Frauenbaden

BERLINER ABENDE Hinter dem Fahrkartenschalter am Alexanderplatz hat man noch nicht begriffen, dass Herr Ludewig der Deutschen Bahn AG nicht mehr vorsteht. Der ...

Hinter dem Fahrkartenschalter am Alexanderplatz hat man noch nicht begriffen, dass Herr Ludewig der Deutschen Bahn AG nicht mehr vorsteht. Der einzige frische Wind ist der Luftzug, der durch den Raum streicht, wenn wieder jemand hineinkommt und sich an einer der drei Schlangen anstellt. Seit einer halben Stunde warten wir, dass wir endlich an die Reihe kommen. Einen Schnellschalter gibt es nicht. Es ist 16.47 Uhr. In sieben Minuten fährt die Regionalbahn ab. Die Frau vor uns fragt, wie sie von Basel in irgendein Kleckernest kommt. Die Auszubildende möchte nichts falsch machen und auch nicht drängen und schaut umständlich im Computer nach. Fehlte nur noch, dass sie sich über die Schweiz unterhalten. Wir möchten nur bis Bad Saarow, das ist keine 70 Kilometer weg, wir halten das abgezählte Geld in der Hand, es ist inzwischen 16.50 Uhr, und das Thermenticket kann man im Zug nicht nachlösen. Es berechtigt, neben der Fahrt mit der Deutschen Bahn, drei Stunden in salziger Brühe zu liegen.

Wären wir doch mit dem Auto gefahren, sagt eine von uns. 16.53 Uhr sind wir endlich in Besitz der Tickets und hasten die Rolltreppe hoch. Unser Neujahrsbaden fängt mit Stress an. Jedes Jahr im Januar weichen wir unsere alte Haut mit viel Wasser und Bürsten ab. In den letzten Jahren hatten wir dafür das Hamam-Bad in Kreuzberg gemietet. Inzwischen lassen sich die Mietkosten nicht mehr mit unserem Vereinsbeiträgen vereinbaren.

Die Regionalbahn ist überfüllt, die Pendler fahren in die Vororte zurück. Die Leute tragen noch die Sachen, in denen sie tagsüber gearbeitet haben. Man könnte mit den Insassen eines Wagens gut einen mittelständischen Handwerksbetrieb mit einem riesigen Wasserkopf an Bürokratie gründen.

Als wir in Fürstenwalde in die Bahn nach Bad Saarow umsteigen, wird es schon dunkel. "Na, so spät noch zur Erholung", fragt der Schaffner, bevor er mit dem einzigen Fahrgast außer uns ein Gespräch anfängt.

Die Haltepunkte der Strecke sind schlecht beleuchtet, die Schilder durch die beschlagenen Scheiben kaum zu erkennen.

Jeder von uns fallen Geschichten über verpasste Ausstiege ein, die irgendwo auf mecklenburgischen Feldern oder verlassenen Stationen in der Lüneburger Heide endeten. "Und dann stand ich mit drei feministischen Professorinnen plötzlich mitten in der Wüste, könnt Ihr Euch vorstellen, wie das war?"

Natürlich können wir uns das. Wir haben schließlich alle etliche Jahre Frauenbewegung hinter uns. Der Bahnhof von Bad Saarow ist dezent erleuchtet. Mit dem Schnee auf den Wegen sieht Bad Saarow aus wie ein x-beliebiger westdeutscher Kurort. Die Villen im Kurpark sind frisch gestrichen. Nach dem Abzug der Russen, die hier hinter einem hohen Zaun ein Bad für Militärangehörige betrieben, bin ich oft durch die zerbrochenen Fenster in die geräumigen Villen eingestiegen. Die russischen Plakate an den Wänden und der Müll in den Ecken zeugten noch von den vorherigen Bewohnern. An manchen Stellen blätterten die Schichten der Zeiten davor von den Wänden, aber die Häuser hatten in ihrer Vernachlässigung etwas Lebendiges, was ihnen jetzt fehlt.

Bad Saarow möchte gerne die Badewanne von Berlin sein, mit Leuten, denen das Geld locker in der Tasche liegt und die vom Golfplatz schnell noch ins Thermalbad segeln. So richtig ist das Konzept noch nicht aufgegangen, aber das Bad hat sich unter Berliner Badesüchtigen herumgesprochen.

Als es gebaut wurde und die staksigen Betonsäulen aus der Verschalung hervorkamen, sah der Rohbau aus, als habe jemand einen Entwurf Albert Speers für die Hauptstadt Germania verkleinert in Bad Saarow verwirklicht. Das Wasser und die Holzverkleidung in den Galerien aber dämpfen diesen Eindruck. Über dem Freibad hängt dichter Nebel, der über der Wasserfläche aufsteigt.

In den kleinen Nischen mit den Massagedüsen sitzend, lässt sich der Sternenhimmel beobachten. Hinter den Bäumen glitzert der See.

Es ist ein komisches Bild, fünf Frauen wie tot im Unterwasserbad liegen zu sehen. Hält man die Ohren unters Wasser, ertönt esoterische Musik. Mich erinnert sie an die einlullenden Töne, die zum Sendeschluss des DDR-Fernsehens gespielt wurden, während die Kamera über die schönsten Flecken der Heimat flog.

In der 90 Grad-Sauna schwitzt ein Männerkollektiv. Es redet laut darüber, dass in seinen Räumen seit Neujahr das Rauchen verboten ist und was es mit den Rauchern macht, die sich nicht an das Verbot halten. Vom vielen Reden wird ihnen die Luft knapp. Beim Rausgehen wiegen sie ihre Hüften. Einer springt mit Anlauf ins Abkühlbecken. Das Wasser spritzt zu allen Seiten. Im Hamam-Bad hätten wir dieses Zeugnis männlicher Geltungssucht nicht erlebt.

Frisch gehäutet treten wir nach drei Stunden den Heimweg an. Nächstes Jahr gehen wir vielleicht ins Thermalbad im Europacenter. Oder in die Thermen an der Heerstraße. Die kennen wir schon aus der Kinowerbung.

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