Vielleicht hat der Bretone Ronan Dantec Recht, und jetzt ist der richtige Zeitpunkt für „Neues Denken“ in der grünen Partei (Les Verts). Dantec ist ein bärtiger Mann mit lauter Stimme – ein Urgestein bei Frankreichs Grünen mit einem Sitz im Senat. Fest steht, die Partei muss sich nach einem Kurzausflug in die Regierung neu erfinden. Die Parteienlandschaft steht vor einem Umbruch wie selten zuvor. Während Premier Manuel Valls um jede Stimme für die Vertrauensfrage am 16. September buhlen musste, denken die verbleibenden Parteien schon einmal an die Zeit nach François Hollande.
Die ehemalige grüne Wohnungsbauministerin und Parteichefin Cécile Duflot veröffentlichte im Sommer ihr Buch Reise durch das Land der verlorenen Illusionen. Der Wunsch, durch Teilhabe an der Macht dem Land mehr Ökologie und Wohlfahrt zu geben, erwies sich als Täuschung, schreibt sie dort. Sie habe als Ressortchefin die Mieten begrenzen wollen und sei mit dem Anliegen des Élysées kollidiert, eine staatliche „Mietbremse“ lediglich zeitweise in Paris zu testen. Auch der grüne Bestseller Atomausstieg findet nicht statt. Die sozialistische Regierung verspricht bisher nur, das – selbst aus Firmensicht – abbruchreife AKW Fessenheim an der Grenze nach Deutschland abzureißen. Sonst aber bleiben 58 Reaktoren – über das ganze Land verteilt – unangetastet. Die Castoren rollen weiter von Süd nach Nord, manchmal stehen sie auf den Gleisen von Großstadtbahnhöfen, ohne groß bewacht zu werden.
Endlich populär werden
Stark sind Les Verts überall dort, wo sie ihre Stimme gegen ungeliebte Großprojekte erheben – gegen den Alpen-Tunnel zwischen Lyon und dem italienischen Turin oder gegen Notre-Dame-des-Landes, einen neuen Flughafen im Westen des Landes, der zeigt, Ökologie ist für das Kabinett kein Thema. Hollande hat in seiner zweijährigen Amtszeit vier Umweltminister verschlissen. „Ich habe an diesen Präsidenten geglaubt und mich getäuscht“, so das Fazit von Cécile Duflot, die ihr Ressort aufgab, als Hollande mit Manuel Valls einen weit rechts stehenden Sozialisten zum Premier ernannte.
Niemand glaubt mehr daran, dass es dieser Staatschef 2017 in eine zweite Amtszeit schafft. Seine neuerlichen Spardogmen führen weder zu Jobs noch zu Aufschwung. Die Arbeitslosigkeit ist mit mehr als zehn Prozent auf einem stabilen Allzeithoch. „Dieser Tiefpunkt einer Regierung schenkt uns einen Neuanfang“, meint der grüne Strippenzieher Ronan Dantec. „Bisherige Rezepte der Marktwirtschaft haben versagt.“ Er plädiere für einen dritten Weg zwischen „Produktivisten und Ökologen“ und ein „sehr schwaches Wachstum“. „Wir werden künftig weniger verteilen können, aber wir können dies sinnvoll tun.“ Dantec träumt von Konzepten, wie sie einst von Fundamentalisten bei den deutschen Grünen verfolgt wurden. Er will die Arbeitszeit von mometan 35 Stunden weiter verkürzen und für „eine gerechte Verteilung der doch so knappen Ressource Arbeit“ sorgen.
Zudem soll es im öffentlichen Sektor neue Stellen geben, um älteren Menschen helfen und urbane Infrastruktur erhalten zu können. Nur wirken solche Begehrlichkeiten wie der berühmte Ruf in der Wüste. Inzwischen plädieren sogar die Sozialisten dafür, die einst von ihnen selbst eingeführte 35-Stunden-Woche zu kassieren und die Bürger wieder mehr arbeiten zu lassen.
Hoffnungsvoll stimmt die Grünen die 160.000-Einwohner-Stadt Grenoble. Dort regiert seit April ein grüner Bürgermeister mit Unterstützung der Linksfront (Front de gauche),ein Partner, um sich nicht allein von kränkelnden Sozialisten, sondern auch vom Image der „bürgerlich Betuchten“ zu lösen. Bislang waren es in Frankreich vorzugsweise die Bobos (bourgeois et bohème) genannten Bürger, die grün wählten. Dank Grenoble kamen Arbeiter und weniger vermögende Anhänger hinzu.
„Wir werden neue Allianzen finden“, hofft die Europaabgeordnete Karima Delli. „Während die Meeresspiegel steigen, haben wir Zeit mit der Macht vergeudet. Wir sollten künftig sehr viel mehr Arbeiter ansprechen. Sie sind es, die unter Giften am Arbeitsplatz leiden. Sie sind es, die minderwertige und pestizidhaltige Billignahrung essen. Und sie würden es sein, die von Jobs profitieren, wie sie mit einer Energiewende entstehen. Ich weiß, wovon ich rede – ich komme selber aus einem eher prekären Elternhaus.“ In einer Phase grüner Identitätsfindung geben Leute wie Karima Delli den Ton an.
Jedenfalls soll das Modell Grenoble ein Wegweiser sein. Für die Regionalwahlen 2015 hofft die Partei auf ähnliche Durchbrüche im Loire-Tal, in Lyon und einigen Pariser Bezirken. Die Partei ermutigen soll außerdem der im Herbst 2015 in Paris anberaumte Weltklimagipfel. Kann nicht Aufmerksamkeit für den Klimaschutz in Sympathien zugunsten der Grünen umschlagen? Warum nicht dank einer Energiewende in Frankreich endlich populär werden?
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