Als der Freihandelsvertrag zwischen den USA und Vietnam Ende 2001 unterzeichnet war, freute das die Welszüchter im Mekongdelta. Schließlich verzehren die Amerikaner Millionen Tonnen Welse pro Jahr. Das Abkommen, so glaubten die Fischer, die dort in schwimmenden Käfigen Welse züchten, müsste es ihnen erlauben, ihren Anteil an tiefgefrorenen Welsfilets, der seinerzeit bei 20 Prozent des US-Marktes lag, noch zu erhöhen. Doch inzwischen ist um die Fischart einer jener allzu bekannten Handelskriege entbrannt, der Vietnam mit Restriktionen konfrontiert, wie sie auch schon vor dem Vertragsabschluss üblich waren.
"Diese Fische sind herangewachsen, indem sie mit ihren Flossen in Dritte-Welt-Flüssen herumschlugen und alles fraßen, was ihnen in die Quere kam. Original amerikanische Welse hingegen werden in frischen, sauberen Gewässern gezüchtet und mit einer Diät natürlicher Proteine gefüttert", verkündete eine Anzeige der Vereinigung der Welszüchter von Amerika in den Supermarket News und schloss mit der xenophobisch-rassistischen Vermutung, "jene Kerle dort könnten möglicherweise nicht einmal USA buchstabieren".
Insgesamt soll es weltweit 2500 verschiedene Welsarten geben. Aber nur der amerikanische Wels, bekannt unter seinem wissenschaftlichen Namen Ictaluridae, sei ein echter Wels; Vietnam exportiert zwei Welse, die zwar anderen Spezies angehören, von der US Food and Drug Administration (FDA) jedoch akzeptiert werden. Der vietnamesische Fisch gehöre "einer anderen Fischart und einer anderen Welsfamilie" an, begründete Hugh Warren, Vizepräsident der amerikanischen Welsfarmer, die Kampagne. "Das ist, als ob sie Känguruh-Fleisch mit Hamburgern gleichsetzen."
Gegen dunkle Mächte, die von außen kommen
Der lautstarke Widerstand gegen den bärtigen Fisch aus dem einstigen Feindesland hatte zwischenzeitlich Erfolg. Der Änderungsantrag einiger Senatoren aus dem Süden zum landwirtschaftlichen Bestimmungsgesetz fand die Zustimmung des Senats. Damit wird es der FDA untersagt, die Einfuhr eines als Wels deklarierten Fisches zu ermöglichen, der nicht der Familie der Ictaluridae angehört. Wütend reagierte sogar Senator John McCain, als ehemaliger Kriegsgefangener im sogenannten Hanoi Hilton - ab 1966 das Gefangenencamp für abgeschossene US-Piloten - kein erklärter Freund Vietnams: "Mit einem billigen Trick lateinischer Phraseologie und ohne Vietnam überhaupt zu erwähnen, haben diese Südstaatensenatoren in einem beunruhigenden Beispiel von Provinzialismus, den wir gerade den Vietnamesen auszutreiben versucht haben, eigenhändig Amerikas Handelspolitik unterlaufen."
Doch solches Verhalten birgt nichts Überraschendes. Zwar proklamiert Washington als größte Handelsmacht der Welt stets am lautesten den Abbau von Handelsbarrieren, von Grenzen und Zolltarifen, die den "freien Handel" störten. Doch nur, solange eigenen Produzenten keine Nachteile daraus erwachsen. Regelmäßig wettert Washington vor den Institutionen der WTO gegen eben den Protektionismus, den es zuhause durchaus pflegt. Das ungeschriebene Gesetz der US-Handelspolitik lautet im Grunde: "Tu, was ich dir sage, nicht wie ich handle", merkt die New York Times dazu an.
Riordan Roett, Direktor des Western Hemisphere Program an der Paul-Nitze-Schule für Internationale Studien an der Johns-Hopkins-Universität erklärt die Gründe für die Widersprüche amerikanischer Wirtschaftspolitik mit "einfachem Catering besonderer Interessen", ohne Rücksicht auf die Auswirkungen, die solche Zickzackpolitik auf die Handelspartner haben könnte. "Auf der Basis von Einzelfällen wird diese Strategie damit begründet, die US-Interessen gegen die dunklen Mächte, die von außen kommen, zu verteidigen", meint Roett. "Unsere Politiker sagen, sie könnten darin keinen Widerspruch sehen - aber sie müssen ihn sehen."
Vor einem Kongresskomitee erinnerte der brasilianische Botschafter die US-Regierung daran, dass Globalisierung und Freihandel keine Einbahnstraßen seien. "Wechselseitigkeit ist der Name des Spiels", donnerte Rubens Antonio Barbosa. Trotz des von Washington gebetsmühlenartig vorgetragenen Bekenntnisses zum Freihandel als Gewähr für Wohlstand und Frieden, so erklärte Barbosa dem Gremium, blockiere ein Arsenal von Handelsbarrieren die Einfuhr von 80 bedeutenden brasilianischen Produkten in die USA - darunter Zucker, Schuhe, Stahl und Orangensaft.
Die WTO macht kein Hehl daraus, dass sie "kein Freund der Armen" ist, wie im Juni der Londoner Guardian titelte. Noch 1993 hatte eine Kommission des WTO-Vorgängers GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) die einseitige US-Entscheidung zurückgewiesen, die Einfuhr mexikanischen Tunfischs zu unterbinden, weil die mexikanischen Netze zu viele Delphine töteten. Vor drei Jahren entschied ein WTO-Gericht noch einmal gegen die USA, die den Import von Krabben aus Indien, Pakistan, Thailand und Mexiko verboten hatten, weil deren Fischtrawlern eine Einrichtung fehlte, Seeschildkröten zu schützen. Das Gericht "argumentierte aber, dass veränderte Umweltnormen frühere Regelungen und Entscheidungen zur Beilegung von Streitigkeiten übertrumpfen könnten", schrieb Claude Barfield vom American Enterprise Institute in seinem Buch Free Trade, Sovereignty, Democracy: The Future of the Trade World Organisation. Damit öffnete der Richterspruch gleichzeitig den Weg "für eine evolutionäre Interpretation in Richtung einseitiger Entscheidungen", wusste der Autor zu ergänzen.
Alles begann mit dem System von Bretton Woods
Wie die WTO-Botschafter der Entwicklungsländer, so fragte auch der WTO-Rechtsgelehrte John Jackson von der Georgetown Universität: "Welche zusätzlichen Bestimmungen wie Mindestlöhne oder sexuelle Gleichstellung und welche anderen Konditionen sollten wir in Erwägung ziehen? Da fielen einem Tausende ein, die zu ernsthaften Hindernissen der Freihandelspolitik auswachsen könnten."
Zwar haben die Staaten der Dritten Welt bei der WTO-Konferenz in Qatar Ende 2001 erstaunliches Geschick bewiesen, als sie vor allem gegen den immensen Druck Großbritanniens und Deutschlands die Genehmigung durchsetzen konnten, sich wenigstens während einer gesundheitspolitischen Notlage über die Patentrechte großer Pharma-Konzerne hinwegsetzen und ihren Bürgern billigere Medikamente anbieten zu dürfen. Zwar suggeriert die WTO-Abschlusserklärung guten Willen und verspricht, das Problem "der Marginalisierung der am wenigsten entwickelten Länder" angehen und zu einer Lösung bei den Schulden der Dritten Welt beitragen zu wollen. Doch bei den Verhandlungen in Qatar wurde genau genommen - so wie in Afghanistan - der Frieden erklärt, bevor die wirkliche Schlacht überhaupt begonnen hat. Die reichen Staaten verstanden es, die Tagesordnung der Konferenz mit derart vielen, teilweise neuen Themen zu überfrachten, dass die WTO in den kommenden Jahren kaum dazu kommen dürfte, die von den armen Ländern favorisierte Frage fortbestehender Handelsbarrieren anzugehen.
Es war kein Geringerer als der legendäre John Maynard Keynes, der schon vor 57 Jahren, als die Vertreter von 44 Staaten und Regierungen in Bretton Woods den Grundstein für die heutige Weltfinanzordnung legten, die Gründung solcher Institutionen wie der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds bitter beklagte. Er prophezeite, dass eine derart organisierte Weltwirtschaft den Reichtum und die Macht der Gläubigernationen wachsen lasse, während die Schuldner immer tiefer in Verschuldung und Abhängigkeit versinken würden. Stattdessen plädierte er für eine "International Clearing Union", die Handelsungleichgewichte automatisch ausgleichen und Schulden eliminieren würde. In diesem System sollten die Gläubiger gezwungen sein, für ihren Devisenüberschuss ebenso Zinsen zu zahlen, wie die Schuldner auf ihre Kredite.
Keynes war damals nicht allein. Den meisten Architekten von Bretton Woods war klar, dass die Freiheit des Welthandels von der Fairness des Welthandels begleitet sein musste. Sie schlugen eine "Internationale Handelsorganisation" vor, die sowohl die Zölle abbauen, als auch den Technologietransfer in ärmere Länder fördern wie die großen Firmen daran hindern sollte, die Weltökonomie zu kontrollieren. Doch die USA lehnten diese Vorstellungen kategorisch ab. Sie drohten, ihren Kriegskredit zurückzuhalten, sollte die von Keynes geführte britische Delegation auf ihren Ideen beharren. Keynes gab nach. In einem Brief an die London Times räumte er später ein, dass sich die Handelspolitik von Währungsfonds und Weltbank als "sehr töricht" erweisen und "derart zerstörerisch auf den internationalen Handel" auswirken könne, "dass Bretton Woods reine Zeitverschwendung gewesen sein wird."
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