Sommertheater

Magdeburger Abende Sommerabende

Am Freitag wurde in Magdeburg die Sommertheatersaison eröffnet. Den Anfang machten die Freien Kammerspiele mit Shakespeares Wie es Euch gefällt, die zu diesem Zweck auf dem Domplatz ein Rainbow-Camp zusammengezimmert hatten. Es gab allerhand Budenzauber vor der Vorstellung, pünktlich zum Hauptakt begann es zu regnen, und kalt war es auch. Die Zuschauer hatten am Eingang ein Stück Folie in die Hand gedrückt bekommen, die sich als Regencapes entpuppten und bei jeder Bewegung raschelten, was zusammen mit dem prasselnden Regen und den viertelstündlichen Schlägen der Domuhr der Inszenierung gut tat. Kurz vor der Dämmerung schickte der Himmel einen Regenbogen, der mit der Waldlandschaft auf der Bühne eine wunderbare Kitschpostkartenansicht gab. Den Leuten um mich herum gefiel es, sie klatschten nach jeder zweiten Szene, vor allem die lebendigen Schafe bekamen sehr viel Beifall, und dem echten Rasen tat der Regen gut. Den Ballkleidern, in denen sich die Schauspielerinnen um die Bäume bewegten, war er allerdings abträglich. Als ich vor über 20 Jahren als Ankleiderin für dieses Theater arbeitete, gab es zum Glück noch keine Vorstellungen unter freiem Himmel.

Mir kribbelte schon nach einer Stunde das rechte Bein. Aufdringlich heftig wurde es nach der Pause, als Shakespeare persönlich in einem Schaufenster über die Szene schwebte. Im Zug nach Magdeburg hatte ich in einer liegen gebliebenen Bild-Zeitung gelesen, dass Shakespeare eine Frau war, die Gräfin von Oxford, Mary Pembroke, die im sittenstrengen England nicht unter ihrem Namen veröffentlichen konnte. Die taz dagegen meldete auf der Kulturseite, dass der wahre Verfasser von Shakespeares Werken Edvard de Vere, Graf von Oxford sei, ein Hofmann und Italienreisender, der durch seine Tätigkeiten einen entscheidenden Erfahrungsvorsprung vor dem historischen William Shakespeare hatte und deshalb das Hofleben viel besser beschreiben konnte. Wie dem auch sei, in der Gunst der Sommertheaterregisseure kommt Wie es euch gefällt gleich nach dem Sommernachtstraum.

Ganz nebenbei gewann Griechenland gegen Frankreich. Davon erfuhr ich aber erst, als ich auf dem Werder saß, einer Elbinsel, von der aus man einen wunderbaren Blick auf die Silhouette der Altstadt mit ihren in Scheinwerferlicht getauchten Kirchen hat. Der Mond stand als überdimensionierter Orangenschnitz darüber. Ein schöneres Theater gibt es hier eigentlich nicht, als diese Illusion von Magdeburg, das man ja eher hässlich zu nennen geneigt ist. Die Silhouette ist jeden Sommer Teil der Inszenierungen eines kleinen Theaters auf dem Werder, das dem großen auf sehr eigenwillige Weise Konkurrenz macht. Das "Theater an der Angel" besteht nur aus Prinzipalin und Prinzipal, einem Technischen Direktor sowie einer Menge Freunde und Verwandte. Die 35 Sommertheatervorstellungen ihrer Flussbetteloper nach Rainer Werner Faßbinder sind schon restlos ausverkauft, bevor man überhaupt die letzte Genehmigung hat einholen können. Denn der Spielort soll in diesem Jahr die Elbe sein, mit der das Theater in einer gewissen Hassliebe verbunden ist - wäre es vor zwei Jahren doch beinahe mitsamt der Insel in den Fluten abgesoffen. Für die diesjährigen Sommervorstellungen hat das Theater sich einen schwimmenden Bootsschuppen der Wasserschutzpolizei ausgeborgt, 99 Stühle aus einem Schönebecker Kino auf den Planken angeschraubt, einen kleinen Hafen gebaggert und den Schuppen zwischen den Pfosten von Jerusalem- und Friedensbrücke vertäut. Im letzten Winter hat das Ensemble vorsichtshalber kollektiv den Bootsführerschein gemacht. Sollten sich die Taue aus welchem Grund auch immer lösen und das Theater bis nach Tangermünde schippern, gibt es wenigstens drei Kapitäne an Bord. Der Wassertreter hat als Requisite nicht bestanden, da er die Kurve vom Fluss in den Zuschauerraum nicht kriegt und die Gefahr besteht, dass die Hauptdarsteller abgetrieben werden. Mit der zweiten schwimmenden Requisite, der Badewanne, ist die Prinzipalin bei der letzten Probe gekentert, konnte aber gerettet werden. Zur Not muss der Text eben schwimmend gesungen werden. Hauptsache, keiner der Zuschauer wird seekrank oder geht über Bord. Auch überhastetes Verlassen der Vorstellung könnte im Wasser der Elbe enden.

Das Vorspiel auf dem Theater dauerte vier Monate und bestand aus dem Einholen von 27 Genehmigungen durch den Technischen Direktor. Die wichtigste war die "Strom- und schiffahrtspolizeiliche Genehmigung Nr. 634 über das Liegen eines Schiffes". Die 28. fehlt noch. Es ist die "Ausnahmegenehmigung zur Überfahrt eines Bürgersteigs", die es erlaubt, eine Treppe an die Kaimauer zu bauen, über die die Zuschauer auf den vom Umweltamt zur Begehung freigegebenen Uferweg und zum mit Schwimmstabilitätsnachweis versehenen Bootsschuppen gelangen. Hauptsache, die Schauspieler erkälten sich bis dahin nicht.


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