Krieg im Bunker

KZ-GEDENKSTÄTTE ALS BÜHNE Johann Kresnik inszeniert »Letzte Tage der Menschheit« von Karl Kraus

Einen »Abszeß der Menschheit« nennt er seinen Spielort und sagt, er werde nicht aufhören, solche Abszesse auszudrücken, er werde niemals das Nörgeln aufgeben. Jetzt hat er einen Nörgler auf die Bühne gebracht, auf eine ungewöhnliche dazu. Johann Kresnik hat »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus inszeniert - und das in einem Raum, von dem er glaubt, wenn Kraus ihn gesehen hätte, er hätte gewußt, wofür er sein Stück geschrieben hat: im Bremer »U-Bootbunker Valentin«. Und wenn das monumentale Anti-Kriegsstück von seinem Autor einem Marstheater zugedacht ist, weil Theatergänger dieser Welt ihm nicht standzuhalten vermöchten, dann mag das für Kresniks Spielstätte nicht minder gelten. Der Bunker erstreckt sich auf mehr als einem Quadratkilometer Grundfläche; seine Wände sind über vier, die Decke ist mehr als sieben Meter dick; innen herrscht das ganze Jahr über feuchte Kälte. »Ein Menschenhirn hat Schwierigkeiten, sich das vorzustellen«, schreibt der Franzose Raymond Portefaix über das Gebäude. Ihn und cirka 12.000 andere Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene trieben die Nationalsozialisten vom Herbst 1943 an, diesen Koloß zu errichten. Man wollte darin diejenigen U-Boote produzieren, die die Wende im Krieg bringen sollten. Bis Kriegsende hat der Bau fast 4000 Menschen das Leben gekostet, Opfer der »Vernichtung durch Arbeit«. Einigen von ihnen wurde der noch flüssige Beton zum Grab. Eigentlich unübersehbar, spielten »der Bunker« und vor allem seine Geschichte im Bewußtsein der Stadt lange keine Rolle. Dies zu ändern war erklärtes Ziel der Bremer Theaterverantwortlichen, als sie erwogen, zur Jahrtausendwende diese NS-Hinterlassenschaft zu bespielen. Sie haben es unzweifelhaft erreicht, das Theaterprojekt und damit auch der Bunker sind Stadtgespräch.

Immer wieder wird die Frage nach Pietätsgrenzen laut. Was dürfen Kulturschaffende an einem Ort des Gedenkens, in einer Grabstätte? Ein Requiem aufführen? Eine Lesung? Johann Kresnik - noch nie ein Zauderer bei der Wahl seiner Effekte - hat sich mehr erlaubt. Er hat ein Spektakel inszeniert, laut, irrwitzig, ein theatraler Angriff auf Kriegsherren und Kriegsberichterstatter. 39 Szenen hat er aus dem zwischen 1915 und 1917 entstandenen Fünfakter ausgewählt, gerade ein Fünftel der Vorlage. Zentrales Thema dieser Strichfassung sind die Medien. So gehört eine Journalistin zu den wenigen durchgehenden Figuren. Kraus hatte sie der Kriegsberichterstatterin Alice Schalek nachempfunden, deren verherrlichende Darstellungen des Frontgeschehens er als »ärgste Kriegsgreuel« verabscheute und ihr als Frau doppelt verübelte. In Bremen überzeugt Gabriele Möller-Lukasz in dieser Rolle. Sie kennt sich aus im »Mittendrin des heroischen Erlebens«, führt ein Presseteam durchs Schlachtfeld wie durch ein Museum und ergötzt sich am Körper des Objekts »einfacher Mann« im Schützengraben. Sie protzt mit selbstgemachten Leichenfotografien und bedrängt bohrend einen Elendszug Verletzter: »Was für Empfindungen haben Sie?« Es ist diese Frage, die die Aufführung immer wieder aufwirft. Sie stellt sich beim Durchschreiten eines Tors, das dem Eingang zum KZ Auschwitz gleicht und den Weg säumt, auf dem sich das Publikum durch den Raum bewegt. Die Frage stellt sich, wenn Zuschauer, um zum nächsten Spielort zu gelangen, über Statisten in der Kleidung von KZ-Häftlingen steigen, die ihnen »getötet« vor die Füße gefallen sind. Sie stellt sich, wenn ein Filmdokument vom Bunkerbau, projiziert an die Betonwände, als Kinobericht zur Somme-Schlacht präsentiert wird und auch, wenn an diesen Wänden ein Tom-und-Jerry-Streifen zu sehen ist. Jede Szene verlangt neue Antworten. Die Stimmungen wechseln abrupt: Standrichter, die sektfröhlich ihre hundertste Exekution feiern; dann ein Klagelied. Ein debiler, kaspernder Feldherr, der seinen Adjutanten versohlt und einem Fotografen posiert, während er neue Eroberungspläne schmiedet (Gabriela Maria Schmeide); eine prahlende Braut, deren Hochzeitbankett auf einem Panzer stattfindet; dann eine Mutter, die ihren Sohn schmerzlich vermißt. Kresnik zwingt das Publikum in die Auseinandersetzung mit Krieg und Medien, mit Unmenschlichkeit und Voyeurismus.

Das gelingt ihm, indem er die Charakteristika dieses Spielortes konsequent einsetzt: Monstrosität und Au thentizität. Klangeffekte, Pyrotechnik, Licht und Schatten, mit allen Mitteln betont er die räumliche Größe des Bunkers und schafft so ungewöhnliche, überwältigende Bilder. Die Authentizität des Gebäudes unterstreicht er, indem er Bühnen- und Zuschauerraum eins werden läßt. Das Publikum ist mitten im Kriegsgeschehen. Die Zuschauer werden gerempelt, müssen von einer Seite des Raums zur anderen hetzen und versperren sich gegenseitig die Sicht. Sie müssen drängeln um mehr Krieg, mehr Abgründiges zu sehen. Wer diesen Raum betritt, spielt mit, eine furchtbare, vertraute Rolle: die des Kriegszuschauers. Das Premierenpublikum hat seinen Part geduldig übernommen. Es hat sich Erschießungen und Hunger angesehen und den Ausführungen eines Waffenfetischisten genauso aufmerksam gelauscht, wie denen einer Journalistin, die über das »allgemein-menschliche Element« im zerstörten Belgrad sprach. Auch den Reichskriegsflaggen, die eine marschierende Gruppe Soldaten torwärts trug ist man willig gefolgt und hat dem Kriegsherrn aufmerksam zugehört, der kurz vor dem apokalyptischen Menschheitsende, seine Unschuld an alledem beteuerte. Zögern gab es nur beim Applaus. Indem er die Kriegszuschauer von heute hineinbaut, aktualisiert Kresnik das Stück, und indem er statt des ARD-Brennpunkts, die Kraussche »Extraausgabeeee« liefert, erschüttert er Sehgewohnheiten. Es schafft die Bedingungen, daß ein Kulturschaffender dafür auch eine Gedenkstätte wie den U-Boot-Bunker »Valentin« nutzen darf.

Nächste Vorstellungen: 11., 20. und 22. Juni 1999 um 20 Uhr im U-Boot-Bunker Valentin. 18 Uhr Abfahrt des Fährtransports ab Bremen (Martinianleger). Telefonischer Kartenverkauf unter O421 - 36 53 333

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