch, aber er versucht, ihr nicht auf die Füße zu treten. Diese Behutsamkeit kann man ihm ankreiden, aber eine andere Form wäre schwer möglich gewesen, ohne eine Tendenzbiographie zu verfassen. Magenau geht strikt chronologisch vor. Die Kapitel trennen zumeist politische Zäsuren, die aber, wie oft in Biographien, die sich in der Zeit der DDR bewegen, zugleich auch biographische sind. Abgesichert durch Hunderte von Literaturangaben beschreibt er den Weg einer Autorin, der für viele dieser Generation stehen könnte, zumal in keiner anderen der Sprung vom "Ich zum Wir" so heftig propagiert wurde und Christa Wolf selbst oft in der dritten Person Plural geschrieben hat. Die Kindheit im Nationalsozialismus, Krieg und Flucht, die kurz vor der Elbe endet, die Hoffnung, die sich mit dem Sozialismus verbindet und das blinde Vertrauen gegenüber seinen Repräsentanten, das auch aus einem Schuldgefühl herrührt, der langsam nagende Zweifel, Schläge und Rückschläge, der zaghafte Widerstand bis hin zur loyalen Dissidenz, die aber immer auf die Verbesserung der DDR-Gesellschaft hinzielt, das sind die Eckpunkte bis zum Ende der DDR. Christa Wolf war immer ein bisschen mutiger als die anderen, aber sie war keine Drachentöterin, man konnte sich mit ihr identifizieren. Deshalb auch das wahrhaft religiöse Phänomen, was Jörg Magenau mit dem Satz beschreibt: "Eine Tendenz zur Gemeindebildung umgibt ihre Person wie ein heiliges Rauschen." Seine eigene Subjektivität als Autor stellt er ganz bewusst in den Dienst der Materialdarbietung. Der Stil ist nüchtern, essayistische Einschlüsse vermeidet er. Nur selten taucht die Stimme des Autors auf, genehmigt er sich in einem Nebensatz eine kleine ironische Bemerkung. Wie zäh muss es gewesen sein, die fünfziger Jahre zu beschreiben, als Christa Wolf Mitarbeiterin des Schriftstellerverbandes war und mit Mitte Zwanzig und pädagogischem Übereifer publizistisch die Einhaltung der Doktrinen des Sozialistischen Realismus überwachte, denen sie selbst ein paar Jahre reifer nichts mehr abgewinnen konnte. Mit unendlicher Geduld beschreibt Magenau diesen Lebensabschnitt. "Es wäre allzu einfach, sich über solche Einsichten zu erheben und sie dem Gelächter preiszugeben." Magenau weiß, dass diese Passagen unabdingbar sind, um die Entwicklung der Person hin zur Autorin in all ihren Facetten beschreiben zu können. Nur auf Seite 75 verliert er die Geduld, als er Christa Wolfs Streben, Bertolt Brechts Satz vom Fressen, das vor der Moral kommt, zu widerlegen, nicht mehr aushält. "Und so weiter, seitenlang in diesem Stil. Ausdauernd und fromm mußte die Gebetsmühle der Loyalität gedreht werden, ehe dabei auch ein wenig Ketzerisches zum Vorschein kommen durfte." Solcherart zaghaft ironische Meinungsäußerung des Biographen findet man nur selten im Buch. Die Geduld der Leserin ist da schon eher aufgebraucht, sie überspringt ein Jahrzehnt oder liest zwischendurch zur Erleichterung einen Krimi oder die Biographie einer Tänzerin. Die Frage "Wer ist die Person Christa Wolf?", kann Jörg Magenau nach den fast 500 Seiten nicht beantworten. Christa Wolf entzieht sich ihm nicht als Autorin, aber als Person. Am Ende ist es so, wie es de Bruyn 1972 in seinem Fragment beschrieb: "Vor dem Gesicht, das er erforschen wollte, stand er wie vor dem eigenen Gewissen. Er kann verstehen, daß mancher das nicht mag. Der wehrt sich dann mit Anschuldigungen - und charakterisiert sich selbst." Die Germanistin in mir sagt: Genaue Arbeit, gutes Quellenstudium, angenehme Zurückhaltung des Biographen. Die Leserin mit einer Sucht nach Geschichten, ja, vielleicht gar mit einem gewissen Hang zum Voyeurismus, bleibt unbefriedigt. Kein Blick hinter die Kulissen, keine heimlichen Liebesgeschichten, unehelichen Kinder, Familienskandale, Schiffsentführungen, die Biographien so lesenswert machen. Diese erschließt sich nur über den Kopf. Christa-Wolf-Kennerinnen und -Kennern wird nur weniges neu sein, einige Passagen der Kindheit in Landsberg, die Sympathie für Star-Trek-Geschichten. Eine Entdeckung waren für mich die Zitate aus einem Gespräch, das sie 1990 mit Brigitte Struzyk für eine Anthologie führte, aber nie zur Veröffentlichung freigab. Das Verdienst Jörg Magenaus besteht darin, mit wissenschaftlicher Akribie alles in einen Zusammenhang gebracht zu haben, was Christa Wolf jemals geschrieben und öffentlich gesagt hat und anhand dieser Dokumente eine Lebenslinie herausgearbeitet zu haben, in der es Kontinuitäten gibt, aber immer auch Sprünge über den eigenen Schatten, Krankheiten zur rechten Zeit, Ruhm und Häme. Es wird ganz sicher nicht die letzte Biographie über Christa Wolf sein. Jede Weitere, welche Richtung sie auch immer haben wird, wird sich des ausgebreiteten Quellenmaterials bedienen. Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Kindler-Verlag, Berlin 2002, 496 S. 24,90 EUR
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