Pankower Gemüse

BERLINER ABENDE Seit dem 1. Januar heißt Prenzlauer Berg Pankow, und so richtig glücklich scheint nur die örtliche CDU damit zu sein. Selbst Kinder wie mein Sohn ...

Seit dem 1. Januar heißt Prenzlauer Berg Pankow, und so richtig glücklich scheint nur die örtliche CDU damit zu sein. Selbst Kinder wie mein Sohn hatten ihre krakelige Unterschrift unter eine dieser Listen gegen den Namen gesetzt, die im nun nur noch als Ortsteil bezeichneten ehemaligen Bezirk Berlins kursierten. Die Bezirksverordneten hatten im Dezember mit knapper einfacher Mehrheit beschlossen, den neuen Großbezirk aus Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee in Pankow umzubenennen.

An diesem Nachmittag nun gab es in der Bezirksverordnetenversammlung zwei Tagesordnungspunkte, die den Bezirksnamen noch einmal zur Diskussion stellen wollten - Tagesordnungspunkt 20, ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne, die den Namen Nordost favorisiert und Tagesordnungspunkt 29, die PDS votiert in Koalition mit den Berliner Seiten der FAZ für die konsequente Durchnummerierung aller Berliner Bezirke. Die KPD/RZ hatte eine Demonstration für die Umbenennung von Berlin in Pankow angekündigt, war dann aber nicht erschienen, denn es regnete Strippen. Vor dem Bezirksamt stand ein einsames Polizeiauto, im Saal traten sich die Kameraleute diverser Fernsehsender gegenseitig auf die Füße. Als erstes beschloss man, die beiden Anträge auf Tagesordnungspunkt 29 gemeinsam zu behandeln. Danach zogen sich die mündlichen Anfragen hin, und es war bald klar, dass die Veranstaltung sich über Stunden hinziehen würde. Ich verzog mich in die Fraktionsräume und hörte mir die Diskussion mit halbem Ohr über die Lautsprecheranlage an.

Plötzlich gab es Tumulte im Saal, ein leicht besoffener Herr, der sich über Lautsprecher wie ein wildes Tier anhörte, das gekommen war, um die Abgeordneten auf der Stelle zu verschlingen, schrie etwas von "Feinde der Demokratie", der Rest ging im Stimmengewirr unter. Kurze Zeit später wurde die Sitzung unterbrochen, und der Ältestenrat trat zusammen. Es stellte sich heraus, dass die Polizei das Gelände abgeriegelt hatte und keinen Besucher mehr durchließ. Selbst die verspäteten Abgeordneten hatten ihren Ausweis und den Inhalt ihrer Taschen zeigen müssen, und einer sollte erklären, warum er zwei Bananen in der Tasche hatte.

Eine Bezirksverordnetenversammlung aber ist eine öffentliche Angelegenheit, zu der jeder Bürger Zutritt hat. Der Ältestenrat also ließ den Einsatzleiter antreten, der behauptete, am Thälmanndenkmal habe es eine Gemüseschlacht unter Jugendlichen gegeben und es sei Gefahr im Verzuge gewesen, denn nach Einschätzung der Polizei hätten die Jugendlichen vorgehabt, die BVV zu stürmen. Beweisen konnte er es aber nicht, und so sah man fünf Minuten später große Gruppen von Leuten in die BVV gehen, deren Taschen vorsorglich nach Gemüse und Trillerpfeifen durchsucht worden waren. Gegen 19 Uhr war man bei Tagesordnungspunkt 6, und ich beschloss, erst mal zum Sport zu gehen.

Als ich zwei Stunden später wiederkam, war die Versammlung bei Punkt 22 angelangt, ein Antrag der CDU über die Weiterführung der Städtepartnerschaften der verschiedenen Altbezirke. Ein Abgeordneter schwärmte über die Schönheiten Kolbergs, ohne auch nur einmal zu erwähnen, dass der Ort einen polnischen Namen hat. Viel Zeit ließ man sich auch bei dem Antrag dreier Bezirksverordneter über die äußere Differenzierung in den Klassen fünf und sechs der Grundschulen, die Diskussionsbeiträge begannen fast alle mit: "Ich als Vater einer Tochter", "Ich als Mutter eines Sohnes", um dann über die diversen Eindrücke der Kinder in Grundschulen zu berichten. Am besten war der Fraktionsvorsitzende der CDU, der in jedem Satz so viele Nebensätze wie nur möglich unterbrachte, um Zeit zu schinden. Denn die CDU will keine Diskussion mehr um den Namen.

Die Zeit war auf ihrer Seite. Um 21.30 Uhr schloss der Vorsteher ganz plötzlich die Sitzung und rief neue Tumulte hervor. In einem kurzen Schlagabtausch drohte ein CDU-Politiker mit juristischen Mitteln gegen die PDS vorzugehen und beantragte eine eine zehnminütige Auszeit.

Alle standen dann irgendwie wie Falschgeld herum. Der einzige Abgeordnete der REPS lief einsam um seinen Katzentisch. Nach drei Runden setzte er sich wieder und stellte die deutsche Ordnung an seinem Tisch her. Dann lief er wieder drei Runden. Ein SPD-Abgeordneter spielte mit seinem Eisern-Union-Schal, andere taten sich zu Kungelrunden zusammen, bis die CDU zurückkam und ihren Antrag verkündete, der Ältestenrat möge doch zusammentreten, was er dann auch tat. Zehn Minuten später war klar, es würde keine Abstimmung über den Bezirksnamen geben. Wir Zuschauer hatten uns über die beschwerliche Arbeit in der parlamentarischen Demokratie ein Bild gemacht.

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