Von Überzeugungstätern und Gelegenheitsökos

Zukunft Ernährung BSE, Nitrofen und die Angst vor Gen-Food - ob Bio- oder Functional-Nahrung das Rennen macht, ist noch nicht abzusehen

Gesundheit und Bequemlichkeit - das sind zwei der wichtigsten Trends, die nach Erhebungen von Wissenschaft und Industrie die Zukunft unserer Ernährung bestimmen. Vom Gesundheitsbewusstsein hat in der Zeit nach BSE vor allem die Öko-Branche profitiert: 30 Prozent mehr Ökoprodukte gingen im letzten Jahr über den Ladentisch. Dann kam Nitrofen, und die Folgen des Skandals sind noch immer schwer abzuschätzen. Besonders der Imageverlust lässt sich kaum beziffern. Das Vertrauen der potenziellen Käufer sei erschüttert, meldet das Allensbacher Institut für Demoskopie: 77 Prozent der Befragten seien sich jetzt nicht mehr sicher, dass Bio besser sei als konventionell angebaute Nahrungsmittel - vor einem Jahr hätten nur 54 Prozent Zweifel geäußert.

Unheimliche Wachstumsvorgaben

Die überzeugten Biokäufer scheint der Skandal allerdings wenig erschüttert zu haben: im Naturkosthandel gab es kaum Verluste, freut sich der Bundesverband. Nur ein Viertel der im Verband organisierten Bioläden habe Umsatzeinbußen hinnehmen müssen - offenbar profitierte die große Mehrheit vom Vertrauen der Kunden.

Ernährungsökonomen wie Karl von Koerber sehen den Ökolandbau als den Produzenten der Nahrung von Morgen. Ökolandbau sei die nachhaltigste Form der Lebensmittelerzeugung, urteilt der Wissenschaftler: umweltfreundlich, rückstandsarm, und sozialverträglich, da er Arbeitsplätze in der Landwirtschaft erhalte. Das spricht für mehr Biohöfe - derzeit bewirtschaften die Biobauern nach Angaben der Stiftung Ökologie und Landbau nur drei bis vier Prozent der gesamten Anbaufläche. Die Bundesregierung hat ihr Ziel bereits festgelegt: 20 Prozent sollen es bis 2010 werden.

Ökolandbau einheitlich nach dem Gießkannenprinzip zu fördern, sei jedoch der falsche Weg, meint hingegen Friedhelm Taube vom Institut für ökologischen Landbau an der Universität Kiel. Er plädiert dafür, die Biobauern speziell dort zu unterstützen, wo sie nachweisbar weniger Umweltschäden anrichten. In Schleswig Holstein etwa auf sandigen und ertragarmen Böden, wo hauptsächlich Viehhaltung und Futterbau angesiedelt sind. Dort kann Ökolandbau die Nitratbelastung des Grundwassers deutlich verringern, während auf fruchtbaren Böden die Unterschiede weniger deutlich sind und die konventionelle Landwirtschaft besser ist als ihr Ruf.

Die Wachstumsvorgabe der Regierung ist selbst einigen in der Biobranche ein wenig unheimlich, denn die Mehrproduktion muss schließlich an den Mann oder die Frau gebracht werden. Der Anbauverband Demeter begrüßt zwar ausdrücklich den Sprung von Bioprodukten in den Supermarkt und betrachtet das Angebot dort als eine Art Einstiegsdroge.

Mit den eigenen Erzeugnissen ist man bei Demeter aber vorsichtig, und es gibt nur wenige Handelsvereinbarungen mit speziellen Ketten. Der Grund dafür lässt sich auf der Homepage des Verbandes nachlesen: Die eigenen Grundsätze wie etwa die regionale Vermarktung, heißt es dort, seien im konventionellen Handel nicht überlebensfähig. Bislang haben Bio-Produkte nur einen Anteil von ein bis drei Prozent auf dem Lebensmittelmarkt - Marktforscher der Universität Bonn führen das nicht zuletzt darauf zurück, dass das Angebot im normalen Lebensmitteleinzelhandel noch zu lückenhaft ist. Dagegen ließe sich der Marktanteil von Ökoprodukten problemlos verdreifachen, wenn das Supermarktangebot stärker ausgebaut und gleichzeitig die Qualität garantiert werden kann.

Öko muss bequemer werden

Doch exakt hier liegt auch das Dilemma des Ökolandbaus. Weil Bio boomt, gibt es schon längst Mischbetriebe mit konventioneller und ökologischer Produktion und Viehhalter, die das Futter für ihre zahlreichen Tiere nicht mehr selbst anbauen, sondern größtenteils zukaufen müssen. Die Lage wird unübersichtlich - eine steigende Nachfrage der Supermärkte könnte diese Entwicklungen noch verstärken.

Aber seien wir ehrlich: Wenn Bio bequemer wäre - einfach durch den Griff ins gewohnte Regal - dann fiele uns auch die Umstellung leichter. Die Richtlinien für das Supermarkt-Bioprodukt sind meist nicht ganz so streng wie die Regelungen der Anbauverbände. Mag sein, dass auf diese Weise eine Art Zwei-Klassen-Bio entsteht: teurere Bioware aus dem Naturkostladen für die Überzeugungstäter, günstigeres Supermarkt-Bio für den Gelegenheitsöko.

Wenn sich die Ökovermarkter auf Naturkostläden und eigene Bio-Supermärkte verlassen, riskieren sie jedenfalls, dass ihnen ein Teil der potenziellen Kundschaft entgeht, nämlich diejenigen, die Bio zwar positiv gegenüberstehen, aber die Umstände oder die hohen Preise scheuen. 20 Prozent höhere Preise würden Biokunden hinnehmen, fand die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle heraus. Andere Studien sprechen von bis zu 30 Prozent.

In der Realität liegen die Preisunterschiede aber auch schnell mal deutlich höher. Dass etwa Bio-Getreide wegen geringerer Erträge und höherem Arbeitsaufwand teurer sein muss als konventionelles, hat sich mittlerweile weitgehend herumgesprochen. Aber effektivere Vermarktung könnte auch hier die Kosten etwas senken und dadurch den Griff zur Bioware erleichtern. Auch ein paar Zugeständnisse an die Bequemlichkeit der Kunden könnten dem Absatz der Ökoprodukte nicht schaden, meinen Marktforscher der Universität Bonn. Solche Öko-Convenience ist durchaus schon auf dem Markt - man denke nur an Fertigmischungen für Getreidebratlinge oder an Babynahrung aus biologischem Anbau. Bio muss bequem werden, könnte der Slogan lauten.

Die Curry-Wurst ohne Reue

Konkurrenten um die Marktanteile der Zukunft gibt es reichlich. Produkte, die gleichzeitig auf der Gesundheits- und auf der Bequemlichkeitswelle reiten, sind die Functional- oder Designer-Foods: beispielsweise Milchprodukte oder Getränke mit dem gesundheitsfördernden gewissen Etwas, mit heilsamen Joghurtkulturen oder Mineralstoffen und Vitaminen. Sie sollen sich positiv auf Herzinfarktrisiko, Krebsgefahr oder einfach auf das Allgemeinbefinden auswirken - auch wenn man das in der Werbung aus rechtlichen Gründen nicht ganz so deutlich ausdrücken darf. Die vollmundig versprochene Vorbeugung gegen allerlei Übel ist allerdings bisher nur in wenigen Fällen erwiesen. Die lebenden Kulturen in probiotischen Joghurts etwa sollen sich im Darm ansiedeln und dort Gutes tun. Doch Experten sind uneins, ob genügend Bakterien die Haltbarkeitsdauer und die menschliche Verdauung überleben, und wenn ja, ob sie dann nützlicher sind für den Darm als die Kulturen normaler Joghurts.

Jedenfalls sieht die Ernährungsindustrie im Functional Food einen lukrativen Markt der Zukunft. Erste optimistische Prognosen von Marktanteilen um die 20 Prozent sind allerdings schon deutlich nach unten korrigiert worden. Denn während probiotische Joghurts und angereicherte Drinks sofort die Regale eroberten, griffen die Kunden bei anderen Neuentwicklungen wesentlich zögerlicher zu - die Marktanteile des Functional Food liegen bisher bei knapp einem bis anderthalb Prozent.

Experten - so eine Studie an der TU München-Weihenstephan - rechnen jetzt mit einem Anstieg auf zehn Prozent in den nächsten zehn Jahren. Denn die Wissenschaft birgt einen reichen Fundus an Stoffen, denen vorbeugende Wirkung zugeschrieben wird, die meisten davon der Natur entlehnt. Besonders reizvoll erscheinen dabei auch Lebensmittel, die Ernährungssünden wieder wettmachen, die Currywurst ohne Reue sozusagen. Bei der Herstellung solcher "Funktionsnahrung" könnte unter anderem die Gentechnik eine Rolle spielen. Denn mit gentechnischen Verfahren kann man - amerikanischen Forschern ist das kürzlich geglückt - etwa den Lycopin-Gehalt von Tomaten verdreifachen. Lycopin soll unter anderem das Prostata-Krebs-Risiko deutlich verringern.

Kein Bock auf Gen-Food

Doch gerade bei Nahrungsmitteln hat die Gentechnik schon die eine oder andere Schlappe einstecken müssen. Gentechnik in der Landwirtschaft soll zwar umweltfreundlich sein, sagen die Befürworter, weil schädlingsresistente Pflanzen mit weniger Spritzmitteln auskommen. Aber die Mehrheit der Deutschen will davon nichts auf dem Teller haben - auch wenn es noch so sehr nach Zukunft schmeckt.

Ob die veränderten Gene nun schädlich sind oder nicht, ist weiterhin eine Glaubensfrage: die Befürworter pochen darauf, dass Gentechnik nicht riskanter sei als normale Züchtung, die ja auch eine Genveränderung darstellt. Die Gegner fürchten alte oder neue Allergien, unkontrollierte Weiterverbreitung der veränderten Gene und bisher noch unbekannte andere Folgen. In Deutschland jedenfalls ist die Marktlage für Gentechnik im Lebensmittel denkbar schlecht: Kennzeichnungspflichtige Produkte wie der Butterfinger-Schokoriegel konnten sich nicht durchsetzen - gentechnisch verändertes Gemüse oder Obst kam noch gar nicht auf den Markt.

Das heißt aber nicht, dass es gar keine Gentechnik im Supermarkt gäbe: In Fertig-Lebensmitteln kann importierter gentechnisch veränderter Mais oder Soja enthalten sein - beim Zusatz Sojalecithin können noch Spuren der Erbsubstanz nachweisbar sein, bei Maisöl aus Bt-Mais gibt es keinen Unterschied zu "normalem" Öl. Eine Kennzeichnungspflicht gilt bisher, wenn noch eine Mindestmenge der veränderten Erbsubstanz im Nahrungsmittel nachweisbar ist. In Zukunft soll auch das Maisöl aus Gen-Mais gekennzeichnet werden müssen.

Eine Untersuchung der Stiftung Warentest weist allerdings darauf hin, dass der Anteil der Gentechnik im Supermarkt derzeit rückläufig ist: vor zwei Jahren wurden die Tester bei einem Drittel der untersuchten Lebensmittel fündig, in der neuesten Überprüfung entdeckten sie kaum noch entsprechende Ware. Die Hersteller hätten reagiert, heißt es im Testbericht. Greenpeace beklagt dennoch, dass nicht alle Futtermittelhersteller Gentechnikfreiheit garantieren, und befürchtet, dass veränderte Pflanzengene die tierische Verdauung überstehen, in Fleisch und Eier gelangen und so kennzeichnungsfrei beim Verbraucher landen.

Zukunft kostet

Nicht unmittelbar gentechnisch verändert, aber mit Gentechnik in irgendeiner Form in Berührung gekommen, ist dagegen bereits ein Großteil unserer Lebensmittel: 60-70 Prozent, schätzt Klaus Dieter Jany von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung. Es ist in der Industrie längst üblich, Enzyme für die Lebensmittelproduktion aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen zu gewinnen. Fast alle aus Stärke hergestellten Zuckerprodukte auf der Zutatenliste wie Glucosesirup oder Maltodextrin werden mit Hilfe solcher Enzyme gewonnen: das Endprodukt enthält allerdings keinen Schnipsel Erbsubstanz und muss auch nicht gekennzeichnet werden. Überprüfbar wäre das ohnehin nicht - der Glucosesirup unterscheidet sich nicht von der gentechnik-frei hergestellten Variante.

Trotz erheblichen Gegenwinds hat sich die für den Supermarktkunden unsichtbare Gentechnik also längst etabliert. Die gentechnische Herstellung vereinfacht industrielle Prozesse und ist vielfach nicht mehr wegzudenken. Inwieweit sie in Zukunft doch noch direkt im Supermarkt landet, vielleicht in Form einer Anti-Prostatakrebs-Tomate, liegt in der Hand des Verbrauchers.

Die Zukunft unserer Ernährung wird sich also irgendwo zwischen Ökoprodukten und maßgeschneiderten Lebensmitteln im industriellen Design abspielen. Wenn allerdings hauptsächlich der Preis entscheidet, dann dürfte alles so bleiben, wie es ist. Denn Zukunft kostet mehr: Beim Functional Food lassen sich die Hersteller den durchaus fraglichen "Zusatznutzen" vergüten. Und Bioware kostet wegen der aufwändigen Herstellungsprozesse deutlich mehr als konventionelle Produkte.

Aktuell geben wir höchstens 14 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel aus. Das ist geradezu lächerlich im Vergleich zu den fünfziger Jahren, wo man gut 40 Prozent seines Geldes für das tägliche Brot anlegen musste. Auch wenn der letzte Ernährungsbericht teilweise Entwarnung gibt - die Rückstandsbelastungen unseres Essens, so das Resümee, sei konstant niedrig, und die Ernährung insgesamt hätte sich leicht verbessert - sollte uns unsere Nahrung künftig vielleicht doch etwas mehr wert sein.

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