Sarkozy hat fertig

Nachruf Der französische ­Präsident wechselt täglich die Meinung. Das ertragen die ­Leute nicht mehr. Sie wählen lieber Hollande, den Langweiler

François Hollande ist leider ein ganz und gar durchschnittlicher Politiker. Und dennoch liegen die Franzosen ihm zu Füßen, sodass die Sozialisten 17 Jahre nach dem Ende der Amtszeit von François Mitterrand vor einem Comeback stehen. Aber bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag geht es nicht um einen alternativen Politikentwurf. Unsere Nachbarn wollen vor allem Hollandes grellen Gegenpart entmachten: Die Ära des politischen Bauernfängers Nicolas Sarkozy nähert sich ihrem Ende. Die Franzosen sehnen sich nach einem Politiker, den sie ernst nehmen können.

Dem Amtsinhaber fehlten eigentlich schon immer die Überzeugungen. Stattdessen verfügt er über besonders feine Antennen für die Stimmung im Land. 2008 sprach er sich für die Homo-Ehe aus, heute ist er dagegen. Erst geißelte er Hollandes Idee, den europäischen Fiskalpakt nachzuverhandeln. Nun verspricht er dasselbe. Zunächst rühmte er sich, auch Sozialisten und Migranten in sein Kabinett zu holen, bald schon ersetzte er sie durch konservative Parteisoldaten. An dem einen Tag beschwört er vor Kardinälen den christlichen Geist Frankreichs, anderntags lobt er vor Pädagogen das laizistische Schulsystem.

Bleibt alles anders

Wer jeden Tag seine Meinung ändert, kann langfristig wenig durchsetzen. So hat Sarkozy seine größten Versprechen ausnahmslos gebrochen. Die Arbeitslosigkeit ist heute zehn Prozent höher als bei seinem Amtsantritt. Frankreich büßte seine tadellose Kreditwürdigkeit ein, die Kaufkraft sank. Die Vorstädte, die Sarkozy noch vor fünf Jahren martialisch mit einem Hochdruckreiniger säubern wollte, sind nach wie vor verarmt und werden missachtet. Der Präsident ist gescheitert. Wahrscheinlich weiß er das inzwischen auch selbst. Aber man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn er nun ankündigt, „alles anders machen zu wollen.“

Auch andere Staatschefs hatten eine missglückte erste Amtszeit und wurden trotzdem wiedergewählt. Helmut Kohl zum Beispiel. Aber in der heutigen Krisenzeit spüren die Menschen die Fehler eines Regierenden viel unmittelbarer. Die Franzosen werden ihre Rente trotz einer fast doppelt so hohen Geburtenrate wie in Deutschland künftig erst zwei Jahre später als bisher, also mit 62, erhalten. Ihnen wird, obwohl es starke Gewerkschaften gibt, massenhaft gekündigt. Im Gegenzug wird Gesundheit immer teurer, weil der Staat seine Bankenschulden mit höheren Steuern auf Krankenversicherungen zu finanzieren versucht.

Aufziehende Götterdämmerung?

Natürlich ist der heute 57-jährige Sarkozy ein französisches Unikat. 2007 kam er vor allem deshalb an die Macht, weil man sich nach den gähnend langweiligen Jahren unter Jacques Chirac vom hibbeligen Sarkozy einen Neuanfang versprach. Er trat auf wie ein Kreuzritter für die Freiheit. Seine Abwahl könnte nun die Götterdämmerung der konservativen Übermacht in Europa einläuten.

In der Regel hoffen Wähler, dass eine bürgerlich-rechte Regierung in wechselhaften Zeiten Stabilität garantiert. Sie wählten Mariano Rajoy in Spanien, David Cameron in England und Mark Rutte in Holland. Aber die Krise ist bis heute geblieben. Frankreich hat inzwischen den dritten Sparplan, Europa steht der nächste Krisengipfel ins Haus und Spanien ist nahezu so ruiniert wie Griechenland.

In der zweitgrößten Wirtschaftsmacht Europas aber ließe sich ein solches Spardiktat wie für das kleine Griechenland niemals durchsetzen. In jedem Franzosen steckt ein kleiner Rebell. Vielleicht kann man dadurch erklären, dass dort nun in der Krise zum ersten Mal ein Politiker populär geworden ist, der sich als linksradikal bezeichnet: Wenn Jean-Luc Mélenchon redet, versammeln sich mehr als hunderttausend Menschen. Sein Programm widerspricht Sarkozys Krisengetöse in jedem Punkt. Er will, dass die europäische Zentralbank den verschuldeten Ländern direkt Geld leiht, dass Banken ihre Kreditgeschäfte für Privatpersonen von ihren Spekulationsgeschäften trennen und dass Einkommen gesetzlich auf 30.000 Euro monatlich begrenzt werden.

Ein Pragmatiker passt in die Zeit

Mit seinem Erfolg hat Mélenchon sicherlich auch Hollandes Programm beeinflusst. Auch der will nun das europäische Spardiktat nachverhandeln, den Mindestlohn erhöhen und die Zentralbank als öffentlichen Kreditgeber nutzen. Sogar der unendlich biegsame Sarkozy stößt urplötzlich ins selbe Horn und pfeift auf seine bisherigen Verbündeten in Berlin oder Madrid. So tritt nur jemand auf, der nicht mehr viel zu verlieren hat.

Das politische Vakuum der Sarkozy-Jahre könnte Hollande nun beenden. 31 Jahre nach dem ersten Sieg eines sozialistischen Präsidentschaftskandidaten, das war damals Mitterrand, soll er nun ein neues Kapitel aufschlagen.

Hollande steht heute weit links von den deutschen Sozialdemokraten. Wie damals Mitterrand auch. Er will Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro mit 75 Prozent Reichensteuer belegen, 60.000 Lehrer mehr einstellen und durchsetzen, dass Geringverdiener weniger für ihren Strom zahlen. Das mag nicht dieselbe Symbolkraft haben wie Mitterrands Politik damals. Dennoch: Der graue Pragmatiker Hollande passt in unsere Zeit. Die Show von Nicolas Sarkozy ist vorbei.

Annika Joeres lebt in Frankreich

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