WOJNA!

Als ich vor mehr als vier Wochen eine Wohnung in der Warschauer Innenstadt bezog, um die nächsten zwei Monate dort zu verbringen, fiel es mir nicht ...

Als ich vor mehr als vier Wochen eine Wohnung in der Warschauer Innenstadt bezog, um die nächsten zwei Monate dort zu verbringen, fiel es mir nicht auf, dass es keinen Fernseher gab. Es war Anfang März. Freunde unkten, ich würde mich wohl mit Absicht ins neue Europa begeben, denn müssten die Ostdeutschen nicht eigentlich auch dazugehören? Den Schulterschluss hat dann aber Angela Merkel übernommen. Ihr Bild soll auf dem Titel der linksliberalen Gazeta wyborcza geprangt haben. Die einzige Freundin Amerikas unter den Deutschen. Ich habe das Foto nicht gesehen, Angela Merkel soll entspannt gelächelt haben. Ich wollte in Warschau in Ruhe arbeiten, nahm aber vorsichtshalber einen Weltempfänger mit. An dem Tag, an dem der Krieg anfing, lief ich mittags an der amerikanischen Botschaft vorbei. Zwei Soldaten schlenderten mit Gummiknüppeln am Gürtel die Straße entlang, vor dem Tor der Botschaft standen zehn Leute nach Visa an. Zwei Fernsehteams filmten sich gegenseitig. Wenig später zogen sie ab. Es gab keine Proteste. Am Abend fuhren müde Warschauer mit der Straßenbahn nach Hause, einige derer, die einen Platz ergattert hatten, lasen Zeitung. WOJNA titelte die Gazeta wyborcza. Ich hätte auch ohne das unklare Foto ninja-ähnlicher Gestalten im Wüstensand erkannt, worum es ging. Das Wort war mir in der Verbindung WOJNA KAPUTT in frühester Kindheit begegnet. Dieser Krieg fing aber erst an. Ich hatte schon den Ersten Golfkrieg verpasst, weil ich keinen Fernseher hatte. Ich konnte nicht mitreden, wenn es um die philosophischen Diskussionen um Krieg und Geschwindigkeit ging, weil ich nicht gebannt den grünstichigen Bildern von Bombenangriffen in Echtzeit folgte. Inzwischen gab es andere Kriege, die meistens aus der Luft gefilmt wurden. Ein Bordcomputer peilt ein Ziel an und danach diskutiert man über den Begriff des Kollateralschadens. Man kann gegen den Krieg sein und ist trotzdem Konsument des Infotainments.

In Warschau halte ich nachts meinen Weltempfänger ans Ohr, mittags gehe ich ins Internetcafé - ein Nachrichtenjunkie ohne ausreichend Stoff.

Deutschland wird auf polnischem Hoheitsgebiet im Äther durch die Deutsche Welle repräsentiert. Bayern 5 und Deutschlandradio, die auf der Skala in unmittelbarer Nähe liegen, lassen sich auch durch Verbindung der Antenne mit metallischen Gegenständen wie Löffel, Schlüssel oder Heizungsrohre nicht dazu überreden, wenigstens die Nachrichten ohne längere Unterbrechungen durch eine Art sibirischen Wind, der jedes Wort mitnimmt, zu übertragen. Leider verschont der auch die Deutsche Welle nicht und seit zwei Wochen kann man den Sender nur noch abends empfangen. Angesichts des ansonsten üblichen Infotainments wirkt die Deutsche Welle immer noch wie ein Kind des Röhrenradios. Trotzdem hat der Sender bei aller Betulichkeit eine Tugend, die einem auffällt, wenn man auf das Zappen zwischen 30 Fernsehsendern, auf UKW-Radio und Printmedien verzichten muss. Er legt Wert auf Objektivität. Nach all den Propagandalügen beider Kriegsparteien gibt es keine Meldung, die nicht von der Einschränkung »nach eigenen Angaben« oder »wie verlautet« nebst häufigen Konjunktiven begleitet wird. So ist es ein nüchterner Krieg, es gibt keine Emotionen. Und es wird außerdem über Kriege berichtet, die ohne Kameras stattfinden. Der Bürgerkrieg im Kongo beispielsweise, wo Menschen mit Buschmessern geschlachtet werden.

Im Internet gab es Diskussionen um eingebettete Journalisten und wie die Genfer Konvention mit Bildern von Kriegsgefangenen umzugehen hat. Die Filmausschnitte der amerikanischen Gefangenen kenne ich nur als verpixeltes eingefrorenes Bild der Kriegsgefangenen Johnson, die in einer Mischung aus Angst und Trotz in eine Kamera schaut. In den Internetcafés Warschaus laufen die Bilder nicht, vielleicht weil die Übertragungsgeschwindigkeiten zu gering sind. Um mich herum sitzen vorwiegend Jungs zwischen 14 und 20, die Counterstrike spielen: In der ersten Kriegswoche fragte mich der junge Betreiber des Internetpoints in der Metrostation Centrum, nachdem ich mich durch die Kriegsberichterstattung geklickt hatte, was ich denn von dem Krieg halte (seine Jungs schossen geräuschvoll mit ihren Counterstrike-Maschinenpistolen durch das unsichtbare Netz im Raum). Als ich sagte, dass ich ihn ablehnte, schien er irgendwie erleichtert und sagte, er auch.

Der einzige Ort der Warschauer Innenstadt, in dem man sich unmissverständlich öffentlich gegen einen Krieg ausspricht, ist das Café Tonic in der Marszalkowska. Hier sind die Preise so hoch wie am Hackeschen Markt, und auch die Gäste könnte man in beliebigen Coffeeshops Westeuropas oder Amerikas wiederfinden - die Jungs haben Kinnbärte oder Kurt-Cobain-Frisuren, und die Mädchen tragen die Haare in einem Rot, das man sonst auf den Straßen nicht sieht. Das Kollektiv trägt seit dem Tag des Kriegsbeginns T-Shirts mit dem Aufdruck NO WAR. Man kann es auch kaufen, für 20 Zloty. Die Fensterscheiben sind mit Antikriegsparolen beklebt. Mir scheint, das Café ist voller seitdem, auch wenn nach drei Wochen Krieg nur noch die Hälfte der Bedienung die Shirts trägt.

Nur einmal in den letzten drei Wochen habe ich in Warschau vor einem Fernseher gesessen. In den Hauptnachrichten liefen Bilder aus dem Sejm, in Polen herrscht momentan eine Regierungskrise, über die in Deutschland so gut wie gar nicht berichtet wird. Auf Transparenten forderte eine der Oppositionsparteien, dass man die Regierung in den Irak schicken sollte und einen Schnitt später schritt Präsident Aleksander Kwasniewski die Formation ab, um den polnischen Soldaten, die die amerikanischen Truppen im Irak unterstützen sollten, offiziell zu verabschieden.

Die Hälfte der Polen lehnt einen Krieg strikt ab, uneingeschränkt dafür sind unter zehn Prozent. Das habe ich in einem Reader über die Polenberichterstattung deutscher Medien gelesen, der in der Bibliothek des Goethe-Instituts ausliegt. Es gibt polnische Dissidenten, die für diesen Krieg sind, weil sie Angst haben vor einer Achse Paris-Berlin-Moskau. Wenn man durch die von Deutschen zerstörten und im Stil der Stalinarchitektur wieder aufgebauten Straßen Warschaus geht, kann man das nachvollziehen.

Jeden Abend geht ein Mann durch die Marszalkowska und versucht, mit einem Taschenmesser die Plakate abzupolken, die Kriegsgegner illegal an die Schaufenster der unvermieteten Geschäfte geklebt haben. Es ist das berühmte Bild mit den nackten vietnamesischen Kindern, die weinend eine Straße entlanglaufen. Jeden Abend schafft es der Mann, wenigstens die Gesichter der vietnamesischen Kinder abzukratzen, aber jeden Morgen, wenn ich an den Schaufenstern vorbeigehe, sind sie wieder da.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden