Fünf Jahre nach der großen Krise steht VW an der Spitze der Job-Beschaffer: 7.000 neue Arbeitsplätze in den beiden vergangenen Jahren. Dabei liegt die durchschnittliche Arbeitszeit längst über der 1993 vereinbarten 28,8 Stunden-Woche. In allen Werken des Konzerns wird nun überlegt, wie Beschäftigung gesichert und ausgebaut werden kann, wenn der Autoboom vorbei ist.
Gelbweißes Neonlicht durchflutet das Erdgeschoß der Halle 5 im Werk Braunschweig. Hin und wieder rattert ein Gabelstabler durch die Gänge der Montagehalle für Vorder- und Hinterachsen. Ein leichtes Brummen schwingt durch die Luft. Manchmal durchbricht ein Lachen die Geräuschkulisse. Georg Schuller sitzt konzentriert an seiner Werkbank und setzt Anschläge für F
er großen Krise steht VW an der Spitze der Job-Beschaffer: 7.000 neue Arbeitsplätze in den beiden vergangenen Jahren. Dabei liegt die durchschnittliche Arbeitszeit längst über der 1993 vereinbarten 28,8 Stunden-Woche. In allen Werken des Konzerns wird nun überlegt, wie Beschäftigung gesichert und ausgebaut werden kann, wenn der Autoboom vorbei ist. Gelbweißes Neonlicht durchflutet das Erdgeschoß der Halle 5 im Werk Braunschweig. Hin und wieder rattert ein Gabelstabler durch die Gänge der Montagehalle für Vorder- und Hinterachsen. Ein leichtes Brummen schwingt durch die Luft. Manchmal durchbricht ein Lachen die Geräuschkulisse. Georg Schuller sitzt konzentriert an seiner Werkbank und setzt AnschlXX-replace-me-XXX228;ge für Fußhebel zusammen. Ihm ist nicht anzusehen, daß er blind ist. Jeder Handgriff sitzt. Für den 41jährigen Familienvater aus Rumänien wurde im Mai 1998 ein Arbeitsplatz eingerichtet. Nach acht Jahren Arbeitslosigkeit konnte er sein Glück kaum fassen: »Es war wie ein Sechser im Lotto.«Das Glück der Befristeten Bereits am 2. Mai 1996 fingen die ersten 50 Arbeitslosen in der Montage und als Maschinenbediener an. Für viele nach jahrelanger Ungewißheit wieder die erste richtige Arbeit. Auf Drängen des Betriebsrates sind bis Dezember letzten Jahres 884 befristete Neueinstellungen erfolgt. Betriebsrat Horst Neumann, Sprecher des Personalausschusses in Braunschweig: »Die größte Freude war für uns, daß unter den Neueinstellungen auch Behinderte, Langzeitarbeitslose und einige Kolleginnen und Kollegen über 50 Jahre waren.« Inzwischen sind sogar 188 Leute in der Fertigung fest übernommen wurden. Und das bedeutet bei VW fast einen Job fürs Leben.Die Neueinstellungen konnten nur erfolgen, weil es in der Automobilindustrie seit Jahren boomt. Im Braunschweiger Werk waren die Lieferverpflichtungen gegenüber anderen Werken nur durch Mehrarbeit einzuhalten. Teilweise wird noch heute in 18 und 21 Schichten pro Woche gearbeitet. Die Nachfrage nach Vorder- und Hinterachsen, Servolenkungen und Kunststoffteilen ist nach wie vor ungebrochen. Doch die konjunkturelle Entwicklung der Autoindustrie läßt sich schwer einschätzen. Deshalb erfolgten alle Einstellungen befristet.Jadwiga Arndt gehört zu den Befristeten in der Braunschweiger Fabrik. Die gelernte Kellnerin arbeitet nach achtjähriger Arbeitslosigkeit nun im Werk für Kunststoffteile und montiert rechte und linke Blenden für Amaturenbretter und Handschuhfächer. Die ungewohnte Tätigkeit und die Akkordvorgaben machen ihr keine Schwierigkeiten: »Die Arbeit macht mir Spaß. Ich hoffe sehr, daß ich bei VW bleiben kann.« Wie alle neuen Beschäftigten wurde sie erst einmal für acht Monate eingestellt. Als zweite Stufe kann der Vertrag um weitere zehn Monate verlängert werden. Betriebsrat Neumann: »Die Übernahmegespräche laufen bis Ende 99. Es sieht bis jetzt gut aus.«Noch rollt der Volkswagen-Konzern weiter auf der Erfolgsspur. Der drittgrößte Automobilhersteller der Welt hat 1998 seinen Absatzrekord vom Vorjahr um 7,5 Prozent übertroffen: Insgesamt wurden 4,58 Millionen Fahrzeuge verkauft. Wie VW-Chef Ferdinand Piëch bereits auf einer Betriebsversammlung im Dezember in Wolfsburg verkündete, bedeutet dies trotz einer Vielzahl von neu anlaufenden Produkten einen Zuwachs von 6,6 Prozent. Damit sei die Marktführerschaft in Westeuropa und Deutschland ausgebaut worden und der Anteil am Weltmarkt von 10,4 auf 11,4 Prozent gestiegen. Diese Absatzrekorde trugen dazu bei, daß ingesamt über 7.000 Beschäftigte in den sechs westdeutschen Werken einen Job fanden. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Klaus Volkert: »Wir brauchen Einstellungen; das sind wir den Kolleginnen und Kollegen schuldig, die Überstunden schieben, und auch denen, die draußen stehen und keine Arbeit haben.«Gemeinsam mit der IG Metall setzten die Betriebsräte Neueinstellungen und damit die Einhaltung des Paragraphen 4.5 des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung durch. Der 1993 ausgehandelte Vertrag sieht als Basis der Beschäftigungssicherung bei Volkswagen die Verkürzung der Regelarbeitszeit von 36 auf 28,8 Stunden pro Woche vor. Sobald jedoch die Arbeitszeit pro Mitarbeiter in einem Werk 35 Stunden pro Woche überschreitet, muß VW überprüfen, ob Einstellungen - seien sie auch nur befristet - erfolgen können. »Der Tarifvertrag ist gewissermaßen eine Verhandlungsverpflichtung«, sagt Tarifsekretärin Helga Schwitzer von der Bezirksleitung der IG Metall in Hannover.Die Kehrseite des VW-Modells Die Kehrseite des Beschäftigungserfolges sind im Werk Wolfsburg rund 150 Arbeitszeitmodelle, die den Rhythmus des sozialen und familiären Lebens durcheinanderbringen. Arbeitet auch der Partner bei VW, werden mitunter nur noch Zettel auf dem Küchentisch ausgetauscht. Der öffentliche Nahverkehr konnte sich bisher nicht auf die unterschiedlichen Schichtwechsel einstellen. Auch die Planung im Werk war nicht immer ganz einfach. Betriebsrat Bernd Osterloh, Mitglied der Arbeitszeitkommission: »Wir hatten Personalwirbelungen in der Fabrik wie bei El Niño.«Seit Beginn dieser Woche ist damit Schluß. Personalleitung und Betriebsrat haben sich in Wolfsburg wieder auf das klassische Dreischichtsystem geeinigt. Betriebsrat Osterloh: »Außerdem haben wir durchgesetzt, daß es in jeder Schicht dreimal eine bezahlte 20-Minuten-Pause gibt.« Mit den neuen Arbeitszeiten atmet die Fabrik jetzt wirklich und gleichzeitig wird die Fertigungskapazität ohne zusätzliche Samstagsarbeit für das Hauptwerk ausgeweitet. Die Vier-Tage-Woche bleibt erhalten. Aber bis Ende 1999 wird wegen der guten Auftragslage im Durchschnitt 36 Stunden gearbeitet. Die anfallende Mehrarbeit kann über Freizeit, Geld oder Gutschriften auf dem Lebensarbeitszeitkonto ausgeglichen werden. Die betroffenen Mitarbeiter werden in dem vereinbarten Zeitraum neun Wochen lang 40 Stunden arbeiten und haben anschließend eine Woche frei, so daß sie im Durchschnitt auf 36 Stunden kommen. Die anderen VW-Werke bleiben von der Reform zunächst unberührt. Dort gibt es zwar auch parallel Zwei- und Dreischichtmodelle sowie die Vier- und Sechs-Tage-Woche, aber die werden je nach Auftragslage variiert.Intelligentes »Insourcing« Die Auftraglage des Rekordjahres 1998 dürfte kaum zu überbieten sein. Dennoch bleibt VW-Personalvorstand Peter Hartz vorerst gelassen: »Mit der Vier-Tage-Woche haben wir ein enormes Reaktionspotential und können die Produktion schnell anpassen, wenn die Konjunktur schlechter werden sollte.« Außerdem werde schon heute ein Viertel der Mehrarbeit für freie Tage und eine verkürzte Lebensarbeitszeit angerechnet. Hartz: »Das zeigt, daß sinnvolle Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse durchaus machbar sind. Aber das beste Beschäftigungsprogramm sind erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen.« Deshalb wird bei VW auch ein intelligentes »Insourcing« betrieben. Die Fertigung bleibt also im Unternehmen oder wird wieder hereingeholt.Auch hier zeigt sich VW als Vorreiter. So konnte das Komponentenwerk in Braunschweig die Auslagerung von Teilen der Produktion verhindern, indem die Werksleitung gemeinsam mit dem Betriebsrat die Arbeitsabläufe umstrukturierte. Die Gesamtkosten fielen auf das Niveau vergleichbarer Zulieferer. Das Werk arbeitet inzwischen als eigenständige Unternehmenseinheit und ist für das Geschäftsergebnis eigenverantwortlich.Zu diesem Erfolg hat auch das Engagement des Betriebsrates beigetragen. Mitte der achtziger Jahre wurde eine Werkzeugkommission mit dem Ziel gegründet, den »Werkzeugbau 2000« mit einem Investitionsvolumen von 200 Millionen Mark zu begleiten. Es entstand der modernste Werkzeugbau der Welt. Jetzt hat sich der Braunschweiger Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Klever als Verhandlungsführer des Gesamtbetriebsrates in der Werkzeugkommission vor allem für die Beschäftigungssicherung durch neue Arbeit und zukunftsträchtige Produkte eingesetzt: »Hervorragende Fahrzeuge benötigen aus meiner Sicht die hohen Qualitätsleistungen der Konzernwerkzeugbauten als wichtiges Fundament.« Gemeinsam mit dem Management wurden Gesamtinvestitionen von über 300 Millionen Mark für VW und Audi im Werkzeugbau beschlossen.So viel wie möglich im Haus zu produzieren ist auch die Devise der Emdener VW-Werker. Betriebsratsvorsitzender Alfred Wienekamp fordert: »Wir dürfen keine reine Montagebude bleiben.« Neben der Produktion des Passat-Variants könnte sich Wienekamp vorstellen, mehr Forschung und Entwicklung nach Emden zu holen. So könnten am Standort Prototypen gebaut werden. Und Produktideen hätte VW-Chef Ferdinand Piëch schließlich reichlich. Vielleicht geht neben dem Drei-Liter-Lupo auch ein Ein-Liter-Auto in Produktion. Piëch scheint dem Konzentrationsprozeß in der Branche optimistisch entgegenzusehen: »Die Markenzahl wird bleiben, aber die Zahl der Eigentümer wird sich drastisch reduzieren - auf fünf bis sieben große Unternehmen weltweit, dazu noch einige kleinere Produzenten.«Natürlich gehört für den Techniker Piëch VW zu den Überlebenden. Für die über 103.000 Beschäftigten in der VW AG Deutschland sind jedenfalls die Voraussetzungen nicht schlecht . Flexible Arbeitszeiten, eine intelligente Modellpolitik, gutdurchdachtes Insourcing und geplante 20 Milliarden Investitionen in den sechs Werken könnten VW durch den Sturm der Krisen und Fusionen bringen.